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Der Jules Verne der
Malerei |
Lange Zeit gehörten Werke des "Wiener
Phantastischen Realismus" zu den Aushängeschildern
österreichischen Kunstschaffens. Die OÖN besuchten Prof. Anton
Lehmden, den wahrscheinlich stillsten und medienscheusten
Künstler dieser Riege in seinem Schloss im
Burgenland.
Schloss Deutschkreuz nimmt vom ersten
Moment an gefangen. Überwältigt ist der Besucher, wenn er
durch das prächtige Renaissancetor in den Hof des Schlosses
tritt. Es ist die Ruhe und Unberührtheit, die diesem Ort eine
besondere Atmosphäre geben. Gerade als ich zum
gegenüberliegenden Trakt spazieren will, rauscht ein Auto
durch die lange Einfahrtsallee, wirbelt gewaltig Staub auf und
parkt sich in der Torhalle ein. Voller Elan kommt der Meister
auf mich zu. Der Rundgang kann beginnen.
Über ein
mondänes Stiegenhaus erreichen wir den ersten Stock. Hier,
unmittelbar unter den Arkaden, zeigt sich noch deutlicher die
unglaubliche Dimension dieses Bauwerkes, das die ungarischen
Grafen Nádasdy Anfang des 17. Jahrhunderts errichten
ließen.
Anton Lehmden hat das Schloss 1966 erworben und
arbeitet seither kontinuierlich an seiner Renovierung. Genau
jenen Eindruck von Unberührtheit, der den Besucher beim ersten
Anblick empfängt, musste sich der honorige Bauherr mit großem
Aufwand und viel Feingefühl erkämpfen. "Obwohl ich mich vom
ersten Tag an in das Schloss verliebt hatte, traf mich fast
der Schlag, als ich die Schäden sah: das Dach war undicht,
Kamine drohten abzustürzen, Fenster und Teile der Arkaden
waren zugemauert, die meisten Holzdecken herausgerissen und
viele der Räume durch scheußliche Zwischenmauern
verunstaltet", sagt der Künstler.
Eine
Lebensaufgabe
Es spricht für die Phantasie,
den Willen und die Vorstellungskraft Lehmdens, dass er sich
dennoch auf diese Lebensaufgabe eingelassen hat. In vielen
kleinen Schritten eroberte er kleine Teilbereiche der
Ursprünglichkeit zurück und gab ihnen Form, Inhalt und
historisch vertretbare Individualität.
Ein Raum nach
dem anderen wurde seinen Werken entsprechend gestaltet und mit
dem Ganzen in Beziehung gebracht. Mittlerweile sind im
Obergeschoss des Südosttraktes 13 Räume für Besucher
zugänglich gemacht und auch der größte Teil des Wohnbereiches
der "Großfamilie" Lehmden erstrahlt in neuem Glanz. An den
Fassaden und im Arkadenhof sind die wichtigsten
Restaurierungsarbeiten ebenfalls nahezu vollendet. Doch
zurücklehnen ist noch lange nicht angesagt. Lehmden rechnet
noch mit Jahren aufwändiger Kleinarbeit und detailgetreuen
Rekonstruktionsmaßnahmen.
Als Künstler zählt Lehmden
zu den "Meistern der alten Schule", was heißt, dass er profund
im Handwerk und den traditionellen Techniken der Malerei und
Graphik ausgebildet wurde. Genau genommen war er ein Mann der
ersten Stunde, als er 16-jährig 1945 in die Akademie der
bildenden Künste in Wien aufgenommen wurde. "Als ich nach
Floridsdorf kam, gab es keine Brücken mehr. Alles war
zerbombt. Bei der Akademie angekommen, musste ich feststellen,
dass auch sie arg in Mitleidenschaft gezogen war", so der
77-Jährige.
Lehmden beginnt sein Studium bei Prof.
Robin Christian Andersen, doch befriedigt in weder dessen Stil
noch Lehre. Nach zwei Semestern wechselt er zu Albert Paris
Gütersloh, der später sein großer Mentor werden sollte.
Gemeinsam mit dem um zwei Jahre jüngeren Ernst Fuchs und Arik
Brauer belegt er das legendäre Turm-Atelier der Akademie,
welches zur Geburtsstätte der "Wiener Schule des
Phantastischen Realismus" avanciert.
Eine
Bilder-Zeitreise
Unzählige Stunden verbringen
die drei jungen Maler im Kunsthistorischen Museum und der
Albertina, um die alten Meister zu studieren. In den 1950er
Jahren folgen die ersten Ausstellungen. "Acht bis zehn
Schilling haben wir im Durchschnitt für eine Radierung
bekommen und die wurden fast postwendend in neues Material
investiert", erzählt Lehmden.
Vögel und Flugobjekte
gehören zur Grundausstattung der meisten Werke des Künstlers.
Kaum ein Bild, in dem sie nicht zu sehen sind, die halb
realen, halb erfundenen Könige der Lüfte. Dynamisch ist ihre
Darstellung und ausdrucksteigernd ihre Bildfunktion. Im
Sturzflug der Erde entgegenrasend, die abgewinkelten Flügel
aerodynamisch nach hinten gelegt, im hundertfachen
Flügelschlag zeitlupenartig Raum und Zeit überwindend, mit
weit vorgestrecktem Hals himmelwärts ziehend oder mit
Gleichmut harmonisch die Lüfte durchschneidend, geben sie
seinen Bildern Charakter und Individualität.
Lehmden
ist der Jules Verne der Malerei. Seine Phantasie ist so
vielfältig und tiefgründig wie jene von Hieronymus Bosch und
so zart besaitet wie die von Joachim Patinier. Ähnlich den
großen Meistern der frühen Neuzeit, komponiert er
"Weltlandschaften", die gefüllt sind mit Symbolen,
Phantasieobjekten und zahlreichen sonderbaren Details. Viele
seiner Gemälde gewähren eine Zeitreise von der frühen
Erdgeschichte bis in die unmittelbare Gegenwart.
Anders
als sein ehemaliger Künstlerkollege Rudolf Hausner, stellt
Lehmden nicht das Selbstportrait in den Mittelpunkt seiner
Ausführungen, sondern die Welt, auf der wir stehen und
leben.
Wie ausgeprägt und kreativ Lehmdens Phantasie
ist, beweist er im Gespräch nach dem Rundgang. "Seit jeher
galt meine besondere Vorliebe dem Flug der Vögel. Ich habe
ihre Mechanik studiert und mir zahlreiche Modelle gebaut.
Immer deutlicher wurde mir bewusst, dass beispielsweise die
Luft viel dicker ist, als wir sie wahrnehmen. Plötzlich
erkannte ich, dass alles sein Maß braucht. Wer zu schnell
fliegt, wird skelettiert, wer zu langsam fliegt, stürzt
ab".
Auch Pflanzen, ihre Früchte und Samen erwecken
sein Interesse. "Disteln faszinieren mich besonders. Wenn es
regnet, bildet die Distel einen Kelch. Sie trinkt dann
tagelang, aber verführt auch zum Ertrinken. Manchmal sehe ich
vor meinem inneren Auge den Mikrokosmos und den Makrokosmos
zusammen."
Wie um zu verdeutlichen was er meint,
springt er plötzlich im Gespräch auf und beginnt an einem
Aquarell zu malen, welches vorher schon auf dem Tisch lag. Er
deutet auf ein gemaltes Felsplateau. "Hier braucht es etwas
Olivgrün, wenn ich es nicht gleich mache, vergess' ich
es".
Das Schloss Deutschkreuz im mittleren Burgenland
kann von 15. Mai bis 15. Oktober am Freitag von 9 bis 17 Uhr,
am Samstag von 9 bis 12 Uhr und am Sonntag von 9 bis 17 Uhr
besichtigt werden. Der Eintritt ist frei.
Führungen
gibt es am Freitag um 15 Uhr, am Samstag um 10 Uhr und am
Sonntag um 11 Uhr. Anmeldungen werden bis eine Stunde vor
Beginn unter der Telefonnummer 02613 / 897683 entgegen
genommen.
Der Preis für Gruppen unter 20 Personen
beträgt pro Person 5 Euro, bei mehr als 20 Personen sind vier
Euro pro Kopf und Nase zu bezahlen.
Wer Glück hat, kann
Anton Lehmden dabei sogar persönlich kennen lernen. Im
Spätsommer veranstaltet der Künstler seit mehreren Jahren auch
eine gern besuchte Sommerakademie. Nähere Auskünfte dazu gibt
es beim Tourismusbüro Deutschkreuz unter Tel. 02613 / 897683
oder per Mail: tourimus@deutschkreuz.at
Professor Anton
Lehmden hat auch die Pfarrkirche in Deutschkreuz künstlerisch
gestaltet. Sie kann täglich außer zu den Messfeiern besichtigt
werden.
vom 07.10.2006 |
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