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    Wien: Dinge, die wir nicht verstehen Andreas Spiegl  
   
   

Generali Foundation 28. Jänner bis 16. April

»Die Lust, die das bezugslose Schauen bereitet, ist Lust an dem, was sich nicht identifizieren lässt.«(1) Dieser Satz von Ruth Noack und Roger M. Buergel, die die Ausstellung »Dinge, die wir nicht verstehen« für die Generali Foundation in Wien kuratierten, spricht in erster Linie von einem Verhältnis dem Sichtbaren gegenüber. Wesentlich und signifikant an diesem Sichtbaren, an diesem sichtbaren Anteil der künstlerischen Produktion, ist die Schwierigkeit seiner Identifizierbarkeit - mit anderen Worten: die Verknüpfung einer erkenntnistheoretischen mit einer wahrnehmungstheoretischen Frage als ambigue Bedingung ästhetischer Erfahrung. Dinge, »die wir nicht verstehen«, aber trotzdem sehen können, sind nach dieser These nicht a priori unverständlich, sondern entfalten ihre Form der Kommunikation vor, nach, parallel oder jenseits konventioneller Bedeutungszuschreibungen. Kaja Silverman schreibt in ihrem Beitrag für das Buch zur Ausstellung von »Erscheinung«, von einer Welt, die »ðintendiertÐ, gesehen zu werden«(2) und verlagert damit die Sichtbarkeit in das Objekt der Anschauung selbst. Die Bedingung für die Wahrnehmbarkeit dieser Sichtbarkeit der Dinge liegt in dem Versuch oder in der Lust, diese nicht primär verstehen und damit vereinnahmen zu wollen, sondern sich ein Stück weit von diesen leiten, ja verführen zu lassen. Diese Begegnung hinterlässt Spuren im Subjekt, »Spuren einer Differenz«, die dem Subjekt nach der ästhetischen Erfahrung nicht mehr erlauben, sich wieder in den Zustand zu versetzen, den es vorher innehatte: »Das Resultat ist eine ungenaue Selbst-Replikation«.(3) Christian Kravagna beantwortet in seinem Beitrag die Frage nach dem Spezifikum ästhetischer Erfahrung mit einer »Preisgabe von Macht Š Bezeichnet ist damit ein Zustand der kognitiven Destabilisierung, eine momentane Suspension von Gewissheit.«(4) In diesem Sinne erzielen »Dinge, die wir nicht verstehen«, eine Wirkung, die an der Sicherheit des Subjekts, an seiner Selbstgewissheit und Objektivierbarkeit zweifeln lassen.

Wenn Buergel und Noack auch kaum auf eine »Nowness« dieses Gefühls des Unentscheidbaren pochen und mit Eleanor Antin auch eine wichtige Position der siebziger Jahre miteinbeziehen, so ist es ihnen doch gelungen, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Debatte ein Plädoyer für einen kritisch-sensiblen Umgang mit der allzu sichtbaren Realität zu formulieren. Das verbindende Moment zwischen den acht eingeladenen KünstlerInnen liegt in der Bezugnahme auf konkrete soziale und politische Probleme, kurz: auf Dinge, die wir zumindest beim Namen nennen können. Im Unterschied zu aktivistischen Kunstpraktiken und deren strategisch konzipierte Lösungsvorschläge setzen diese aber doch auf ein Festhalten am Werkbegriff, auf die Inanspruchnahme institutioneller Rahmenbedingungen und auf eine der ästhetischen Erfahrung immanente Wirkung - eben auf jene »ungenaue Selbst-Replikation« oder »momentane Suspension von Gewissheit«. Wer sich auf die verschiedenen Arbeiten einlässt, erkennt die Präzision, mit der die KünstlerInnen recherchieren, mit der sie auf die verschiedensten Anlässe und Fragen reagieren. Alice Ohneland etwa installierte ein Gemälde, das nicht nur in seinem Titel »L'atelier de la peintrice« auf Gustave Courbets bekannte Arbeit anspielt, sondern gleichfalls ein Panorama von Personen aus dem gegenwärtigen Kunst- und Politikbetrieb zeigt: von Joschka Fischer bis Sabeth Buchmann. Die Rückseite dieses Gemäldes versammelt Notizen und Textfragmente zur Geschichte des Courbet-Bildes, zu den Pariser Kommunarden bis hin zur zeitgenössischen Diskussion neoliberaler Machtstrukturen. Darunter findet sich auch ein Hinweis auf die Künstlerin, die sich zwar dazu bekennt, die Problemhorizonte und Teile ihrer Quellen zu erkennen, sich aber außer Stande sieht, für die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Situation eine Ordnung und damit das Phantasma eines Überblicks konstruieren zu wollen. Tragikomisch wirkt der Durchblick, den Ohneland inszeniert: In der theatralischen Beleuchtung des Gemäldes kaum sichtbar, finden sich Fehlstellen in dessen Oberfläche, die ein Lichtspiel auf der dahinterliegenden Wand erzeugen: eine unsichtbare Hand, bekannt als die zentrale Figur des Liberalismus, zaubert Kaninchen aus dem Hut.

Weniger umfassend und umso eindringlicher ist der Beitrag von Harun Farocki. Sein Material: Aufnahmen aus den Überwachungskameras eines Hochsicherheitsgefängnisses in Kalifornien. »Ich glaubte Gefangene zu sehen«, so der Titel seiner Videoinstallation, liest die bekannte Geschichte der Assoziation einer Fabrik mit einem Gefängnis rückwärts. »Ich glaubte Gefangene zu sehen« erzählt von der industrialisierten Be- und Verarbeitung des Rohstoffs »Inhaftierter«. Durch wenige Kommentare und die Verdoppelung des Bildmaterials evoziert Farocki auf der Bildebene eine fabriksnahe Serialität, deren Gleichklang und Differenzlosigkeit auf einem Vergessen basiert: auf dem Vergessen, dass es sich bei den Gefangenen und deren BesucherInnen nicht nur um Material handelt. Die Unmenschlichkeit dieser Anlage verweist die Vorstellung des Menschlichen in den Bereich der Erinnerung: Ich »glaubte« Gefangene zu sehen. Dinge, die wir nicht verstehen wollen, weil sie sich bereits jenseits des Verstehbaren befinden.

Erstmals in Wien zu sehen sind die Arbeiten von Ines Doujak - eine Entdeckung. Sie zeigt unter anderem Fotoobjekte, die als Remake von Pressefotos oder Filmszenen beschrieben werden könnten. Analog zur ungenauen Selbst-Replikation, von der Silverman schreibt, hat Doujak Szenen nachgestellt, die assoziativ identifizierbar werden, aber eine Spur der Differenz enthalten, die das Bedeutungsspektrum der Bilder in den Bereich des Traumatischen verlängert. Der Eindruck, dass es sich bei den Szenen um Repliken handelt, ist gegenwärtig und lässt vermuten, dass es hier um mehr geht: nicht um das konkrete Motiv oder dessen Dokumentation, sondern um eine symbolische Situation, wenn man so will: um eine Theatralik. Das Unechte, das Gestellte, verweigert von sich aus die Verwechslung mit dem Dokument. Als unechte implizieren sie aber eine Verwandtschaft zu den ungestellten Aufnahmen, das heißt, zu einer Realitätsnähe, die immer mitgedacht und dazu imaginiert werden will. Christian Kravagna bezieht sich in seinem Text auf eine Äußerung von bell hooks, die auch für Doujak stehen könnte: »Diese Kunst gibt uns an die Erfahrung, an die Erinnerung zurück. Was wir mit unseren Sinnen fühlen und wissen, bestimmt, was diese Abwesenheit bedeutet.«(5) Doujaks Arbeiten denken diese Abwesenheit mit; vom Theatralischen erwarten sie die Erinnerung an das Original - an den brutalen Alltag. Sie bedienen das Remake, um das Reale als das Unbeschreibliche zu evozieren. Sie wollen gesehen werden, um durch die Augen unmittelbar unter die Haut zu gehen.

Dinge, die wir nicht verstehen, sind mitunter Konstrukte, die umso mehr ahnen, ja fürchten lassen. Vielleicht wäre der Begriff des Ahnens eine weitere Möglichkeit, den erkenntnistheoretischen Moment ästhetischer Erfahrung zu beschreiben: eine Art Wissen, für das sich noch nicht oder nie genügend Argumente finden lassen, um zu beweisen, was man schon weiß. Unsicher bleibt, ob die in der Ausstellung gezeigten und faszinierenden Arbeiten von Eleanor Antin aus den siebziger Jahren dieses Wissen um die Bedeutung ästhetischer Erfahrung weiter differenzieren oder historisch legitimieren wollen. Vor allem ihre Videos »The Adventures of a Nurse« (1976) oder »The Nurse and the Hijackers« (1977) arbeiten mit einer Sprache, die so souverän, frisch und verspielt mit feministischen und politischen Themen umgeht, dass man ihre Historizität für kurze Zeit vergessen könnte. In diesem Sinne fügen sie sich wunderbar in die Ausstellung und stellen zugleich die Frage, ob damit nicht ein ahistorischer und überzeitlicher Begriff einer spezifischen ästhetischen Erfahrung konstruiert wird. Gerade vor dem aktuellen politischen Hintergrund hat diese Ausstellung(6) Bedeutung, weil sie dem Phantasma der Überschaubarkeit und der Ordnung der regierenden Rechten und extremen Rechten ein Wissen um die Unentscheidbarkeit und die Relevanz einer Suspension von Macht als Kommunikationsbedingung entgegenstellt. Wenn Buergel und Noack für eine Stärkung des »Autonomiemoment(s) in der ästhetischen Produktion gesellschaftsbezogener Kunst«(7) plädieren, dann ist dem kontextbedingt zuzustimmen. Daraus aber eine nur der Kunst immanente Erfahrung abzuleiten, würde eine identifizierbare Rollenmatrix nach sich ziehen, die ein »Autonomiemoment« in eine »Autonomie der Kunst« zurückversetzt.

1 Roger M. Buergel, Ruth Noack: Dinge, die wir nicht verstehen, in: Dinge, die wir nicht verstehen, hg. v. Roger M. Buergel, Ruth Noack, Generali Foundation, Wien 2000.

2 Kaja Silverman: Die Sprache der Dinge, in: Dinge, die wir nicht verstehen, S. 34.

3 Silverman, S. 44.

4 Christian Kravagna, Politische Künste, ästhetische Politiken und eine kleine Geschichte zur Nachträglichkeit von Erfahrung, in: Dinge, die wir nicht verstehen, S. 26. Kravagna bezieht sich in seinem Text auf die Arbeiten von Adrian Piper, Zoe Leonhard und Felix Gonzales-Torres.

5 bell hooks, subversive beauty: new models of contestation, in: Felix Gonzalez-Torres, 1994, zit. nach Christian Kravagna, S. 30.

6 Weiter in der Ausstellung zu sehen sind Beiträge von Peter Friedl, Inigo Manglano-Ovalle, Nina Menkes und Alejandra Riera.

7 Buergel, Noack, S. 21

 
     

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