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Wien
‹Out of Actions› im MAK – österreichisches Museum für angewandte Kunst
von Christian Kravagna
Happening, Fluxus, Performance und Aktionismen aus fast aller Welt, mit allen Grössen und noch mehr Entdeckungen präsentiert das MAK in bisher nicht dagewesener Breite.

Es wäre wohl kaum übertrieben, das moderne Museum als die Institution der Geschichtsverfälschung schlechthin zu betrachten. Kommt ihm doch bei der Bildung von Begriff und Vorstellung von der Kunst des 20. Jahrhunderts die grösste Bedeutung zu, eine Bedeutung die es fast durchwegs dazu nutzt, eine selektive, auf wenige Medien und Haltungen verengte Darstellung anzubieten.

Zu den systematisch ausgeschlossenen Bereichen gehören gerade jene, in denen die grundsätzlichen Fragen nach dem Status von Autor, Werk und Rahmen neu verhandelt und die Möglichkeiten sozialer Relevanz überprüft wurden. Zu einem grossen Teil sind es die handlungs-, zeit- und ortsgebundenen künstlerischen Praktiken, von denen seit den 60er Jahren die wesentlichsten Beiträge dazu kommen. Die schiere Fülle und Vielfalt (400 Arbeiten von 150 KünstlerInnen) der in ‹Out of Actions – Zwischen Performance und Objekt 1949 – 1979› präsentierten performativen Äusserungen beweist, wie unterrepräsentiert die nicht objekthafte Kunst im museal geprägten kollektiven Bewusstsein nach wie vor ist. Wenn also die Ausstellung zunächst beinah vorbehaltlose Begeisterung über das Eröffnen einer ‹anderen Kunstgeschichte› hervorruft, die so viel lebendiger erscheint als der allgemeine Kanon musealisierter Meisterwerke, so befremdet es zugleich, unter welcher Perspektive an diese Geschichte herangegangen wird.

Was das Lebendige der hier überblickten Kunstformen ausmacht, ist letztlich wohl ihr Aufbrechen traditioneller Verhältnisse von Produktion und Rezeption in kommunikative, kollektive und partizipatorische Ereignisse, die nicht nur den Künstlern und Künstlerinnen, sondern vor allem auch dem Publikum/den Teilnehmern neue Rollen zuweisen. Ob sie unmittelbar schockieren, herausfordern oder identitätsstiftend wirken, ob sie kathartische, therapeutische, befreiende, agitatorische oder subversive Zwecke verfolgen, sie arbeiten an der Aufhebung der Grenze zwischen Werk und Betrachter, gegen das distanziert-konsumistische Wahrnehmungsverhalten, das sich im Objekt manifestiert. Paul Schimmel, Kurator am MOCA in Los Angeles, wo die Ausstellung zuerst gezeigt wurde, konzentriert sich allerdings auf das Verhältnis ‹zwischen Performance und Objekt›, den Einfluss der handlungsorientierten Ansätze auf das Werk. Damit arbeitet er tendenziell an der Rückbindung der radikalen Neuformulierungen künstlerischer Praxis an das Objekt, was ihm gottseidank nur im ersten Teil der Ausstellung ‹gelingt›, wo ausgehend vom Bild als Arena bei Pollock über die Aktionsmalerei der Gutai-Gruppe, die Anthropometrien von Klein, die Bildtafeln und Relikte der Wiener Aktionisten, Fluxus-Objekte und solche von Rauschenberg oder Dine tatsächlich eher bekannte Museumsware die Szene beherrscht. Auch die Rekonstruktionen von ortsspezifischen Environments wie Oldenburgs ‹Store›, 1961, oder Kaprows ‹Yard›, 1961, geben wenig Aufschluss über die Erfahrungs- und Handlungszusammenhänge, in denen sie einst funktionierten.

Der weit interessantere Teil ist der über die späten 60er und 70er Jahre, wo Ereignisse nicht mehr materiell eingefroren, sondern einfach fotografisch, in Videos und Texten präsent sind. Schimmel betont die Internationalität und weltweite Vernetztheit der Performance-KünstlerInnen und verzichtet deshalb auf eine andere als eine locker chronologische Ordnung. Positiv an diesem Ansatz ist vor allem die Aufwertung produktiver Szenen ausserhalb der dominanten Zentren, etwa die südamerikanische mit Oiticica, Clark, Barrio und Meireles oder die osteuropäischen mit der Moskauer Gruppe Kollektive Aktionen, dem Rumänen Grigorescu etc. oder auch weniger bekannter Szenen innerhalb der Kunstmetropolen, etwa der Londoner mit Medalla, Araeen oder Hiller. Nachteilig wirkt sich das Nebeneinander von Arbeiten verschiedener regionaler Herkunft auf die Wahrnehmbarkeit der völlig unterschiedlichen Produktionsbedingungen aus, unter denen die einzelnen Aktionen entstanden. Während z.B. die Japaner schon früh mit den Massenmedien als Öffentlichkeitsmultiplikator arbeiteten, konnten viele Aktionen in totalitären Gesellschaften, wie in Osteuropa oder Südamerika, nur in privatem oder geheimem Rahmen ausgeführt werden. Die Bedeutung und politische Dimension einer Performance sind aber ohne Kenntnis der Umstände kaum richtig einzuschätzen. An dieser Stelle ist der äusserst brauchbare Katalog zu erwähnen, dessen durchwegs lesenswerte Beiträge dem Mangel an Kontextualisierung in der Ausstellung Abhilfe verschaffen. Dort zeigen sich auch mögliche inhaltliche Strukturierungen, auf welche die Ausstellung verzichtet. Explizit politische, feministische oder partizipatorische Ansätze hätten durchaus stärker zueinander in Beziehung gesetzt werden können, um einzelne Fragestellungen plastischer herauszuarbeiten. Letzlich hat man es aber vielleicht gerade der mangelnden Ordnung zu verdanken, dass sich der kuratorische Fokus auf die Bedeutung der performativen Praktiken für das Objekt nicht durchzusetzen vermag und das weite Feld prozessualer Kunst offen bleibt für ein ebenso breites Spektrum noch nicht beantworteter Fragen.

Der deutsche Katalog mit 360 Seiten und zahlreichen Abbildungen ist im Cantz Verlag erscheinen. Die Ausstellung geht weiter nach Barcelona und Tokyo.

Bis 6. 9.1998

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Ausgabe: 09 / 1998
Ausstellung: ( - )
Institution: MAK Museum für angewandte Kunst (Wien)
Autor/in: Christian Kravagna