10.01.2003 19:59
Das Jahr 2003, in dem sich Graz neu erfunden
hat
Jahrzehntelang wurden Investitionen in die
Zukunft der Stadt gescheut, aber mit dem Zuschlag für die Kulturhauptstadt
sollte alles anders werden
Graz - Jahrzehntelang war nicht viel weitergegangen in
Graz: Die Stadtväter scheuten Investitionen in die Zukunft, erklärten sich
zumeist mit nur halbherzigen Lösungen zufrieden. So gab es zum Beispiel
nirgendwo ein Haus, in dem die Produktionen des "steirischen herbstes"
adäquat präsentiert werden konnten: Das Festival war permanent zur
Herbergssuche verdammt- und verbrannte dabei viel Geld.
Doch als die
Vision, einmal Kulturhauptstadt Europas zu sein, Realität wurde, begann Graz,
die Versäumnisse quasi schlagartig zu beseitigen: Nach den Plänen von Klaus Kada
errichtete man eine beeindruckende Stadthalle. Der Hauptplatz wurde saniert. Ein
Popkulturzentrum realisiert. Ein Literaturhaus eingerichtet. Ein Kindermuseum
gebaut. Und vor allem: ein spektakuläres Kunsthaus von Peter Cook und Colin
Fournier als Kontrapunkt neben den historischen Kern gesetzt.
Nicht alles
ist fertig: Zur Eröffnung der Kulturhauptstadt zeigte sich Graz als Ansammlung
von Baukränen (zumal Kastner & Öhler das Warenhaus derzeit mit einer
Tiefgarage unterkellert). Die Skyline verdeutlicht daher nicht ohne Stolz: Graz
erfindet sich neu, wie es der Polyartist und Philosoph Peter Weibel, Chefkurator
der Neuen Galerie, ausdrückt.
Aber ob das gut geht? Ob sich all die
architektonischen Hüllen auch nach 2003 mit kostenintensiven Inhalten füllen
lassen? So fragt man sich. Am Eröffnungswochenende aber werden in Graz keine
Gedanken an mögliche Probleme verschwendet: Man feiert. Ausgiebig.
Am
Donnerstag weihte man die gelungene Helmut-List-Halle, die
Graz-2003-Vizeintendant Eberhard Schrempf mehr oder weniger handstreichartig
durchgeboxt hatte, ein - mit der szenischen Uraufführung von Beat Furrers
filigranem Musiktheater Begehren (Kritik siehe Seite 3). Peter
Oswald, der Chef des "herbstes", konnte sein Glück, für das Festival künftig
eine
auf Dauer angemietete Spielstätte zur Verfügung zu haben, nicht
fassen: Seine Euphorie, die kein Ende finden wollte, berührte die Festgäste
bereits peinlich.
Aber man feierte weiter. Am Freitag ergötzten sich die
Bürger am Lichtparcours des Franzosen Laurent Fachard, der die Innenstadt
flächendeckend in Grün und Blau, die Farben von Graz 2003, tauchte.
Und
für heute, Samstag, versprechen die Organisationen "das größte Feuerwerk", das
je über der Stadt explodierte (19 Uhr). Zudem richteten sie neben der
offiziellen Eröffnung um elf Uhr im Opernhaus ein Fest für jedermann aus: "Feuer
frei zur Partyzone Kulturhauptstadt!", so die martialische
Ankündigung.
Intendant Wolfgang Lorenz und seine Macher stießen bei ihren
Bemühungen aber immer wieder an Grenzen. Die Bühne am Hauptplatz beispielsweise,
auf der u. a. die Fine Young Cannibals spielen werden, ist so riesig geraten,
dass sich die Zuschauer sehr drängen werden müssen. Und leichte Panik befällt
das Team angesichts der Eröffnung der Mur-Insel um 16 Uhr: Es rechnet mit
Tausenden, die das Eiland entern wollen - nur 350 dürfen es betreten. Die dürfen
kein akutes Blasenleiden haben: Um Platz zu sparen, wurden die Toiletten am Ufer
errichtet. (DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.1.2003)