Mumok: "Hyper Real. Die Passion des Realen in der
Malerei und Fotografie"
Täuschende Idyllen
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Tom Wesselmann: "Landscape #4" (1965). Foto: Ludwig Museum
Budapest/József Rosta/VBK Wien
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
Es war die
eigentliche Passion von Irene und Peter Ludwig: 1975/76 ließ sich das
Sammlerpaar vom französischen Fotorealisten Jean Olivier Hucleux in
akribischer Feinmalerei porträtieren. Damals stand man nicht mehr
Modell, die Maler arbeiteten mit Diaprojektion auf die Leinwand, das
Übertragen dauerte – Punkt für Punkt übertragen – über ein Jahr.
1980 überarbeitete Andy Warhol einen Dreifach-Siebdruck nach einem
Foto von Peter Ludwig mit Acryl. Technik ist ein Schlagwort für die
frühe Phase, denn sie war den Künstlern wesentlich in der Umsetzung des
Vorbilds. Das Sujet selbst war meist aus dem Alltag gegriffen. Reisen
mit Auto und Wohnmobil durch Amerika regte die Fotografen an,
Schnappschüsse zu machen. William Eggleston und Saul Leitner führten
Farbabzüge ein – sie galten zuvor gegenüber der klassischen
Schwarzweißfotografie als völlig kunstlos.
Eingefrorene Banalität
Vom bewussten Festhalten des Banalen in kunstvoll realer Malerei bis
zur Nostalgie an gefrorenen Idyllen mit altmeisterlichen Vorbildern und
selbst von pornografischen Motiven erzählt diese riesige Ausstellung.
Mit den großen Foto-Tableaux von Jeff Wall, Thomas Struth und Andreas
Gursky wird die Ablöse malerischer Positionen durch die Fotografie um
1990 demonstriert.
Die Schau des Mumok konnte, dank der Zusammenarbeit mit dem
Ludwigmuseum in Aachen, aber auch den Dependancen in Budapest, Köln und
Koblenz, auf einen reichen Bestand zurückgreifen. Das betrifft auch die
Fortsetzung des spannenden Vergleichs zwischen Fotografie und Malerei im
Wettkampf um die Realität bis heute. George Segal und John de Andrea
bleiben daneben neutral mit ihren Gipsabgüssen oder akribisch bemalten
Fiberglas- und Polyesterdoppelgängern.
Eine der wenigen frühen Vertreterinnen ist Jann Haworth, die in einem
erbitterten Kommentar beschreibt, wie Künstlerinnen auch an
amerikanischen Akademien abgewiesen wurden. Sie verlegte sich auf
Skulpturen aus Textil und Schaumgummi wie den Surfer von 1968. Die
wenigen Malerinnen der Frühzeit hat Peter Ludwig nicht gesammelt.
Galt Malerei also damals noch als Männersache, wie das sehr maskuline
Porträt Richard Serras durch seinen Kollegen Chuck Close eingangs
unterstreicht, waren Darstellungen des weiblichen Körpers oft am Rande
zu Pornografie und Sexismus.
Kritische Blicke
Dass hier der kritische Blick auf Mel Ramos oder Tom Wesselmann vor
Jeff Koons gefordert ist, lässt sich kaum übersehen. Das ist so
erfreulich im Konzept der Kuratorinnen wie die teils auch politische
Auseinandersetzung mancher Künstler zwischen Malerei und Kino.
Einfacher, weil nur zum Wiedererkennen, ist die Begegnung mit den
gemalten Stars: Marilyn, Jackie oder Liz, aber auch mit Fotoraster und
Comicheld. Das vielfach verzweigte Verfolgen des Realen in die Gegenwart
ist allerdings ein Strang, der von dem abschweift, was ursprünglich als
hyperreal galt. Allerdings sind da einige Nebenwege mit Positionen von
Thomas Demand, Markus Schinwald oder der jungen Koreanerin Kyungah Ham
wieder interessant, da sie die rasante technische Veränderung zeigen.
Ausstellung
Hyper Real.
Die Passion des Realen in
Malerei und Fotografie
Susanne Neuburger, Brigitte Franzen
(Kuratorinnen)
Mumok
Bis 13. Februar 2011
Website Hyper Real
Printausgabe vom Freitag, 22.
Oktober 2010
Online seit: Donnerstag, 21. Oktober 2010 16:29:00
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