Klosterneuburg - Attersee wird 65. Franz Ringel schlägt zurück und wird justament auch 65. Er zeigt jetzt auch Bilder. Nicht nur jüngste, so wie der Genosse im Kunstforum, aber immerhin doch auch Neuestes aus der Produktion. Aber Franz Ringel ist ja auch nicht im Neuen Wien vom Fleck weg geheiratet worden, und Agnes und Karlheinz Essl gelten gemeinhin als stabiles Paar.
Um eine Umarmung hat es sich aber sehr wohl gehandelt. Liebe war insofern auch bei der Hochzeit zwischen dem Ringel und den Essls im Spiel, als es das Top-100-Sammlerpaar erneut geschafft hat, vermittels der großen Geste des Aufkaufens einem Künstler eine Retrospektive auszurichten, die selbstverständlich keine ist - wie zuletzt bei der Werkschau Maria Lassnig geht es weniger um das Lebenswerk eines Künstlers als vielmehr um die Kaufkraft seiner Sammler. Und so geraten die Stationen einer Reise des Franz Ringel bestenfalls zu einer Art Tagebuch, zur bis dato jüngsten Schaffens- und Reise-Etappe des Künstlers, bei der Agnes und Karl Heinz Essl schon mit an Bord waren.
Die von Verbundenheit kündenden Fotos im Vorwort zur Schau zeigen denn auch die Sammler bei der Verrichtung ihrer Lieblingstätigkeit nicht etwa mit dem jungen, immerhin aber mit dem alten Franz Ringel: Agnes Essl lacht in die Kamera, Franz Ringel in sich hinein. Karlheinz Essl hält ein Bild Ringels in Händen, der Meister selbst bleibt im Hintergrund des Schnappschusses.
Dafür aber darf er in derselben Einleitung künstlertypisch mahnend den Zeigefinger erheben. Weil: "Franz Ringel, der Grenzgänger, Revolutionär und Außenseiter der europäischen Kunstszene, tief verwurzelt in der österreichischen Seele, soll durch diese Ausstellung nicht nur einem breiten österreichischen und deutschen (sic!) Publikum näher gebracht, sondern einer kunsthistorischen Neubewertung unterzogen werden." Zum Abschluss gibt der Sammler Karlheinz Essl seiner Erwerbung noch Hoffnung mit auf den weiteren Weg: "Ich hoffe", schreibt er, "dass die Ausstellungen regen Zuspruch finden, und wünsche dem Künstler für sein zukünftiges Schaffen viel Erfolg."
Göttliche Komödie
Und wozu, denkt man sich da, hat der Franz Ringel wohl all diese
Espressi aufgesucht, in denen die Verwandtschaft von Nähe und Infamie
so expressiv offensichtlich wird; wozu hat er im Hochsommer
Vanillekipferln in der Liechtensteinstraße gegessen, um dem Wein zu
trotzen, um doch noch Bilder zu machen - Fratzen in allen nur möglichen
Schattierungen, Porträts von den anderen Anstößigen, denen er sich als
verwandt empfindet, Porträts von Antonin Artaud, vom Kleinen Prinzen,
von all denen, durch die die bekannte Komödie erst echt göttlich wurde?
Es sei also dennoch dringlich empfohlen, die Ringel-Ausstellung in Klosterneuburg zu besuchen, die ewig gleichen, immer aber auch gleich intensiven Abbilder anzuschauen, die, allen Unterlassungen der Eitelkeit zum Trotz, dort die quotenbringende Existenz ansprechen. Wolfgang Bauers letzter Text handelt zufällig von Franz Ringel. "Ringel weiß", schrieb er, "dass die Kunst nicht Nebensache ist."
"Ernstfall" Kunst
Und auch nur eines der Selbstporträts, etwa jenes aus 1986, das den
Künstler vor einem blauen Horizont zeigt, mit einem Meer im Rücken und
einem Blatt vorm Gesicht, bestätigt beider Positionen im Leben. Zeigt,
wie sehr die Freunde - Ringel wie Bauer - immer versuchten, die Kunst
als "Ernstfall" hochzuhalten, wie sehr sie die Kunst als "ihre Sache"
mit vollem Körpereinsatz über die Zeit zu retten trachteten. Bauer in
seiner Testspur für Franz Ringel: Dieser sei "ein immenser
Verdauungsapparat, der seine eigene Speicherung zauberisch in Bilder
umsetzt."
Das ist auch in der Sammlung Essl nachvollziehbar: Den Kopf voller Farben, rinnt Ringel aus, hat die Schultern seines bleichen, mit wenigen Strichverästelungen nur angedeuteten Körpers hochgezogen und ganz an sich gepresst, und kapituliert vor der Überwältigung, die da abläuft - im Hintergrund, vor seinen Augen. Und malt dem Schauspiel dennoch einen Rahmen, versucht festzuhalten, was ihm doch entrinnen wird.
Und natürlich sind da auch einmal mehr Belege der alten Obsessionen des Franz Ringel ausgestellt, dicke, womöglich gar als Zwillinge erscheinende Damen mit leibesfüllenden Schläuchen dran oder mit Prothesen oder mit Schwänzen, die die Wasserspiegel sämtlicher bekannter Gusseisenbadewannen brechen.
Nicht zuletzt sind da die Akte, ist da der Körper seiner Frau präsent, sind da die stets aufs Neue unternommenen Dialogversuche, die doch immer wieder in Selbstgesprächen münden. Und natürlich legt Odysseus auch in Klosterneuburg an, und selbstverständlich beherrschen Spanier und Spanierin den einen Raum und Denkmale einige der anderen Zimmer: jenes für Fritz Wotruba, jenes für Herbert Boeckl, eines für Gustaf Klimt, ein anderes für Wolfgang Ambros. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 9. 2005)