14.01.2003 19:10
Graz fliegt zurück
"Erinnerungen
an die Menschheit - Eine Welt von Günter Brus" im Dom im Berg
"Erinnerungen an die Menschheit - Eine Welt von Günter
Brus" wird derzeit im Rahmen von Graz 2003 im Dom im Berg präsentiert: als
Neuinszenierung des Bühnenbilds, das Brus 1985 für Gerhard Roths Theaterstück
"Erinnerungen an die Menschheit" gestaltete.
Graz - Europas Kulturhauptstadt erinnert sich: Einst, als der Hauptplatz noch
nicht so chic, noch keine Ufo-Landung in Aussicht und auch die Mur noch ohne
Insel war, da wurde in Graz nur einmal jährlich geflogen: im Herbst.
Aber
selbst dabei kam rück- wärts gewandtes Eingedenken nicht zu kurz. 1985 - der
"steirische herbst" hatte seine Pioniertage schon erfolgreich hinter sich
gebracht - galt die Rückschau dem ganzen Geschlecht. Gerhard Roth, Sohn der
kulturell ambitionierten Stadt, hatte Erinnerungen an die Menschheit
notiert. Unter der Regie von Emil Breisach, gelangten sie im Rahmen des
"steirischen herbstes" im Grazer Schauspielhaus zur Uraufführung.
Für
einen weiteren berühmten Sohn der Stadt, den Zeich- ner Günter Brus war dies der
Anlass, sein erstes Bühnenbild zu entwerfen, seine Erfahrungen als
Performancekünstler und Bild-Dichter in ein bespielbares Ambiente
umzusetzen.
Roths Stück kam ihm entgegen. Dessen Erinnerungen an die
Menschheit zeigten sich als mehr oder weniger lose Abfolge von 28 Szenen. Da
galt es nicht, einem roten Faden zu folgen. Kein Handlungsstrang zeigte sich
erkennbar, Roths dramatischer Bogen lag lediglich in Fragmenten vor, wollte von
jedem einzelnen Zuschauer zusammengesetzt und individuell um die Fehlstellen
ergänzt werden. Sein Erinnern provozierte wiederum Kritik: an der Vernunft, in
deren Namen die Menschheit ebenso viel Unheil wie Unsinn anrichtete. An den
Verheerungen, die im Namen der Wissenschaft angerichtet wurden.
Günter
Brus verstand Roths Aufzeichnungen als "Schau-Spiel" und ergänzte die Texthalde
um "Bühnen-Bild-Stücke". Dem Rothschen Erinnerungsfundus und dessen Kindern der
Ratio stellte er fantastische Relikte bei. Körper- und andere Fragmente ließ er
aus seinen Skizzenblättern heraus eine Dimension höher purzeln. So konnten die
Darsteller nun nicht mehr nur metaphorisch in der Erinnerung wandeln. Und
zugleich sollte dem Publikum die andere Seite - die fantastische, die freie, die
unabhängige (die dabei nicht selten an André Hellers Lunapark-Welten erinnernde)
- anschaulich werden.
Dem Stück war kein großer Erfolg beschieden. Die
Brusschen Schaustücke fielen dem kollektiven Vergessen anheim - und blieben
dennoch in repräsentativem Ausmaß erhalten. Graz 2003 erwarb das erhaltene
Konvolut; etwa 80 Prozent der - wie man später sagt - "historischen" Stücke,
ließ man in den Werkstätten des ORF instand setzen und inszenierte daraus
Eine Welt von Günter Brus im Dom im Berg.
Ganz ohne stützende
Roth-Texte soll der Besucher nun selbst durch die dramatisch beleuchteten
Wunderwelten wandern, selbst der Erinnerung huldigen, ein Reibungsfeld
generieren oder auch nur sentimental der vergangenen Uraufführung gedenken.
Kunstliebhabern aber seien die Brusschen Zeichnungen zur Genese des
Bühneninventars anempfohlen.
Bis 23. Februar 2003 (Markus
Mittringer/DER STANDARD; Printausgabe, 15.1.2003)