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31.05.2003 - Ausstellung
Was blieb von der Wiener Fantasie?
Reifeprüfung der Wiener Schule des phantastischen Realismus im ehemaligen Minoritenkloster Tulln.
VON HANS HAIDER


Ein im Ostblock bekanntes Kuriosum erlebt in der Ausstellung "Die Phan tasten" im Minoritenkloster Tulln seine Wiederauferstehung: inoffizielle Kunst. Nur im hintersten Saal, außerhalb des Katalogs, werden Bilder von Wolfgang Hutter gezeigt. Weil engherzige kommunale Machthaber den heuer 75 Jahre alten Malereiprofessor ausgrenzten? Nein, Hutter wollte nicht hinterm Passepartout "Wiener Schule des phantastischen Realismus" mit seinesgleichen vorgeführt werden. Darum wurde er ausgetrickst. Sogar Tullns Bürgermeister Willi Stift lieh ein Hutter-Blatt aus seiner Sammlung.

Lieber Kollegenflüchter Hutter! Das vom Kunstkritiker Johann Murschik erfundene Etikett tat Ihnen 1960 nicht weh, als die Österreichische Galerie die erste "Wiener Schule"-Ausstellung zeigte mit Ihren zauberhaften Fantasieblüten neben Bildern von Rudolf Hausner, Leherb (!) und Anton Lehmden. Sind nicht die Wiener Phantasten allesamt Kinder von Gott Paris Gütersloh, ein leibliches Sie selbst - die anderen ebenso an der Wiener Kunstakademie von ihm erweckt, gefördert, beschützt?

Die von dem Nürnberger Galeristen Uwe Grossu größtenteils aus dem Besitz der Künstler zusammen getragene Retrospektive provoziert die alten Fragen nach dem Kunstwert dieser Richtung wieder neu: Mit Professorenposten an Kunstschulen materiell unabhängig gemacht, vom Handel und mit öffentlichen Aufträgen verwöhnt, zuletzt aber von den Kollegen und der Kunstkritik fallen gelassen - warum?

Warum soviel Häme gegen Kunst, mit der vom Krieg gezeichnete Aufbrecher die Schönheitsdoktrin der Heimat- und Reichskunst niederkämpften? Noch in den siebziger, achtziger Jahren entdeckten in der DDR Künstler, Kunstfreunde in den Wienerischen Entrückungs-Fantasien, was ihnen daheim fehlte.

Gewiss: Radikaler Individualismus, Verweigerung, Eskapismus, altmeisterliche Pizzelei, "halluzinatorischer Realismus" (Wieland Schmied im Band 6 der neuen "Geschichte der bildenden Kunst in Österreich") verloren in stetiger Wiederholung ihr Feuer, ihre Attraktion als Gestus. Das darf man aber auch einem Gutteil der Informellen, Abstrakten, Popartisten, Minimalisten, sogar Aktionisten nachsagen, die dennoch die Museumswände füllen.

In Tulln gab es zuletzt große Ausstellungen mit Alfons Walde und Egger-Lienz, beide Publikumsmagneten. In Wien wurden seit 1990 (Künstlerhaus) die Phantasten nicht zusammen gezeigt. Wichtige Leihgaben kommen aus Museen und der Sammlung Dr. Fuchs (Wien-Mauer).

Nichts überrascht in Tulln mehr als die vergessenen starken Bilder aus den frühen Jahren von Ernst Fuchs: eine Kreuzigung mit Selbstporträt (1945), ein Moloch "Stadt"( so der Titel einer Zeichnung 1946) droht ein Menschengesicht zu zerquetschen, die Memento-Mori-Holztafel "Metamorphose des Fleisches". Fuchs heute: zum Vergessen.

Arik Brauer, der viel tiefer aus jüdischen Quellen schöpft, blieb juvenil, behutsam, keusch trotz aller Lebensängste. Die ausgestellten altartafelgleichen Großformate der letzten Jahrzehnte behält er in seinem Besitz wie Vermächtnisse an eine heilere Welt. Auch Anton Lehmden hat eigene Speicher geöffnet und sich ins gewinnendste Licht gerückt. Aus dem raren Sammelgut, das Rudolf Hausner (1914 bis 1995) hinterließ, ist eine ausgewogene Auswahl zu sehen. Und Hutter? Zufällig zugeflogene Kostproben. Man nimmt sie mit.

Bis 5. Oktober, Di. bis So. 10 bis 18 Uhr.



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