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Tamara de Lempicka: Femme finale

11.04.2009 | 18:51 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

Als Modedesigner Wolfgang Joop sich von seiner Frau trennte, nahm er nur ein Bild Tamara de Lempickas von der Wand und ging. Jetzt lässt er seine zehn Gemälde versteigern.

Sie war der Inbegriff des Vamps des Fin de Siècle, rauchte drei Schachteln Zigaretten am Tag, schnupfte Kokain in der Nacht, erschien schon einmal nackt auf einer Party, diskutierte in den Cafés mit der Avantgarde, schlief mit den schönsten Männern und Frauen – ach ja, und malte diese. Und zwar in einem unvergleichlichen Stil, eiskalt und trotzdem extrem sinnlich. Einmal gesehen, vergisst man die Bilder der Tamara de Lempicka nicht mehr, das weiß auch Wien spätestens seit der Ausstellung im Bank-Austria-Kunstforum vor mittlerweile auch schon fünf Jahren.

Größter Leihgeber war damals der deutsche Modedesigner Wolfgang Joop („Wunderkind“), der seine komplette Kunstsammlung rund um Lempicka aufgebaut hatte. Anfang der 70er-Jahre, erzählte er damals der „Presse“, hatte er ihre Bilder entdeckt, hatte im Café de Flor zufällig zu einem Katalog gegriffen – „Das war, als hätte jemand meine Vision des Frauenbilds ausgedruckt!“

Ikonen am Markt. Immerhin änderte sich seine Vision nicht ganz so schnell wie seine Mode, aber doch. Am 5. und 6. Mai lässt Joop jetzt in New York die zehn Gemälde seiner Lempicka-Kollektion bei Sotheby's versteigern, darunter Ikonen wie „Das Telefon II“, das Porträt der Marjorie Ferry von 1932 und das Porträt der Herzogin de la Salle, geschätzt auf vier bis sechs Millionen Dollar. Kein Fantasiepreis – der Rekord für ein Lempicka-Gemälde wurde 2004 mit 4,6 Mio. Dollar erreicht. Marika de la Salle de Rochemaure war geborene Griechin, Lempicka zeigt sie 1925 am spektakulären Höhepunkt ihres dekadenten Lebens: Als Metapher der „Hure Babylon“ in strengem schwarzem Männeranzug mit weißem, weit aufgeknöpftem Hemd, lehnt sie lässig und breitbeinig an einem Podest, ihre linke Hand weist wie zufällig auf ihren Schoss, ihr Blick unter der helmartigen schwarzen Pagenfrisur richtet sich herausfordernd direkt auf den Betrachter. Im Hintergrund: eine kubistische, apokalyptische Stadtlandschaft.

Erste Frau, die „sauber“ malte. Strahlende Farben, klare Formen, verruchte Inhalte, das war Lempickas Konzept, mit dem sie in der Zwischenkriegszeit zur berühmtesten und sagenumwobensten Porträtistin der (vorwiegend weiblichen) Schönen und Reichen aufstieg, was die Kunstwelt naserümpfend goutieren musste. „Ich war die erste Frau, die klar und sauber malte – und das war der Grund für meinen Erfolg“, meinte sie. Rückblickend war sie auch die Porträtistin der starken, selbstbestimmten, modernen Frau, die in Autos sitzt, Hosen trägt oder telefoniert.

In den 1940er-Jahren ging es trotzdem bergab, sie wanderte mit ihrem zweiten Mann, einem Baron Kuffner, in die USA aus, schien aber ihren scharfen Blick für die Gesellschaft zurückgelassen zu haben. An Selbstbewusstsein hatte es der 1898 ins Warschauer Großbürgertum geborenen Malerin jedenfalls nie gemangelt, nicht als verwöhnte Jugendliche in St. Petersburg, die gegen aller Willen den berüchtigten Playboy Lempicki heiratete. Nicht als mittellose Immigrantin in Paris, die sich auf der Kunstakademie das Rüstzeug holte, um nur ja schnell reich und berühmt zu werden und sich ins Nachtleben zu stürzen. Nicht, als sie gerade Gabriele d'Annunzio mit all ihren Mitteln zum Porträtsitzen bewegen wollte. Und schon gar nicht als skurrile alte Dame mit Zigarettenspitz und Pelzmantel, die von Mexiko aus ihre Tochter und deren Familie piesackte – 1980 starb Lempicka, ihre Tochter Kizette, festgehalten auf wunderbaren Mädchenporträts, verstreute ihre Asche auf ihren Wunsch hin über dem Vulkan Popocatepetl.

Dass dieser Lebensentwurf, der dekadente Art-déco-Kunst und einen ausschweifenden, bisexuellen Lifestyle verband, zumindest in seiner glamourösesten Phase zwischen 1919 und 1929 viele Stars anspricht, ist nicht weiter verwunderlich. Jack Nicholson, Madonna und eben das Chamäleon Wolfgang Joop sammelten Lempicka-Gemälde. Selbst als er sich von seiner Ehefrau trennte, erzählte er der „Presse“ damals im Vorfeld der Kunstforum-Ausstellung, „nahm ich nur ein Bild von Tamara von der Wand und ging“.

Alles nur eine Mär? Jein. Der FAZ verriet er den Trennungsgrund von Lempicka nach 30 Jahren: „Wir müssen uns voneinander befreien.“ Erstens möchte er selber wieder künstlerisch tätig sein. Zweitens waren die meisten der Bilder sowieso ständig auf Reisen, wie damals in Wien. Nur mit einem Gemälde lebte er ständig, „À l'opéra“, das er 1967 um 30.000 Dollar Andy Warhol vor der Nase weggeschnappt hatte. Jetzt kommt es, auf 300.000 bis 400.000 Dollar geschätzt, in der New Yorker Tagesauktion der „Modern and Impressionist Art“ am 6. Mai unter den Hammer.

Eine Wirtschaftskrise mehr. Die auf zwei Auktionen aufgeteilten zehn Gemälde sind jedenfalls die bedeutendste Gruppe an Lempicka-Werken, die je auf den Markt kam. Mit der Wirtschaftskrise, betont Joop, sollen die Verkäufe jedenfalls nichts zu tun haben– obwohl potente Sammler zur Zeit nach wertbeständiger Ware, wie es die Lempicka-Bilder sicher sind, gieren. 2008 hat er seine erste internationale Boutique in London eröffnet und außerdem gerade offiziell sein Interesse an einer Übernahme des insolventen Wäscheherstellers Schiesser bekundet. Lempicka kann es egal sein, ihre Kunst hat 1929 schließlich schon einmal eine Weltwirtschaftskrise überstanden.


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