Ein im Ostblock bekanntes Kuriosum erlebt in der Ausstellung "Die Phan
tasten" im Minoritenkloster Tulln seine Wiederauferstehung: inoffizielle
Kunst. Nur im hintersten Saal, außerhalb des Katalogs, werden Bilder von
Wolfgang Hutter gezeigt. Weil engherzige kommunale Machthaber den heuer 75
Jahre alten Malereiprofessor ausgrenzten? Nein, Hutter wollte nicht
hinterm Passepartout "Wiener Schule des phantastischen Realismus" mit
seinesgleichen vorgeführt werden. Darum wurde er ausgetrickst. Sogar
Tullns Bürgermeister Willi Stift lieh ein Hutter-Blatt aus seiner
Sammlung.
Lieber Kollegenflüchter Hutter! Das vom Kunstkritiker
Johann Murschik erfundene Etikett tat Ihnen 1960 nicht weh, als die
Österreichische Galerie die erste "Wiener Schule"-Ausstellung zeigte mit
Ihren zauberhaften Fantasieblüten neben Bildern von Rudolf Hausner, Leherb
(!) und Anton Lehmden. Sind nicht die Wiener Phantasten allesamt Kinder
von Gott Paris Gütersloh, ein leibliches Sie selbst - die anderen ebenso
an der Wiener Kunstakademie von ihm erweckt, gefördert, beschützt?
Die von dem Nürnberger Galeristen Uwe Grossu größtenteils
aus dem Besitz der Künstler zusammen getragene Retrospektive provoziert
die alten Fragen nach dem Kunstwert dieser Richtung wieder neu: Mit
Professorenposten an Kunstschulen materiell unabhängig gemacht, vom Handel
und mit öffentlichen Aufträgen verwöhnt, zuletzt aber von den Kollegen und
der Kunstkritik fallen gelassen - warum?
Warum soviel Häme gegen Kunst, mit der vom Krieg
gezeichnete Aufbrecher die Schönheitsdoktrin der Heimat- und Reichskunst
niederkämpften? Noch in den siebziger, achtziger Jahren entdeckten in der
DDR Künstler, Kunstfreunde in den Wienerischen Entrückungs-Fantasien, was
ihnen daheim fehlte.
Gewiss: Radikaler Individualismus, Verweigerung,
Eskapismus, altmeisterliche Pizzelei, "halluzinatorischer Realismus"
(Wieland Schmied im Band 6 der neuen "Geschichte der bildenden Kunst in
Österreich") verloren in stetiger Wiederholung ihr Feuer, ihre Attraktion
als Gestus. Das darf man aber auch einem Gutteil der Informellen,
Abstrakten, Popartisten, Minimalisten, sogar Aktionisten nachsagen, die
dennoch die Museumswände füllen.
In Tulln gab es zuletzt große Ausstellungen mit Alfons
Walde und Egger-Lienz, beide Publikumsmagneten. In Wien wurden seit 1990
(Künstlerhaus) die Phantasten nicht zusammen gezeigt. Wichtige Leihgaben
kommen aus Museen und der Sammlung Dr. Fuchs (Wien-Mauer).
Nichts überrascht in Tulln mehr als die vergessenen
starken Bilder aus den frühen Jahren von Ernst Fuchs: eine Kreuzigung mit
Selbstporträt (1945), ein Moloch "Stadt"( so der Titel einer Zeichnung
1946) droht ein Menschengesicht zu zerquetschen, die
Memento-Mori-Holztafel "Metamorphose des Fleisches". Fuchs heute: zum
Vergessen.
Arik Brauer, der viel tiefer aus jüdischen Quellen
schöpft, blieb juvenil, behutsam, keusch trotz aller Lebensängste. Die
ausgestellten altartafelgleichen Großformate der letzten Jahrzehnte behält
er in seinem Besitz wie Vermächtnisse an eine heilere Welt. Auch Anton
Lehmden hat eigene Speicher geöffnet und sich ins gewinnendste Licht
gerückt. Aus dem raren Sammelgut, das Rudolf Hausner (1914 bis 1995)
hinterließ, ist eine ausgewogene Auswahl zu sehen. Und Hutter? Zufällig
zugeflogene Kostproben. Man nimmt sie mit.
Bis 5. Oktober, Di. bis So. 10 bis 18 Uhr.
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