Artikel aus profil Nr. 08/2003
„Lieber VW als Ferrari“

Ab Donnerstag ist Daniel Spoerris Werk im Kunsthaus Wien zu sehen. Der Schweizer Objektkünstler über Gigantismus, Rastlosigkeit und die Haute Cuisine.
profil: Herr Spoerri, Sie haben nie Arbeiten gemacht, die größer waren als Sie selbst. Warum?
Spoerri: Weil ich es einfach als unangemessen empfinde, wenn der Mensch sich in die Natur projiziert und dabei größer sein will, als er ist.

profil: Weil er überheblich wird?
Spoerri: Ja. Mir persönlich widerstrebt dieser Gigantismus. Die Überhöhung ist zwar in der Kunst ein gängiges Prinzip, aber eben nicht meines. Wenn Skulpturen so groß sind, dass sie zehn Meter in den Himmel ragen, hat das für mich immer den Beigeschmack des Diktatorischen. Es erinnert mich sofort an all die Stalins, Saddams und Hitlers dieser Welt. Das liegt wahrscheinlich an meiner Biografie.

profil: Sie mussten, weil Sie jüdischer Abstammung sind, mit zwölf im Zweiten Weltkrieg aus Rumänien in die Schweiz fliehen …
Spoerri: Meine Familie wurde vertrieben, diese Heimatlosigkeit ist mir bis heute geblieben. Auch wenn ich so einen Ort, der zur Heimat werden könnte, suche. Deswegen grabe ich mich auch immer eine Zeit lang irgendwo ein – egal, ob das eine griechische Insel oder eine Großstadt ist. Ich mache Territorium für mich geltend. Aber eben nur temporär, ich verlasse diesen Ort dann irgendwann wieder, um neue Aktivitäten zu starten.

profil: So wie vor zehn Jahren, als Sie eine gut dotierte Professur niederlegten, um bei Seggiano in der Toskana ein Stück Land mit Olivenbäumen zu kaufen und einen Skulpturengarten zu realisieren?
Spoerri: Ja, aber auch dort sehe ich mittlerweile meine Aufgabe als erledigt an. Irgendwann kommt einfach immer der Moment, an dem mich so eine Panik befällt, besser gesagt: eine Mischung aus Panik und Fadesse. Natürlich gibt es Leute, die ihr ganzes Leben lang an einer Sache knabbern und nie damit fertig werden. Dagegen ist gar nichts zu sagen. Aber so bin ich einfach nicht. Ich bin ein Widder, also ruhelos.

profil: Diese Rastlosigkeit hat offenbar Methode. Sie waren, bevor Sie Objektkünstler wurden, unter anderem Tänzer, Choreograf, Pionier des absurden Theaters und Herausgeber einer Poesie-Zeitschrift. Standen alle Ihre Aktivitäten immer unter dem Signum der Kunst?
Spoerri: Ja, deswegen war ich auch meine ganze Jugendzeit lang ein armer Schlucker. Ich weiß eigentlich heute gar nicht mehr, wie ich überlebt habe in dieser Zeit, in der ich eigentlich ein großer Dichter sein wollte. Ein Traum, der sich leider nicht realisierte, weil mir eines Nachts, als ich unter einer Brücke übernachtete, alle meine Gedichte gestohlen wurden.

profil: Und dann haben Sie zu tanzen begonnen?
Spoerri: Ja. In den fünfziger Jahren, als wir Veitstänze in den Existenzialistenkellern aufführten – und noch gar nicht wussten, was Existenzialismus überhaupt ist. Man entäußerte sich einfach tänzerisch, weil man keine andere Möglichkeit sah, um zu formulieren, was man eigentlich sagen wollte.

profil: Sie gelten nicht als Freund der Abstraktion. Sie ziehen es vor, Ihre Kunst anekdotisch zu erklären.
Spoerri: Das ist das Jüdische an mir. Ich philosophiere nicht abstrakt, sondern erzähle Geschichten, die dann jeder für sich interpretieren kann. Spoerri über Spoerri eben. Ich finde das besser, als irgendwelche hochtrabenden Statements abzugeben.

profil: Weltberühmt geworden sind mittlerweile Ihre „Fallenbilder“, mit denen Sie, wie Sie einmal sagten, „dem Moment eine Falle stellen wollen“.
Spoerri: Als ich in den sechziger Jahren mit diesem Projekt begann, wäre ich um ein Haar selber in eine Falle getappt. Ich war zu dieser Zeit sehr gut mit Yves Klein befreundet. Er, der ja die ganze Welt blau sehen wollte, machte mir den Vorschlag, auch meine „Fallenbilder“ (Tischplatten, die samt Essensresten und Gedeck an die Wand befördert werden, Anm.), blau anzuspritzen. Zuerst war ich natürlich sehr stolz, Yves Klein war damals schon ein berühmter Mann. Aber dann erkannte ich, dass er mir mit dieser Aktion mein Werk zerstört hätte. Denn meine Welt ist die banale Realität, nicht die Verfremdete in Blau. Ich liebe die Banalität des täglichen Lebens, in der alles gleichwertig ist. In der ein goldenes Feuerzeug auf einem Tisch denselben Stellenwert wie ein Zigarettenstummel hat.

profil: Alberto Giacometti sagte einmal: „Auf meinem Tisch, mitten in der Unordnung, gefallen mir meine Skulpturen am besten, in den Ausstellungen stehen sie so nackt und sinnlos auf Sockeln.“ Sehen Sie das ähnlich?
Spoerri: Die Ordnung ist immer langweiliger als die Unordnung, weil sie eine Art von Stillstand bedeutet und vieles verheimlicht. Ein schön gedeckter Tisch ist stinklangweilig. Wenn man darauf gegessen hat, wird er interessant. Erst wenn sich etwas bewegt, kann ich meine Art von Kunst umsetzen – obwohl Jean Tinguely einmal gesagt hat, ein Avantgardist wäre der am meisten rückwärts gewandte Mensch.

profil: Wie, glauben Sie, hat er das gemeint?
Spoerri: Ein Avantgardist ist einer, der vorausgeht, und dann zehn Meter vor allen anderen steht. Aber wenn die anderen irgendwann näher rücken, steht er noch immer da und brüllt: „Ich bin die Avantgarde, ich bin die Avantgarde!“ Dabei ist er in Wirklichkeit der Letzte und schon längst überholt worden. So ist das mit mir vielleicht auch.

profil: Sie gelten als der Erfinder der „Eat Art“. Donnerstag bitten Sie im Wiener Restaurant „Zum Schwarzen Kameel“ im erlesenen Kreis erneut zu Tisch. Was wird serviert?
Spoerri: Der Abend wird unter dem Motto „Les oeufs sont faits – Die Eier sind gemacht“ stehen. Es wird alles geben, was mit dem Thema zu tun hat: von der gewöhnlichen Eierspeise bis zum Kaviar. Man zahlt Eintritt und bekommt dafür Jetons, um die man spielen kann. Verspielt man seinen Einsatz, bekommt man nichts. Gewinnt man, werden einem Mengen aufgetischt, die man gar nicht aufessen kann. Wer verloren hat, muss sich eben an jemanden wenden, der mehr Glück hatte. Und hoffen, etwas abzubekommen.

profil: Der Gastrokritiker Wolfram Siebeck kommentierte in der „Zeit“ eines Ihrer kulinarischen Bankette so: „Kunstfreunde erkennt man daran, dass sie keine Sekunde zögern, ihren Bösendorfer mit Margarine zuzuschütten, wenn es der Meister verlangt. Also setzten wir die Gabel an. Das Ei stank nach Ammoniak und schmeckte auch so.“ Ärgert Sie solch Kritik?
Spoerri: Siebeck hat einfach die Aktion, das Spiel nicht verstanden, sondern nur stur seine gastronomischen Kriterien angewendet. Er ist damals extra von Straßburg nach Paris gereist, um mitzuessen. Da hätte er sich doch eigentlich ein bisschen mehr bemühen können, über das Ganze nachzudenken.

profil: Machen Sie sich bei Ihren Events eigentlich gerne über die Haute Cuisine lustig?
Spoerri: Natürlich, man sollte das alles nicht überbewerten. Die 3-Hauben- Küche ist ja auch nur eine Sparte unter vielen. Es muss ein Albtraum sein, wenn man diese Küche täglich essen muss. Das ist so, wie wenn einem jemand einredet, man müsse einen Ferrari besitzen. Dabei kann man den eigentlich nur als Fünftwagen gebrauchen. Mit einem Volkswagen ist man doch eigentlich viel besser dran.

Interview: Nina Horowitz

Autor: Nina Horowitz


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