Ab Donnerstag ist Daniel
Spoerris Werk im Kunsthaus Wien zu sehen. Der Schweizer
Objektkünstler über Gigantismus, Rastlosigkeit und die Haute
Cuisine.
profil: Herr Spoerri, Sie haben nie Arbeiten gemacht, die
größer waren als Sie selbst. Warum? Spoerri: Weil ich es einfach als unangemessen
empfinde, wenn der Mensch sich in die Natur projiziert und dabei
größer sein will, als er ist.
profil:
Weil er überheblich wird?
Spoerri: Ja. Mir persönlich
widerstrebt dieser Gigantismus. Die Überhöhung ist zwar in der Kunst
ein gängiges Prinzip, aber eben nicht meines. Wenn Skulpturen so
groß sind, dass sie zehn Meter in den Himmel ragen, hat das für mich
immer den Beigeschmack des Diktatorischen. Es erinnert mich sofort
an all die Stalins, Saddams und Hitlers dieser Welt. Das liegt
wahrscheinlich an meiner Biografie.
profil: Sie mussten,
weil Sie jüdischer Abstammung sind, mit zwölf im Zweiten Weltkrieg
aus Rumänien in die Schweiz fliehen … Spoerri: Meine Familie wurde vertrieben, diese
Heimatlosigkeit ist mir bis heute geblieben. Auch wenn ich so einen
Ort, der zur Heimat werden könnte, suche. Deswegen grabe ich mich
auch immer eine Zeit lang irgendwo ein – egal, ob das eine
griechische Insel oder eine Großstadt ist. Ich mache Territorium für
mich geltend. Aber eben nur temporär, ich verlasse diesen Ort dann
irgendwann wieder, um neue Aktivitäten zu starten.
profil: So wie vor zehn
Jahren, als Sie eine gut dotierte Professur niederlegten, um bei
Seggiano in der Toskana ein Stück Land mit Olivenbäumen zu kaufen
und einen Skulpturengarten zu realisieren? Spoerri: Ja, aber auch dort sehe ich mittlerweile
meine Aufgabe als erledigt an. Irgendwann kommt einfach immer der
Moment, an dem mich so eine Panik befällt, besser gesagt: eine
Mischung aus Panik und Fadesse. Natürlich gibt es Leute, die ihr
ganzes Leben lang an einer Sache knabbern und nie damit fertig
werden. Dagegen ist gar nichts zu sagen. Aber so bin ich einfach
nicht. Ich bin ein Widder, also ruhelos.
profil: Diese
Rastlosigkeit hat offenbar Methode. Sie waren, bevor Sie
Objektkünstler wurden, unter anderem Tänzer, Choreograf, Pionier des
absurden Theaters und Herausgeber einer Poesie-Zeitschrift. Standen
alle Ihre Aktivitäten immer unter dem Signum der Kunst?
Spoerri: Ja, deswegen war ich
auch meine ganze Jugendzeit lang ein armer Schlucker. Ich weiß
eigentlich heute gar nicht mehr, wie ich überlebt habe in dieser
Zeit, in der ich eigentlich ein großer Dichter sein wollte. Ein
Traum, der sich leider nicht realisierte, weil mir eines Nachts, als
ich unter einer Brücke übernachtete, alle meine Gedichte gestohlen
wurden.
profil: Und dann haben Sie zu tanzen begonnen?
Spoerri: Ja. In den fünfziger
Jahren, als wir Veitstänze in den Existenzialistenkellern aufführten
– und noch gar nicht wussten, was Existenzialismus überhaupt ist.
Man entäußerte sich einfach tänzerisch, weil man keine andere
Möglichkeit sah, um zu formulieren, was man eigentlich sagen wollte.
profil: Sie gelten nicht als Freund der Abstraktion. Sie
ziehen es vor, Ihre Kunst anekdotisch zu erklären. Spoerri: Das ist das Jüdische an mir. Ich
philosophiere nicht abstrakt, sondern erzähle Geschichten, die dann
jeder für sich interpretieren kann. Spoerri über Spoerri eben. Ich
finde das besser, als irgendwelche hochtrabenden Statements
abzugeben.
profil: Weltberühmt geworden sind mittlerweile Ihre
„Fallenbilder“, mit denen Sie, wie Sie einmal sagten, „dem Moment
eine Falle stellen wollen“. Spoerri:
Als ich in den sechziger Jahren mit diesem Projekt begann,
wäre ich um ein Haar selber in eine Falle getappt. Ich war zu dieser
Zeit sehr gut mit Yves Klein befreundet. Er, der ja die ganze Welt
blau sehen wollte, machte mir den Vorschlag, auch meine
„Fallenbilder“ (Tischplatten, die samt Essensresten und Gedeck an
die Wand befördert werden, Anm.), blau anzuspritzen. Zuerst war ich
natürlich sehr stolz, Yves Klein war damals schon ein berühmter
Mann. Aber dann erkannte ich, dass er mir mit dieser Aktion mein
Werk zerstört hätte. Denn meine Welt ist die banale Realität, nicht
die Verfremdete in Blau. Ich liebe die Banalität des täglichen
Lebens, in der alles gleichwertig ist. In der ein goldenes Feuerzeug
auf einem Tisch denselben Stellenwert wie ein Zigarettenstummel hat.
profil: Alberto Giacometti sagte einmal: „Auf meinem Tisch,
mitten in der Unordnung, gefallen mir meine Skulpturen am besten, in
den Ausstellungen stehen sie so nackt und sinnlos auf Sockeln.“
Sehen Sie das ähnlich? Spoerri:
Die Ordnung ist immer langweiliger als die Unordnung, weil
sie eine Art von Stillstand bedeutet und vieles verheimlicht. Ein
schön gedeckter Tisch ist stinklangweilig. Wenn man darauf gegessen
hat, wird er interessant. Erst wenn sich etwas bewegt, kann ich
meine Art von Kunst umsetzen – obwohl Jean Tinguely einmal gesagt
hat, ein Avantgardist wäre der am meisten rückwärts gewandte Mensch.
profil: Wie, glauben Sie, hat er das gemeint?
Spoerri: Ein Avantgardist ist
einer, der vorausgeht, und dann zehn Meter vor allen anderen steht.
Aber wenn die anderen irgendwann näher rücken, steht er noch immer
da und brüllt: „Ich bin die Avantgarde, ich bin die Avantgarde!“
Dabei ist er in Wirklichkeit der Letzte und schon längst überholt
worden. So ist das mit mir vielleicht auch.
profil: Sie gelten als
der Erfinder der „Eat Art“. Donnerstag bitten Sie im Wiener
Restaurant „Zum Schwarzen Kameel“ im erlesenen Kreis erneut zu
Tisch. Was wird serviert? Spoerri:
Der Abend wird unter dem Motto „Les oeufs sont faits – Die
Eier sind gemacht“ stehen. Es wird alles geben, was mit dem Thema zu
tun hat: von der gewöhnlichen Eierspeise bis zum Kaviar. Man zahlt
Eintritt und bekommt dafür Jetons, um die man spielen kann.
Verspielt man seinen Einsatz, bekommt man nichts. Gewinnt man,
werden einem Mengen aufgetischt, die man gar nicht aufessen kann.
Wer verloren hat, muss sich eben an jemanden wenden, der mehr Glück
hatte. Und hoffen, etwas abzubekommen.
profil: Der
Gastrokritiker Wolfram Siebeck kommentierte in der „Zeit“ eines
Ihrer kulinarischen Bankette so: „Kunstfreunde erkennt man daran,
dass sie keine Sekunde zögern, ihren Bösendorfer mit Margarine
zuzuschütten, wenn es der Meister verlangt. Also setzten wir die
Gabel an. Das Ei stank nach Ammoniak und schmeckte auch so.“ Ärgert
Sie solch Kritik? Spoerri:
Siebeck hat einfach die Aktion, das Spiel nicht verstanden,
sondern nur stur seine gastronomischen Kriterien angewendet. Er ist
damals extra von Straßburg nach Paris gereist, um mitzuessen. Da
hätte er sich doch eigentlich ein bisschen mehr bemühen können, über
das Ganze nachzudenken.
profil:
Machen Sie sich bei Ihren Events
eigentlich gerne über die Haute Cuisine lustig? Spoerri: Natürlich, man sollte das alles nicht
überbewerten. Die 3-Hauben- Küche ist ja auch nur eine Sparte unter
vielen. Es muss ein Albtraum sein, wenn man diese Küche täglich
essen muss. Das ist so, wie wenn einem jemand einredet, man müsse
einen Ferrari besitzen. Dabei kann man den eigentlich nur als
Fünftwagen gebrauchen. Mit einem Volkswagen ist man doch eigentlich
viel besser dran.