22.09.2003 19:20
Kunstgipfel-Erklimmen auf neuen
Kletterstangen
"Junge Szene", Begriff und
Ausstellungsidee aus den 80er-Jahren: 21 Kunstschaffende in der Secession - Foto
Der Schweizer Daniel Baumann bringt 21 Kunstschaffende unters
Krauthäuptel der Secession und räsoniert im Vorfeld über seine internationale
Auswahl.
Wien - Tausende neue Kunststudenten spucken die Kunstakademien jährlich aus und
auf den Markt. Wenn man wie Daniel Baumann die Weiterführung der
Secessions-Ausstellungsreihe "Junge Szene" kuratiert, stellt sich die Frage: Wie
selektiert man, wo setzt man an? Wie entgeht man dem Jugendwahn? Fragen, bei
denen Baumann fürs Erste einmal schweigt: "So banal es klingt, ich zeige, was
mir derzeit als bedeutend erscheint, also starke individuelle Positionen."
Diese Einstellung käme auch, so der in Basel lebende 36-jährige
Kunstfachmann, aus seiner Beschäftigung mit historischen Größen wie Adolf
Wölffli (u. a. für die Sammlung Essl) und Martin Kippenberger. Mit diesem Archiv
im Hinterkopf scheint der angenehm unaufgeregte Kurator, der an sich heroische
Kunstgeschichte und heroische Diskurse ebenso zu verachten scheint wie an
Künstlern, eine gesunde Distanz zum Gegenwartskunst-Treiben zu bewahren, ja
sogar eine leichte Abscheu davor zu haben. "Ich zeige keine Trends, keinen neuen
Stil, bin keiner Zeitschrift oder Galerie verpflichtet. Ich mag Leute, die etwas
wagen, das fast schon ins Halsbrecherische geht." Solche Personen, in dem Fall
21 aus der westlichen Kunsthemisphäre, können ein Paralleluniversum erzeugen
(Constantin Luser), Secessions-Flaggen nähen (Kalin Lindena) oder, wie das
Frankfurter Duo Michael S. Riedel und Dennis Loesch, eine "kulturelle Situation"
verdoppeln.
Das geht in Wien so: Die beiden bauten einen (Frankfurter)
Ausstellungsraum in die Secession, in welchem sie Ausstellungen reproduzierten.
Baumanns Kommentar: "Das gefällt mir an den beiden, da gibt es keinen Diskurs,
die Künstler nehmen zum Beispiel eine Lesung des Pop-Autors Stuckrad-Barre und
reproduzieren das. Dieser Spiegel genügt, wenn man will, zur Kritik. Man kann
allgemein in dem Zusammenhang von Dissidenz sprechen, ein altmodisches Wort,
aber gut."
Themenschau wollte Baumann schon gar keine machen, obwohl der
Ausstellungstitel wie eine Uni-Seminararbeit klingt: Kontext, Form, Troja. Ein
Trojanisches Pferd als "Inszenieren von Fremdkörpern im bestehenden System", als
Computer- virus. Macht das "gute" Kunst nicht sowieso, Herr Baumann?
Kunst & Kontext
Da gibt es zum Beispiel
wiederum Bilder von Isabella Schmidlehner, die würden an einem
Souvenirkitschstand in Paris oder Split nicht weiter auffallen. "Auf den zweiten
Blick schon", verteidigt Baumann. Siehe auch unter: "Kontext". Es sei ihm
aufgefallen, dass jüngere Künstler gerne wieder figurativ malen, etwas, das die
"westliche Kunstgeschichte lange Zeit ausgeklammert hat". Die Britin Lucy
McKenzie greift in ihrer Malerei etwa die sozialistischen Wandgemälde der
30er-Jahre auf.
Was Baumann missfällt, sind Ansammlungen von
Videokammerln oder, "ein Schwachsinn", alle Spielarten von so genannter
Interaktivität. Zur äußeren Form der Arbeiten: Da wolle er in die Breite gehen,
sämtliche Medien und Spielarten repräsentiert sehen. Künstler bedienen sich
kunstfremder Strategien und Mittel (Sport, Theater, Film, Wissenschaft et
cetera), produzieren nicht im herkömmlichen Sinn, sondern üben den, wie Boris
Groys in seinem jüngsten Buch "Topologie der Kunst" formuliert, konsumierenden
Blick ein, "der nicht ,arbeitet', sondern nur kritisiert, beurteilt,
entscheidet, auswählt, kombiniert". Dazu gehört auch Roland Kollnitz' Wiener
Kletterstange im Garten, 18,97 Meter hoch, gemäß dem Gründungsjahr der
Secession. Wir erinnern uns: Vor einigen Jahren stand an der Stelle etwa ein
Swimmingpool.
Eine historische Figur, die gerne solcherart "konsumiert"
und unterschiedlich gelesen wurde, sei Sissi gewesen. Was Baumann nebst der
Gründung eines (mittlerweile weiterverkauften) Genfer Sissi-Fanklubs zur
Herausgabe eines "Sissi-Almanachs" bei Eichborn veranlasste.
In manchen
Ausstellungen denkt sich Baumann: "Himmel, was für ein großer Aufwand, um so
wenig zu sagen." Eine inhaltliche und formale "Präzision und Effizienz" wolle er
dagegen mit seiner Auswahl anstreben. (DER STANDARD; Printausgabe, 17.09.2003)