diepresse.com
zurück | drucken
20.12.2002 - Kultur News
Kristian Sotriffer: Autorität in Kunstfragen, herber Charakter mit großem Herz
Kristian Sotriffer hat vierzig Jahre lang den "Presse"-Lesern Kunst, Kulturgeschichte und auch alltägliche Geschmacksfragen erläutert. Am Donnerstag ist er in Wien gestorben.
VON HANS HAIDER


Er war schon da, ehe wir Jüngeren in der Kulturredaktion angefangen haben. Er blieb uns ein Maßstab, bisweilen auch Reibebaum. Er war ein Freundlicher, Verläßlicher, Fleißiger. Seine letzten Termine konnte er nicht mehr wahrnehmen, nicht zur Überreichung eines Wiener Ehrenzeichens kommen, nicht zur Polen-Schätze-Schau ins Kunsthistorische Museum und nicht zu Paul Flora im Palais Harrach. Er lag schon im Spital, wo man im Sommer zu der für einen Kunstkritiker besonders tragischen Netzhautablösung auch noch Krebszellen diagnostiziert hat. Als er das in einem Rundbrief seine Freunde und Kollegen wissen ließ, ahnte wohl jeder, daß ihnen Kristian Sotriffer in seiner herb-vornehmen Art Adieu gesagt hat.

Die Kindheit des am 3. Oktober 1932 geborenen Bozners war von ethnischen Säuberungen überschattet. Die Italiener verboten die deutschen Schulen, Hitler evakuierte Südtiroler dorthin, wo er das Deutschtum förderte. Kristian Sotriffer kam mit zehn in eine Heimschule für Volksdeutsche im Elsaß, floh in den Schwarzwald und blieb in Schwaben, begann eine Setzer- und Buchhändlerausbildung - kam über Verlagsarbeit in Köln und München 1957 nach Wien, zuerst zum Schroll-Verlag.

Als Kunstkritiker begann er 1962 in der "Presse". Das waren Aufbruchsjahre, da formierten sich junge Wilde, Verzweifelte und Poseure zu Aktionsgruppen, da fingen die "Wirklichkeiten" an - da gab es auch Betriebsflüchter, denen bald kein Hahn nachkrähte, außer eben der treue und qualitätsbewußte Sotriffer.

Ein On-dit verfolgte ihn: Er habe selber als Künstler reüssieren wollen. In Paul Floras Innsbrucker Arbeitszimmer hängen etliche Sotriffer-Blätter. Gewiß ist: Er kannte und schätzte das solide Handwerk, und bewährte sich darum auch in seinem ersten erlernten: als Programm- und Produktionschef einer edlen Kunstbuch-Edition, die sich der Wiener Drucker Tusch leistete.

Sotriffers breites Wissen schlug sich in etlichen Standardwerken nieder: "Malerei und Plastik in Österreich von Makart bis Wotruba", "Die Druckgraphik". Im Sammelbuch "Das größere Österreich" ließ er durch viele jüngere Wissenschaftler das kulturelle Erbe sortieren, bewerten.

Als einer, den Tolomei, Mussolini und Hitler um Kindheit und Heimat gebracht hatten, strebte er zurück in die Täler, auf die Bergbauernhöfe und Almen in seinem Buch "Die verlorene Einheit - Haus und Landschaft zwischen Alpen und Adria"; es hätte auch "Die verlorene Heimat" heißen können. Er publizierte das einzige nennenswerte Buch in Österreich über Slowenien vor dessen Selbständigwerdung (unter dem kulturhistorischen Titel "Die Krain"). In seinen volkskundlichen Photodokumentationen überlebten längst abgetragene Heuharpfen und Stadel. Mit Karin Brandauer drehte er 1979 einen Film über Kubin (in dessen Bann er lebenslang blieb).

Kristian Sotriffer hinterließ ein Werk - zerstreut in unzähligen Einzelaufsätzen, zusammengehalten durch an den Meistern geschulte und immer respektvolle Sehweisen. Er wußte, wie der Kunstbetrieb funktioniert, bremste beim vorschnellen Hochjubeln, blieb jedoch einmal akzeptierten Künstlern verbunden, auch in deren Krisentagen.

Zuerst ist ein großes Auge zerbrochen, danach ein weites Herz. Adieu.



© Die Presse | Wien