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07.01.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung: Gefangen in den Welten der Netzhautbilder
Verschiedene Arten zu sehen: Maria Lassnig im Kunsthaus Zürich.

"Wissen Sie, als ich hörte, dass zur Zeit meiner Ausstellung auch eine Retrospektive von Georgia O'Keeffe in Zürich stattfinden sollte, da hab ich mich schon geärgert; aber dann dachte ich, was soll's, dann sehen die Leute halt den Unterschied." Maria Lassnig - Georgia O'Keeffe, zwei große Malerinnen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, zur selben Zeit am selben Ort. Im Obergeschoß O'Keeffe, die US-Malerin der menschenleeren Landschaften, deren vegetabile Abstraktionen als Poster ungezählte Wände schmücken. Und im Parterre Maria Lassnig, die unentwegte Erforscherin von "Erinnerungsassoziationen" und des eigenen "Körpergehäuses", eine gnadenlose Realistin, die mit dem Realismus nicht oder, besser gesagt, nie zufrieden ist.

Anlass für die Zürcher Ausstellung war die Vergabe des Roswitha Haftmann-Preises, mit 120.000 Franken die höchstdotierte europäische Auszeichnung für zeitgenössische Kunst, die bisher Walter De Maria, Maria Lassnig und diesjährig Jeff Wall zuteil wurde. Unter dem Titel "Verschiedene Arten zu sein" wählte Gastkurator Toni Stooss 22 Gemälde und eine Skulptur aus den Jahren 1992 bis 2002 aus. Angesichts dieses "Spätwerks" zeigt sich, dass Lassnig weit davon entfernt ist "ihr eigener Eklektiker" zu werden, wie sie bereits 1984 orakelte. Ihre jüngsten Arbeiten sind erfrischend, kraftvoll, selbstironisch und mischfarbenfroh.

Das Entrée mit "Farbenfresser", "Die gute Hirtin" und "Zwei Arten zu sein" ist wohlüberlegt gewählt, denn es eröffnet den Lassnig'schen Bilderreigen mit den ihr eigenen Archetypen. Insbesondere Letztgenanntes besitzt eine Schlüsselfunktion, die ihr lebenslanges Gefangen-Sein in den Welten der Netzhautbilder und der Vorstellungsbilder symptomatisch auf den Punkt bringt - die Gegenüberstellung von außen gesehener Welt zur physischen Empfindungswelt. Seit den siebziger Jahren bildet dies den Motor ihres Schaffens, denn: "ich suchte nach einer realität, die mehr in meinem besitz wäre als die außenwelt und fand als solche das von mir bewohnte körpergehäuse, die realste realität am deutlichsten vor." Um die janusköpfige Skulptur "Glas im schwarzen Kopf" herum reihen sich die Selbstporträts; Lassnig mal weinend, desillusioniert, versöhnt, mal mit Prothese, Kochtopf, als Mutter Natur und mit den "mysteriösen Wesen" Meerschweinchen, Hase, Frosch und Affe. Der Esel, den sie als "die gute Hirtin" anstelle eines Schafes über der Schulter trägt, entbehrt nicht einer gewissen Symbolik; gilt er doch als Zeichen der Trägheit, der Sturheit. Lassnig überwindet seit jeher gängige Dogmatismen, denn Malerei ist für sie "eine Frage der Zeit." Verschiedene Arten zu sehen bedeutet nichts anderes als verschiedene Arten zu sein, und so lädt das Kunsthaus Zürich bis Anfang Februar ein, zwei bedeutende Malerinnen mit ihrem unterschiedlichen Werk zu vergleichen.

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