Salzburger Nachrichten am 12. April 2006 - Bereich: Kultur
Rendezvous in der Geschlechterkampfzone

"per.form>d<ance#6": drei Choreografien der Salzburger Performancetage, die unter dem Motto "ER-Lösungen" stehen

CLEMENS PANAGLSALZBURG (SN). Die Braut trägt braun. Wie ein Hochzeitskleid hat sich die Tänzerin einen riesengroßen Bogen Packpapier um ihren Körper geschlungen. Ihr Gegenüber nimmt ein herunterhängendes Stück und setzt es ihr als Schleier auf. Wenige Minuten zuvor hat der Riesenpapierbogen noch den ganzen Bühnenboden in der ARGEkultur bedeckt, und als Spiel- und Kampfzone in einer Begegnung zwischen Frau und Mann gedient.

Die Liebe - ein Schlachtfeld: In ihrem Tanzstück "Lovers and Other Strangers" lässt Rafaële Giovanola, Choreografin und Chefin des Bonner Kollektivs Cocoondance ihre beiden Protagonisten Viviana Escale und Volkhard Samuel Guist zwischen Zuneigung und Widerwillen taumeln, zwischen Zärtlichkeit und Gewalt straucheln. Eine Demarkationslinie trennt zunächst die Sphären der beiden Akteure , ihre Übertretung führt unweigerlich zum expressiv choreografierten Schlagabtausch.

Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus? Mit einseitigen Unterdrückungsklischees gibt sich Regisseurin Giovanola nicht zufrieden, und verweist im Programmtext auf von US-Soldatinnen gefolterte Iraker ebenso wie auf vergewaltigte bosnische Frauen.

Täter und Opfer - mit solchen Fragen hätte die Choreografie, die am Montagabend im Rahmen der Salzburger "per.form>d<ance#6"-Tage zu sehen war, thematisch auch eine Brücke zu der Prozession "ER-Lösung" geschlagen, die im Rahmen des Festivals für Karfreitag geplant war, nach Drohungen gegen die Künstler jedoch am Dienstag abgesagt wurde (Lokalteil, S. 4, 5). Auf einer anderen, letztlich konkreter greifbaren Ebene spielen sich in "Lovers and Other Strangers" jedoch ganz einfach Szenen einer Beziehung zwischen Abgrenzung und Annäherung, Sehnsucht und Zurückweisung ab. Vom anfänglichen Geschlechterwettkampf bis zum finalen Unterhosen- und Rollentausch bleibt dabei viel, mitunter zu viel Zeit, sich im tänzerischen Mann-Frau-Diskurs zu verlieren.

Ein Kontrastprogramm bescheren dazu Lea Chapková und Linda Samaraweerová. Haben zuvor Escale und Guist den Raum mit großen, dramatischen Gesten gefüllt, kultivieren die beiden "tanzpool"-Vertreterinnen den Minimalismus: In "vteriny na vyber - Sekunden zur Auswahl" teilen sie sich als paradoxes Zwillingspaar den Bühnenboden und erforschen zur Musik von "Star Wars" in reduziertem Bewegungsspiel Unterschiede und Gleichheiten. Erfrischend unkonzeptionell zum Schluss: das Musical-Tanz-Theater "pigs can't fly" von SEAD-Studentinnen.