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Maren Lübbke ‹Die Welt ist doch kleiner geworden.› Immer wieder hört man heute diesen Satz und man weiss eigentlich nicht so recht, was mit ihm genau gemeint sein könnte. Zunehmender technologischer Fortschritt und internationaler Warentransfer, mehr Reisefreiheiten oder -möglichkeiten legen nahe, diesem etwas melancholisch klingenden Satz Glauben zu schenken. Allerdings geht die Wahrnehmung der uns umgebenden Wirklichkeit einher mit der immer grösser und umfassender werdenden Zumutung, abstrakte Prozesse in unser Weltbild einzubinden. Doch wie die Welt nun wirklich aussieht, ist ziemlich kompliziert zu beschreiben. Dies machen die Malereien von Anna Meyer deutlich. | ||
hier ist dort -
dort ist hier
Zu den Gemälden von Anna Meyer
links: Begun/Demo, 2000, Billboards im
Museumsquartier Wien, Öl auf Aluminium, Holz/Beton; alle Fotos: Lisa
Rastl, Courtesy Galerie Krobath Wimmer |
Die Arbeit von Anna Meyer
handelt von diesem Paradoxon: Realität wird heute zunehmend auf einer
symbolischen Ebene verhandelt und Visualisierungen von wirklichen
Geschehen irgendwo da draussen tragen heute wahrscheinlich mehr denn je
dazu bei, uns Brücken für unsere Auffassung und unser Verständnis globaler
Prozesse zu bauen. Wie wir Bilder jedoch in unserem Gedächtnis verankern
und in welcher Weise sie in unsere Vorstellungen von Welt Eingang finden,
beziehungsweise was sie individuell und kollektiv tatsächlich
transportieren und auslösen, bleibt ein konfuses Ineinandergreifen von
möglichen Bedeutungen – permanente Kontextverschiebungen lassen die
Grenzen des Wahrgenommenen duchlässig und uneindeutig erscheinen. So
scheint es nur folgerichtig, dass Anna Meyer noch im letzten Jahr vermehrt
Flugzeuge beziehungsweise -häfen und Landebahnen, Autos oder
Containerhäfen und Frachtgut malte. Denn hier verdichteten sich
verschiedene Inhalte, um letztlich ins Leere zu führen: Ihre Bilder
erzählten einerseits von Transfers durch Raum und Zeit, ohne dass man
Herkunft oder Zielpunkt hätte beschreiben können, die Motive hatten
andererseits Repräsentationscharakter, ohne dass man die tatsächlichen
(Macht-) Mechanismen, die sich mit dem Bild eines schnellen Autos oder
eines noch schnelleren Jets verbinden, hätte benennen können – denn es
fehlte ihnen die Beschreibung eines konkreten Ortes, mit dem man diese
Symbole globalen Fortschritts entzaubern und an eine soziale Realität
hätte rückbinden können. Die inhaltliche Leere zu beschreiben, ist ein
wichtiges Moment in der Kunst von Anna Meyer, deren Bilder in ihrer
‹Ästhetik› an die Landschaftsmalerei des amerikanischen Westens
beziehungsweise an deren Nachfolge in der Pop-Art erinnern. In ihren
aktuellen Arbeiten hat sie dafür weitere Motive gefunden. Eine Figur, die
durch ihre neuen Bilder führt, ist die eines Homeless, der einen
Einkaufswagen mit seinen wenigen Habseligkeiten – ein zynisches Bild für
die Auswüchse des kapitalen Marktes – ziellos vor sich herschiebt, den
Blick ins Nirgendwo gerichtet. In ihrer letzten Ausstellung (‹Billboards›
in der Wiener Galerie Krobath Wimmer) griff Anna Meyer dieses Motiv
konkret auf, indem sie ihre kleinformatigen Bilder in einem Einkaufswagen
in die Galerie schob. Bekleidet mit einer Jacke, auf deren Rücken ein
grosser Kreis bzw. ein Loch gemalt war, machte sie sich so gewissermassen
zur Zielscheibe wie zum Nichts. In einer Performance nahm sie ihre ‹Güter›
aus dem Wagen und platzierte sie in Gruppen auf zuvor aufgestellte, den
Raum in zwei Hälften teilende Stellagen (… hier ist dort, dort ist hier
…), die an Gerüste für Billboards erinnern. Die ‹Billboards› selbst zeigen
unter anderem wiederum Bilder von Billboards, aufgestellt in einer
amerikanischen Landschaft. Die gemalten Billboards dienen der Künstlerin
als Freiflächen für ihre ‹Botschaften›: Wir lesen ‹The Revolution isn’t
over, it’s just begun›, ‹We all want›, ‹Revolution›, ‹Widerstand›,
‹Attentat›, ‹Schande› oder ‹No›. Diese regierungskritischen Appelle führen
vordergründig aus dem gemalten urbanen Kontext Amerikas hinaus direkt nach
Österreich (wo die Künstlerin lebt) und erinnern aktuell an die
Demonstrationen seit Beginn des Jahres gegen die Regierungsbeteiligung
einer rechtsextremen Partei. Hier ist dort, dort ist hier: Die Welt ist
doch kleiner geworden und verschiedene Kontexte erscheinen plötzlich
verrück- und austauschbar – wir können die schnellen Richtungswechsel in
jedem Falle in unseren Wahrnehmungsapparat einbauen, ohne grosse Brüche zu
erleben. Auf den Häuserdächern cooler Architektur platziert und unter
einem blitzblauen, immerlachenden Himmel jedoch verkommen die politischen
Forderungen zum nichts sagenden Logo, sie fügen sich ein in die bunte
Warenwelt und stehen gleichberechtigt neben gemalten Werbetafeln, die
‹Sex›, ‹Icecream› und ‹Best Buy Shoes› versprechen. So lesen wir auf einem
ihrer gemalten Billboards denn auch tatsächlich ‹Nichts›, ein Verweis,
dass sich sowohl linkskritische als auch systemkonforme Absichten
entsprechend den momentanen individuellen oder produzierten Bedürfnissen
und Befindlichkeiten formen. Ein Leben im Schwebezustand, allzu leicht der
Gefahr ausgesetzt, sich in Leere und Bedeutungslosigkeit zu verlieren.
Gemälde von Menschenmassen, von denen man nicht mit Sicherheit sagen kann,
was sie zusammentreibt – eine Demonstration, ein Unfall oder ein Fest? –,
verweisen auf genau diese Problematik, dass sich die Grenzen von Anpassung
und Abgrenzung permanent verwischen genauso wie die Bilder, auf denen sich
Anna Meyer selbst darzustellen scheint. Tatsächlich erinnern verschiedene
Bilder von einem Mädchen an die Künstlerin selber und man ist allzu
schnell versucht, sie als Selbstporträts zu betrachten. Beim genaueren
Schauen aber erweist sich diese Sichtweise als brüchig: Zu sehr erinnern
die Posen an zigmal gesehene Pin-ups, Models oder sogar klassische
Darstellungen von Frauen in der Geschichte der Malerei. Das Selbstporträt
verkommt zur reinen Hülle, zum Umriss, Individualität gerät zum
austauschbaren Warengut. In neueren Bildern treibt sie diesen Aspekt auf
die Spitze, indem sie selbst die geschlechtlichen Zuweisungen uneindeutig
lässt. Sie greift damit das Bild des androgynen Menschen auf – als
modische Erscheinung vielfach in der Werbung vorzufinden – und verweigert
mit diesem Motiv damit ein weiteres Mal eine eindeutige Leseweise ihrer
Bilder. |
Links | ||
Ausgabe: | 05 / 2001 | |
Ausstellung: | Art 32 / Internationale Kunstmesse (13.06.2001 - 18.06.2001) | |
Institution: | Messe Basel (Basel) | |
Autor/in: | Maren Lübbke | |
Künstler/in: | Anna Meyer | |
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