Er war schon da, ehe wir Jüngeren in der Kulturredaktion
angefangen haben. Er blieb uns ein Maßstab, bisweilen auch Reibebaum. Er
war ein Freundlicher, Verläßlicher, Fleißiger. Seine letzten Termine
konnte er nicht mehr wahrnehmen, nicht zur Überreichung eines Wiener
Ehrenzeichens kommen, nicht zur Polen-Schätze-Schau ins Kunsthistorische
Museum und nicht zu Paul Flora im Palais Harrach. Er lag schon im Spital,
wo man im Sommer zu der für einen Kunstkritiker besonders tragischen
Netzhautablösung auch noch Krebszellen diagnostiziert hat. Als er das in
einem Rundbrief seine Freunde und Kollegen wissen ließ, ahnte wohl jeder,
daß ihnen Kristian Sotriffer in seiner herb-vornehmen Art Adieu gesagt
hat.
Die Kindheit des am 3. Oktober 1932 geborenen
Bozners war von ethnischen Säuberungen überschattet. Die Italiener
verboten die deutschen Schulen, Hitler evakuierte Südtiroler dorthin, wo
er das Deutschtum förderte. Kristian Sotriffer kam mit zehn in eine
Heimschule für Volksdeutsche im Elsaß, floh in den Schwarzwald und blieb
in Schwaben, begann eine Setzer- und Buchhändlerausbildung - kam über
Verlagsarbeit in Köln und München 1957 nach Wien, zuerst zum
Schroll-Verlag.
Als Kunstkritiker begann er 1962 in der "Presse". Das
waren Aufbruchsjahre, da formierten sich junge Wilde, Verzweifelte und
Poseure zu Aktionsgruppen, da fingen die "Wirklichkeiten" an - da gab es
auch Betriebsflüchter, denen bald kein Hahn nachkrähte, außer eben der
treue und qualitätsbewußte Sotriffer.
Ein On-dit verfolgte ihn: Er habe selber als Künstler
reüssieren wollen. In Paul Floras Innsbrucker Arbeitszimmer hängen etliche
Sotriffer-Blätter. Gewiß ist: Er kannte und schätzte das solide Handwerk,
und bewährte sich darum auch in seinem ersten erlernten: als Programm- und
Produktionschef einer edlen Kunstbuch-Edition, die sich der Wiener Drucker
Tusch leistete.
Sotriffers breites Wissen schlug sich in etlichen
Standardwerken nieder: "Malerei und Plastik in Österreich von Makart bis
Wotruba", "Die Druckgraphik". Im Sammelbuch "Das größere Österreich" ließ
er durch viele jüngere Wissenschaftler das kulturelle Erbe sortieren,
bewerten.
Als einer, den Tolomei, Mussolini und Hitler um Kindheit
und Heimat gebracht hatten, strebte er zurück in die Täler, auf die
Bergbauernhöfe und Almen in seinem Buch "Die verlorene Einheit - Haus und
Landschaft zwischen Alpen und Adria"; es hätte auch "Die verlorene Heimat"
heißen können. Er publizierte das einzige nennenswerte Buch in Österreich
über Slowenien vor dessen Selbständigwerdung (unter dem kulturhistorischen
Titel "Die Krain"). In seinen volkskundlichen Photodokumentationen
überlebten längst abgetragene Heuharpfen und Stadel. Mit Karin Brandauer
drehte er 1979 einen Film über Kubin (in dessen Bann er lebenslang blieb).
Kristian Sotriffer hinterließ ein Werk - zerstreut in
unzähligen Einzelaufsätzen, zusammengehalten durch an den Meistern
geschulte und immer respektvolle Sehweisen. Er wußte, wie der Kunstbetrieb
funktioniert, bremste beim vorschnellen Hochjubeln, blieb jedoch einmal
akzeptierten Künstlern verbunden, auch in deren Krisentagen.
Zuerst ist ein großes Auge zerbrochen, danach ein weites
Herz. Adieu.
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