Shigeru Ban erfand das Papierhaus auf Bierkisten und
bescherte damit Tausenden Flüchtlingen menschenwürdige temporäre
Unterkünfte. Warum er unzufrieden wäre, würde er nur für die reiche
Klientel bauen, erklärte er im Gespräch mit Ute Woltron.
Wien - Im Universum der internationalen Spitzenarchitekten nimmt der
Japaner Shigeru Ban eine Sonderstellung ein. Erstens ist der Mann aus
Tokio mit 45 Jahren vergleichsweise immer noch ein Architekturjüngling,
zweitens ist er trotz kometenhaften Aufstiegs auf erfrischende Weise
bodenständig geblieben. Diverse Sozialprojekte wie rasch und preiswert
produzierte Flüchtlings-und Notunterkünfte für Ruanda 1994 und Kobe nach
dem Erdbeben 1995 sowie der unkonventionelle Einsatz von Billigmaterialien
wie Papier als Konstruktionsstoff und Bierkisten als temporäres Fundament
haben den Japaner sehr rasch international bekannt gemacht.
Aufsehen erregte Shigeru Ban zuletzt mit dem japanischen Pavillon für
die Expo in Hannover, für den er Papierrohre zu einem elegant-gewagten
riesigen Hallenkonstrukt verband. Für betuchte japanische Klienten baute
er in den letzten Jahren klare, unverwechselbare und stets mit Details und
Konstruktion überraschende Villen. Derzeit arbeitet der Architekt an so
unterschiedlichen Aufgaben wie einer Schule für die Unicef im Süden des
Sudan, einer Parkanlage in St. Louis, Missouri, oder einem Museum im
französischen Dijon.
Am Dienstag war der international gefragte Bauvirtuose zu Gast am
Institut für Raumgestaltung der TU Wien, um einen Vortrag zu halten. Zuvor
traf DER STANDARD Shigeru Ban zu einem
Gespräch.
STANDARD: Sie sind unter den so genannten
Architekturstars derzeit einer der Jüngsten. Wie konnten Sie dermaßen
rasch international reüssieren?
Shigeru Ban: Ich arbeite ja
immerhin schon seit 17 Jahren als Architekt. Ich denke aber, dass ich vor
allem durch meine Flüchtlingsunterkünfte aus Papier Einfluss bekommen
habe, denn erstens war die Wahl des Materials ungewöhnlich, zweitens
zeichnen sich Architekten nicht oft durch humanitäre Arbeit aus.
STANDARD: Während Ihre schillernden Zeitgenossen
für reiche Auftraggeber Einzelobjekte schmieden, haben Sie unaufgefordert
für mittellose Massen gebaut und wurden erst später von Klienten für
Projekte engagiert. Welche Art zu arbeiten ist Ihnen retrospektiv
sympathischer?
Ban: Architekten haben immer schon fast
ausschließlich für Privilegierte, Reiche, Könige und große Unternehmen
gearbeitet. Das ist auch heute noch so. Ich denke aber, wir Architekten
sollten darüber hinaus eine Verantwortung wahrnehmen und unser Wissen und
unsere Erfahrung auch an die Gesellschaft weitergeben, also an diejenigen,
die sich eine solche Architektur eigentlich nicht leisten können. Ich fand
dieses Einzelauftraggebertum immer unbefriedigend und habe einen Weg
gesucht, um gesellschaftlich aktiv zu werden.
STANDARD:
Sie haben für Ruanda Notunterkünfte aus Papierrollen gebaut,
das Fundament stellten Bierkisten dar. Diese Häuser waren billig,
funktional, sauber, haltbar. Solche Ideen haben zwar andere auch, aber wie
konnten Sie Ihre Vision realisieren?
Ban: Die Leute haben
damals Bäume gefällt, als Unterkonstruktion verwendet und mit
Plastikplanen Hütten gebaut. Das war ökologisch natürlich eine Katastrophe
und auch sonst unbefriedigend. Ich bin nach Genf gefahren und habe meine
Pläne dem UN-Commissioner for Refugees vorgelegt, und tatsächlich war mein
Vorschlag genau das, was man gesucht hatte: Papier gibt es überall,
Bierkisten auch, das Assemblieren ging rasch, alles war sehr billig. Im
Jahr darauf passierte das Erdbeben in Kobe, wo ähnliche Unterkünfte
verwendet wurden.
STANDARD: Japan hat dankbar
Ihre Erfindung aufgegriffen?
Ban: Aber nein, ich habe die
Mittel selbst aufgebracht, indem ich in Radio und TV auftrat und um
Spenden bat. Die Leute haben damals wieder unter Plastikplanen in Parks
gelebt, weil die Notunterkünfte am Stadtrand lagen und sie von dort aus
ihrer Arbeit im Zentrum nicht hätten nachgehen können. Teilweise waren die
Papierhäuser bis zu zwei Jahre lang bewohnt.
STANDARD: Sie haben in den USA studiert, warum
sind Sie nach Japan zurückgegangen?
Ban: Zufall. Meine
Mutter brauchte ein kleines Haus - mein erster Auftrag. Als das fertig
war, kamen die nächsten, und ich konnte gar nicht mehr weg. Rückblickend
sehe ich das als ein großes Glück an, denn in den USA ist zwar die
Ausbildung vorzüglich, doch es gibt im Gegensatz zu Japan kaum
Möglichkeiten für junge Architekten. Hier ist es selbstverständlich, dass
auch die Mittelschicht Architekten für ihre Häuser anheuert, während das
etwa in Europa nur die Reichen tun, und die wollen zumeist nur
Konventionelles.
STANDARD: Die neuen japanischen
Wohnhäuser haben auch hier Berühmtheit erlangt. Dabei ist der Beruf des
Architekten in Japan eigentlich neu.
Ban: Genau. Es gibt
keine Geschichte der Architektur in Japan, doch der Lebensstil ändert sich
rasant, was neue Häuser erfordert und dem neuen, hier vielleicht hundert
Jahre alten Beruf des Architekten viele Aufträge beschert. Meine
Großeltern lebten noch in einem traditionell japanischen Haus mit
Tatami-Matten. Meine Generation will das nicht mehr. Außerdem entstehen
laufend neue, immer kleinere Grundstücke, da die Erbschaftssteuer so hoch
ist, dass meist die Hälfte des geerbten Grundstücks verkauft und neu
verbaut wird.
STANDARD: Sie selbst haben neben
den Billigunterkünften einige sehr elegante und auch teure Häuser gebaut.
Worauf kommt es Ihnen in Ihrer Architektur eigentlich an?
Ban: Formales Design interessiert mich nicht. Ich will
Materialien überraschend einsetzen, ich will neue Konstruktionen finden
und gemeinsam mit dem Material ein neues Vokabular entwickeln. Derzeit
arbeite ich etwa mit kunstharzverstärktem Bambus, dessen Tragkraft
zwischen der von Holz und Stahl liegt. Ich versuche gerade eine Schule für
die Unicef im Sudan so zu konstruieren, wende dasselbe Material aber auch
in China an, wo neben der Großen Mauer ein exklusives Villenviertel
entsteht.
STANDARD: Wie gehen Sie im
Stararchitektenzirkus mit Ihrer Popularität um?
Ban: Viele
Leute werden arrogant und produzieren nur noch Mist. Ich versuche sehr
sorgfältig, das zu vermeiden. Ich will auch für kleine Projekte
enthusiastisch bleiben. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.6.2002)