Kino und Kunst gehen oft eine ungleiche
Symbiose ein. Bildende Kunst zeigt sich seit den 80er Jahren
institutionskritisch, wurde aber als solche von den Institutionen wie
Museen und Ausstellungshallen immer mehr vereinnahmt. Film benötigt keine
Institution, sondern lediglich einen Projektor und eine Leinwand.
Dan Graham, der 1946 geborene amerikanische Interventionskünstler,
schuf 1981 ein "Cinema Modell", das mit der Öffentlichkeit von Kino,
Innen- und Außenansichten und verschiedenem Publikum gekonnt spielt.
Wände als Leinwand
Das Kinomodell ist Teil eines modernen Bürogebäudes, das an einer
Straßenecke gelegen ist und dessen Fassade aus Spiegelglas besteht. Das
Kino hat keine Leinwand, sondern einen halb-transparenten leicht gebogenen
Projektionsschirm, der aus einem Zwei-Wege-Spiegel besteht.
Auch die Fassade des Bürohauses ist ein Zwei-Wege-Spiegel, der, dort wo
Licht auftrifft, als Spiegel funktioniert, ansonsten aber durchsichtig
bleibt.
Blickrichtungen
Interessant ist, dass sich die Blicke der Passanten außen und die der
Kinobesucher im Inneren nie treffen werden, obwohl sie sich vielleicht
gleichzeitig durch das Spiegelglas beobachten. Wenn das Kino beleuchtet
ist, können Passanten auf der Straße das Kinopublikum beobachten, ohne von
ihm gesehen zu werden. Das Kinopublikum sieht währenddessen nur sich
selber in Seitenwänden und auf dem Projektionsschirm.
Firmenpolitik
Umgekehrt ist die Situation, wenn der Film läuft und auf der Straße
mehr Licht vorherrscht. Dann kann das Kinopublikum durch die Wände
Passanten beobachten.
Grahams Spiel mit den Spiegeln basiert auf der Idee der "corporate
city", deren Fassaden seit den 60er Jahren aus Zwei-Wege-Spiegeln
bestehen, die jedoch so eingesetzt waren, dass sie nur eine Blickrichtung
zuließen: den aus dem Firmengebäude hinaus.
Filmtheorie
Natürlich ist Grahams "Cinema" ein Diapositiv, das mit voyeuristischen,
narzistischen und exhibitionistischen Erfahrungswerten jongliert. Doch
wissen beide Gruppen ohne sich zu sehen um die jeweilige andere. Das
bricht die Identifikation mit den Charakteren des Films wie dem Kamerabild
und dem Spiegelbild auf. Ein Effekt, der für das Kino untypisch ist und
seinem innersten Wesen widerspricht.
Mit diesem eigenwilligen Kinomodell nimmt Dan Graham auch auf die
Filmtheorie von Christian Metz Bezug, der von einer Kinoleinwand als
metaphorischen Spiegel spricht. Ein Spiegel, in dem die Unendlichkeiten
der Seele sichtbar werden können.