Proaktiv!“, ist das Lieblingswort von Belvedere-Chefin Agnes Husslein, wenn sie über ihre vielen Ideen für das neue „20er Haus“ im Schweizer Garten spricht. Von außen betrachtet wirken die Bemühungen in Wien um die zeitgenössische Kunst indes eher skurril: Das Museum moderner Kunst (Mumok) im Museumsquartier zu klein, der Mumok-Neubau auf der Donauplatte, ein Phantom, die Belvedere-Filiale im Schweizer Garten mit 2500 Quadratmeter Ausstellungsfläche keineswegs üppig ausgestattet. Husslein ist trotzdem sicher: „Das wird ganz toll!“ Toll hören sich vor allem die Planungen für das neue „Quartier Belvedere“ an: Wobei das „20er Haus“ ein markantes, aber bei Weitem nicht das gewichtigste Bauwerk ist.
Gigantomanie beim Zentralbahnhof. Um den neuen
Zentralbahnhof entsteht ein Stadtteil in Zentrumsnähe: Die Architekten
„henke und schreieck“ gewannen den Wettbewerb für den Erste-Campus, die
Unternehmenszentrale der Erste-Bank: 36.000 Quadratmeter Grundfläche,
200.000 Quadratmeter oberirdische Bruttofläche. Der italienische
Architekt Renzo Piano entwickelt für den privaten Bauträger Seeste ein
Gebäude mit Wohnungen, Büros, Hotel (60.000 Quadratmeter
Bruttogeschoßfläche). Ebenfalls beim Hauptbahnhof entstehen 5000 von
der Stadt Wien geförderte Wohnungen, Gesamtkosten 171 Mio. Euro. Mit
dem Dornröschenschlaf des Arsenals, dessen Bewohner sich vor ca. 20
Jahren wegen Claus Peymanns Probebühnen fürs Burgtheater ereiferten,
ist es vorbei. Neben dem Heeresgeschichtlichen Museum und dem „20er
Haus“ soll es viele weitere Kunstplattformen geben.
Tauziehen um Wien Museum neu. Kulturstadtrat Mailath-Pokorny
hätte im neuen Hauptbahnhof auch gerne das Wien Museum angesiedelt.
Doch dessen Direktor Wolfgang Kos kann sich nicht für ein Museum im
Bahnhof erwärmen. Kos möchte lieber auf den Morzinplatz und in letzter
Zeit überhaupt lieber auf dem Karlsplatz bleiben, wo er prächtige
Projekte für die Erweiterung des sanierungsbedürftigen Haerdtl-Baus
wälzte. 30 bis 70 Mio. Euro soll das neue Wien Museum kosten. Da muss
Liechtenstein-Museums-Direktor Johann Kräftner, der in der Bankgasse am
neuen Biedermeier-Museum für 90 Mio. Euro werkt, lachen: „140 Mio. sind
für das neue Wien Museum realistisch“, sagt Kräftner.
Global Player Francesca Habsburg. Kräftner
unterstützt Kos dennoch voll und ganz: „Da werden Euro-Schutzschilde
für 750 Milliarden gebaut, den Banken werden hunderte Millionen
zugeschoben. Wenn sich Wien nicht einmal ein neues Stadtmuseum für den
Gegenwert eines Picasso-Bildes leisten kann, hört sich alles auf mit
der sogenannten Kulturstadt!“ Ein Global Player hat die Chance beim
Hauptbahnhof offenbar erkannt: Francesca Habsburg, Gründerin der in
Wien ansässigen Kunststiftung „Thyssen-Bornemisza Art Contemporary“
(TBA-21) plant, die temporäre Kunsthalle, die Adolf Krischanitz 2008
auf dem Berliner Schlossplatz errichtete, nach Wien zu bringen. Diese
soll neben dem „20er Haus“ aufgestellt und fünf Jahre bespielt werden.
Der Salzburger Krischanitz (64), der in den 1980er-Jahren durch die
Erneuerung der Wiener Secession bekannt wurde, ist oft dort zu finden,
wo originelle Orte entstehen: Er baute die Kunsthalle Karlsplatz (jetzt
Project Space). Er zeichnet auch für das neue „20er Haus“
verantwortlich.
Immer wieder interessant: Wie die aktuelle Kunst in Wien gegen alle Widerstände ihre Akzente setzt. 1897 verließen die fortschrittlichen Renegaten mit Gustav Klimt an der Spitze das Künstlerhaus in Richtung Secession. 1962 wurde das Provisorium „Museum moderner Kunst“ im Schweizer Garten eröffnet. Nun wird die heimische Kunst von 1945 bis heute im Gebäude, das um dieses Provisorium errichtet wird, zu erleben sein: im von Krischanitz gestalteten Schwanzer-Pavillon.
Das „20er Haus“ plus „Thyssen Contemporary“ als Galionsfigur, so
könnte die österreichische Kunst einen besseren Platz im
internationalen Kanon erobern. Belvedere-Chefin Husslein ist überzeugt,
dass dies gelingt. In der jetzigen Konstellation hätte das neue Wien
Museum offenbar keinen Platz im „Quartier Belvedere“. Das macht aber
nicht viel aus. Touristen fänden das Wien Museum auf dem Karlsplatz,
nur runderneuert oder neu gestaltet, als Schlusspunkt der Kulturmeile,
die sich künftig vom Zentralbahnhof, „20er Haus“ Belvedere durch
mehrere Gärten Richtung Stadtzentrum erstreckt. Klingt jedenfalls gut.
NHM/KHM Unterirdische Halle.
Aber auch im Zentrum selbst tut sich etwas: Christian Köberl,
Generaldirektor des Naturhistorischen Museums (NHM), ließ jüngst eine
alte Idee des ehemaligen Generaldirektors des Kunsthistorischen Museums
(KHM), Wilfried Seipel, wieder aufleben: Ein unterirdisches Forum unter
dem Denkmal Kaiserin Maria Theresias soll von NHM und KHM gemeinsam für
Ausstellungen, Veranstaltungen genutzt werden. Die jetzige
KHM-Generaldirektorin Sabine Haag erfreut der Vorschlag. Dass er
utopisch ist, stört sie nicht: „Man muss solche Projekte immer wieder
thematisieren, sonst passiert gar nichts“, sagt Haag. Sie ist im Moment
stark von ihrer geliebten Kunstkammer beansprucht, die endlich
renoviert wird, was mühsam ist, weil sich das Aufbringen des privaten
Anteils von 3,5 Mio. für das 18,5-Mio-Euro-Projekt hinzieht. Das
Völkerkunde-Museum hat noch immer keinen neuen Direktor, die Position
ist nicht einmal ausgeschrieben. Dass sie das Völkerkunde-Museum für
„ihre“ Kunstkammer, die mittels eines relativ neuen und prächtigen
Katalogs erkundet werden kann, geopfert hat, weist Haag, auch Kunst-
und Schatzkammer-Chefin, zurück. Sie sagt: Das Volkskunde-Museum
(Verein mit Museum in der Laudongasse) müsse sich entscheiden, ob es
mit dem Völkerkunde-Museum fusionieren und das gemeinsam erarbeitete
Konzept realisieren wolle. Bisher wollte die Volkskunde das nicht.
Noch ein Provisorium: Völkerkunde. Das
Völkerkunde-Museum könne das Konzept aber auch ohne das
Volkskunde-Museum umsetzen, betont Haag: „Dafür gibt es Geld.“ Auf
mehrere Jahre aufgeteilt bis 2016 ca.20 Mio. Euro. Das Schicksal des
Völkerkunde-Museums bleibt trotzdem ein tristes: Mitten im
Ethnologie-Boom ist es seit Jahren ein schön restauriertes Provisorium.
Immerhin: Die Simulationen der neuen Kunstkammer mit verschiedenen
erzählerischen Rundgängen für Geduldige wie Eilige lassen auf einen
neuen magischen Ort im KHM schließen, der sich der
Ägyptisch-Orientalischen und der Antikensammlung hinzugesellen könnte.
Nicht nur Haag verweist auf neue Aufgaben des Museums im
21.Jahrhundert. Mit der Infrastruktur von Museen in Amerika – wo sich
übrigens neue alte Kunstkammern mit auf eBay ersteigerten Objekten
großer Beliebtheit erfreuen – können die Wiener Schatzhäuser nicht
mithalten.
Das Museum wird mehr und mehr zum sozialen Raum. Vor wenigen Jahren wurde Grünen-Kultursprecher Wolfgang Zinggl noch kritisiert, als er die heimischen Museumsbestände großräumig umgruppieren und in sinnvollere Zusammenhänge bringen wollte. Die Idee war zu radikal. Die Museen bemühen sich inzwischen selbst um Durchmischung von Sammlungsbeständen, um neue Perspektiven zu eröffnen, Kultur- und Kunstgeschichte besser zu vermitteln. Die alljährlich stattfindende „Lange Nacht der Museen“ zieht mittlerweile 440.000 Menschen an. Der Bildungskanon bröckelt. Jeder interessiert sich für etwas anderes. Medien beeinflussen das Sehen. Aber gute Geschichten mögen alle. Museen, Ausstellungshäuser können sich als Lebensräume in der Stadt positionieren, Integration fördern in Zeiten wachsender politischer Spannungen.
Der Chef des Liechtenstein-Museums Kräftner erzählt von gewaltigen Plattformen für Kunst, vor allem zeitgenössische, die in einer ehemaligen Munitionsfabrik in Peking entstehen. Er berichtet von einem Programm, das ganz Brüssel zu einem Schauplatz chinesischer Kunst werden ließ – und von einer Marokko-Ausstellung in Tervueren (ebenfalls Belgien): Das dortige Royal Museum for Central Africa verband Kunst mit Geschichte, Kochen, Musik und Party. Auch die Pariser Museen (Louvre, Quai-Branly) nehmen die gesellschaftlichen Herausforderungen an, die sich z.B. durch die große muslimische Gemeinschaft – die ja sehr heterogen ist – in der Stadt ergeben.
Die Zeiten, da in Europa ein Museum nach dem anderen gebaut wurde, scheinen vorbei zu sein. Was passiert? Berlin saniert und gestaltet bis 2015 für 1,5 Mrd. Euro seine Museumsinsel neu. Der Städel-Zubau in Frankfurt (siehe unten) kostet ca. 30 Mio. Euro, etwa gleich viel wie das „20er Haus“ in beiden Bauphasen. Fünf Mio. fordert Husslein für die Betriebskosten. In Rom wurde 2010 das von Stararchitektin Zaha Hadid errichtete „MAX-XI“ eröffnet: Das nationale Museum für die Künste des 21. Jh.s mit einem Grundstock von 350 Werken hat 10.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und kostete statt budgetierter 57 gewaltige 150 Mio. Euro – dies in Italien, das unter Berlusconis Kultursparpaketen stöhnt. Das „MAX-XI“ Jahresbudget: angeblich 20 Mio. Euro. Da könnte man glatt neidisch werden.
Das Belvedere im „20er Haus“ wird österreichische Kunst von 1945 bis heute zeigen, auch das Kino wird reaktiviert
Heuer
im September wird die Belvedere-Filiale im ehemaligen Museum des 20.
Jh.s eröffnet. Es wird dort eine permanente Schausammlung und
Ausstellungen geben. Auch das Wotruba-Archiv und die Bundes-Artothek
sollen einziehen. Das Belvedere zeigt seine eigene Sammlung,
Schenkungen, Dauerleihgaben, Neuankäufe. Die Besucherzahl des Belvedere
stieg seit 2000 von 496.000 auf 812.000.
Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum (KHM): Kaiserliche Preziosen aus Elfenbein und Nashorn
Ende
2012 soll die neu gestaltete KHM-Kunstkammer wieder eröffnet werden.
Ihr berühmtestes Stück ist, durch Raub und spätere Rückgabe, Cellinis
„Saliera“. 2500 von 8000 Objekten werden auf 2700 Quadratmetern
gezeigt, z.B. kaiserliche Geschenke. Künftig sollen auch die
hochempfindlichen, seit Jahrzehnten verwahrten Gobelins zu sehen sein.
Fürst Hans Adam II. zahlt seine Museen selbst: Zweimal Liechtenstein in Wien, Eröffnung im ersten Bezirk 2012
Neben
dem Garten-Palais im neunten Bezirk wird es ab November 2012 das
Biedermeier-Museum in der Bankgasse geben in Kombination mit der
fürstlichen Bank LGT. Auf Ausstellungen verzichten die Wiener
Liechtenstein-Museen künftig,dadurch wird mehr Platz für die Sammlung gewonnen.
Das bedeutendste Museumsprojekt Europas: Die Berliner Museumsinsel, wo die berühmte Nofretete zu sehen ist
Häuser
mit klingendem Namen sind auf der bis zur deutschen Wende im Osten vor
sich hinwitternden, lang von Kriegsschäden gezeichneten Berliner
Museumsinsel versammelt: Bode-, Pergamon-, Altes und Neues Museum, Alte
Nationalgalerie. Nach einem heiß diskutierten Masterplan werden bis
2015 rund 1,5 Mrd. Euro investiert.