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Christian Kravagna Seit fünfzehn Jahren arbeitet Stan Douglas an einer fragmentarischen Geschichte der Moderne. Seine Arbeiten reflektieren die ‹Modernisierung› von Subjekten durch Technologien, Medien und Ökonomien, die den Individuen ihre Plätze anweisen und ihre Psychen strukturieren. | ||
Leben in der
Moderne
Stan Douglas, der Historiker
links: Stan Douglas, Foto: Chick Rice,
Courtesy Salzburger Kunstverein
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Der Verkündigung des Endes der Geschichte durch einige postmoderne Philosophen entsprachen in der Kunst und Architektur, vor allem der achtziger Jahre, jene historisierenden Verfahren, die in ihrer Obsession mit ‹Geschichte› die Realität zeitgenössischer Produktionsbedingungen ignorierten und so auch verdunkelten. Der postmoderne Historismus betrachtet(e) die Moderne, sofern er nicht überhaupt in reaktionärer Weise hinter sie zurückgehen wollte, als Steinbruch ideologisch entleerter Ideen, Verfahren und Formen. Einiges von dieser Haltung, die alles Geschichtliche als auf die eigene Gegenwart bezogen und ihr zur Verfügung betrachtet, hat sich in jene Tendenzen der neunziger Jahre gerettet, die Versatzstücke moderner Architektur oder modernen Designs, ‹gereinigt› von utopischen und universalistischen Ansprüchen, spielerisch oder ironisch zu unverbindlichen, unterhaltsamen Inszenierungen ‹recyclen›. Doch gegen ein solches Arbeiten auf Grundlage der ‹Gnade der späten Geburt› hatte sich schon Walter Benjamin gewandt, denn ‹erst der erlösten Menschheit ist ihre Vergangenheit in jedem ihrer Momente zitierbar geworden›. Verortung von
Geschichtsfragmenten Für einen Künstler wie Stan Douglas ist ein
solcher Zustand fern. Vielmehr ist ihm an einer historischen Perspektive
auf die Moderne gelegen, durch die deren Brüche, Widersprüche und
Transformationen zutage treten können. Douglas fokussiert exemplarische
Momente in der Geschichte der Moderne, um sie in geradezu archäologischer
Weise zu rekonstruieren. Von einem weit gefassten Moderne-Begriff
ausgehend, reichen Douglas’ Untersuchungen von unmittelbar gegenwärtigen
Phänomenen über Proust und E.T.A. Hoffmann bis zu den Eroberungsreisen des
18. Jahrhunderts zurück. Als thematische Konstante lässt sich ein
spezifisches Interesse am Expansionismus der Moderne erkennen, an
Prozessen und Phantasien der Erschliessung, Eroberung und Transformation
von Raum im weitesten Sinne, sowohl nach aussen hin (geografisch) wie nach
innen (lebensräumlich und ‹subjektivierend›). Win, Place or Show In der 1998
für den Salzburger Kunstverein produzierten Installation ‹Win, Place or
Show› überblendet Stan Douglas medienhistorische Reflexionen, die schon in
seinen bisherigen Arbeiten eine Rolle spielten, mit urbanistischen
Problemen der Nachkriegszeit. Im Stil der in den sechziger Jahren in
Vancouver produzierten Fernsehserie ‹The Clients› spielt die ‹Geschichte›
in einem gross angelegten modernistischen Wohnbauprojekt der
fünfziger/sechziger Jahre, mit dem eines der ärmsten Viertel Vancouvers
re-organisiert werden sollte. Wie immer bei Douglas, beruht das
künstlerische Ergebnis auf ausführlichen Recherchen, die sich nicht nur in
der Videoprojektion niederschlagen, sondern quasi als Fussnoten
mitgeliefert werden. Im Fall von ‹Win, Place or Show› sind es alte
Fotografien der heruntergekommenen Arbeiterquartiere, denen Douglas die
Architektenpläne zur Modernisierung des Lebensraums gegenüberstellt. Schon
hier zeigt sich die Ambivalenz derartiger ‹grosser Lösungen›, welche die
Verbesserung von Lebensqualität im Anheben der Standards technischer
Ausstattung sehen, während sie den sozialen Beziehungen entweder blind
gegenüberstehen oder aber ihrer organischen Entfaltung durch völlige
Rationalisierung offen gegensteuern. Die Pläne, an denen sich soziale
Absonderungsmassnahmen (Hochhäuser für Grossfamilien, für Kleinfamilien,
für Singles) ablesen lassen, offenbaren jenes ökonomische Denken der
Nachkriegsmoderne mit seinem Leitmotiv der ‹Effizienz›, dem sich schon die
künstlerische Architekturkritik der siebziger Jahre – etwa Gordon
Matta-Clarks Interventionen gegen die ‹Containerisierung des Lebensraums›
– gewidmet Aufschub des Begehrens In all
diesen Film- und Videoarbeiten kommt dem Motiv der vertikalen Naht
zentrale Bedeutung zu, die jeweils ähnliche, aber abweichende Bilder
trennt und verbindet. Im ‹Sandmann› vermittelt die Naht auf der
soziologisch-urbanistischen Ebene, am Beispiel des Schrebergartens,
zwischen Geschichte und Gegenwart, auf der Ebene des Individuums zwischen
Verdrängtem und seiner Rationalisierung. In ‹Nu·tka·› – Douglas bezieht
sich hier auf eine historische Begebenheit des 18. Jahrhunderts, wo zwei
europäische Eroberer vor der Westküste Kanadas aneinandergeraten –
markiert das Auseinanderfallen der Bilder die Differenz zwischen dem
imperialistischen Machtanspruch der Eroberer und ihren individuellen
Ängsten und Unsicherheiten. Der Riss im kontinuierlichen Bildraum macht
diesen als Wunschbild kontrollierter Erfahrung erkennbar. Die dunklen
Kehrseiten des Strebens nach Überblick, nach Kontrolle von Raum, findet
Douglas immer wieder in der Kunst der Moderne bearbeitet, in Poes und
Hoffmanns Novellen (‹Nu·tka·›, ‹Der Sandmann›) oder in der Musik von
Schönberg (‹Pursuit, Fear, Catastrophe: Ruskin BC›). Das Unheimliche, die
unbestimmte Bedrohung, die sie artikulieren, bringt Douglas als
Grundierung der utopischen wie auch der unterwerfenden und
disziplinierenden Eigenschaften von Modernisierungsprozessen zum
Einsatz. |
Links | ||
Ausgabe: | 05 / 1999 | |
Ausstellung: | ( - ) | |
Institution: | Fondation Cartier (Paris) | |
Autor/in: | Christian Kravagna | |
Künstler/in: | Stan Douglas | |
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