Sie war der Inbegriff des Vamps des Fin de Siècle, rauchte drei Schachteln Zigaretten am Tag, schnupfte Kokain in der Nacht, erschien schon einmal nackt auf einer Party, diskutierte in den Cafés mit der Avantgarde, schlief mit den schönsten Männern und Frauen – ach ja, und malte diese. Und zwar in einem unvergleichlichen Stil, eiskalt und trotzdem extrem sinnlich. Einmal gesehen, vergisst man die Bilder der Tamara de Lempicka nicht mehr, das weiß auch Wien spätestens seit der Ausstellung im Bank-Austria-Kunstforum vor mittlerweile auch schon fünf Jahren.
Größter Leihgeber war damals der deutsche Modedesigner Wolfgang Joop
(„Wunderkind“), der seine komplette Kunstsammlung rund um Lempicka
aufgebaut hatte. Anfang der 70er-Jahre, erzählte er damals der
„Presse“, hatte er ihre Bilder entdeckt, hatte im Café de Flor zufällig
zu einem Katalog gegriffen – „Das war, als hätte jemand meine Vision
des Frauenbilds ausgedruckt!“
Ikonen am Markt. Immerhin
änderte sich seine Vision nicht ganz so schnell wie seine Mode, aber
doch. Am 5. und 6. Mai lässt Joop jetzt in New York die zehn Gemälde
seiner Lempicka-Kollektion bei Sotheby's versteigern, darunter Ikonen
wie „Das Telefon II“, das Porträt der Marjorie Ferry von 1932 und das
Porträt der Herzogin de la Salle, geschätzt auf vier bis sechs
Millionen Dollar. Kein Fantasiepreis – der Rekord für ein
Lempicka-Gemälde wurde 2004 mit 4,6 Mio. Dollar erreicht. Marika de la
Salle de Rochemaure war geborene Griechin, Lempicka zeigt sie 1925 am
spektakulären Höhepunkt ihres dekadenten Lebens: Als Metapher der „Hure
Babylon“ in strengem schwarzem Männeranzug mit weißem, weit
aufgeknöpftem Hemd, lehnt sie lässig und breitbeinig an einem Podest,
ihre linke Hand weist wie zufällig auf ihren Schoss, ihr Blick unter
der helmartigen schwarzen Pagenfrisur richtet sich herausfordernd
direkt auf den Betrachter. Im Hintergrund: eine kubistische,
apokalyptische Stadtlandschaft.
Erste Frau, die „sauber“ malte.
Strahlende Farben, klare Formen, verruchte Inhalte, das war Lempickas
Konzept, mit dem sie in der Zwischenkriegszeit zur berühmtesten und
sagenumwobensten Porträtistin der (vorwiegend weiblichen) Schönen und
Reichen aufstieg, was die Kunstwelt naserümpfend goutieren musste. „Ich
war die erste Frau, die klar und sauber malte – und das war der Grund
für meinen Erfolg“, meinte sie. Rückblickend war sie auch die
Porträtistin der starken, selbstbestimmten, modernen Frau, die in Autos
sitzt, Hosen trägt oder telefoniert.
In den 1940er-Jahren ging es trotzdem bergab, sie wanderte mit ihrem zweiten Mann, einem Baron Kuffner, in die USA aus, schien aber ihren scharfen Blick für die Gesellschaft zurückgelassen zu haben. An Selbstbewusstsein hatte es der 1898 ins Warschauer Großbürgertum geborenen Malerin jedenfalls nie gemangelt, nicht als verwöhnte Jugendliche in St. Petersburg, die gegen aller Willen den berüchtigten Playboy Lempicki heiratete. Nicht als mittellose Immigrantin in Paris, die sich auf der Kunstakademie das Rüstzeug holte, um nur ja schnell reich und berühmt zu werden und sich ins Nachtleben zu stürzen. Nicht, als sie gerade Gabriele d'Annunzio mit all ihren Mitteln zum Porträtsitzen bewegen wollte. Und schon gar nicht als skurrile alte Dame mit Zigarettenspitz und Pelzmantel, die von Mexiko aus ihre Tochter und deren Familie piesackte – 1980 starb Lempicka, ihre Tochter Kizette, festgehalten auf wunderbaren Mädchenporträts, verstreute ihre Asche auf ihren Wunsch hin über dem Vulkan Popocatepetl.
Dass dieser Lebensentwurf, der dekadente Art-déco-Kunst und einen ausschweifenden, bisexuellen Lifestyle verband, zumindest in seiner glamourösesten Phase zwischen 1919 und 1929 viele Stars anspricht, ist nicht weiter verwunderlich. Jack Nicholson, Madonna und eben das Chamäleon Wolfgang Joop sammelten Lempicka-Gemälde. Selbst als er sich von seiner Ehefrau trennte, erzählte er der „Presse“ damals im Vorfeld der Kunstforum-Ausstellung, „nahm ich nur ein Bild von Tamara von der Wand und ging“.
Alles nur eine Mär? Jein. Der FAZ verriet er den Trennungsgrund von
Lempicka nach 30 Jahren: „Wir müssen uns voneinander befreien.“ Erstens
möchte er selber wieder künstlerisch tätig sein. Zweitens waren die
meisten der Bilder sowieso ständig auf Reisen, wie damals in Wien. Nur
mit einem Gemälde lebte er ständig, „À l'opéra“, das er 1967 um 30.000
Dollar Andy Warhol vor der Nase weggeschnappt hatte. Jetzt kommt es,
auf 300.000 bis 400.000 Dollar geschätzt, in der New Yorker
Tagesauktion der „Modern and Impressionist Art“ am 6. Mai unter den
Hammer.
Eine Wirtschaftskrise mehr. Die auf zwei Auktionen
aufgeteilten zehn Gemälde sind jedenfalls die bedeutendste Gruppe an
Lempicka-Werken, die je auf den Markt kam. Mit der Wirtschaftskrise,
betont Joop, sollen die Verkäufe jedenfalls nichts zu tun haben– obwohl
potente Sammler zur Zeit nach wertbeständiger Ware, wie es die
Lempicka-Bilder sicher sind, gieren. 2008 hat er seine erste
internationale Boutique in London eröffnet und außerdem gerade
offiziell sein Interesse an einer Übernahme des insolventen
Wäscheherstellers Schiesser bekundet. Lempicka kann es egal sein, ihre
Kunst hat 1929 schließlich schon einmal eine Weltwirtschaftskrise
überstanden.