diepresse.com
zurück | drucken

04.03.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung: Nie wieder fade Kunst
VON ALMUTH SPIEGLER
Das Wiener Museum moderner Kunst und das Grazer Kunsthaus teilen sich eine Retrospektive auf das Werk des großen John Baldessari.

Wer ist John Baldessari? Formalist. Konzept-Künstler. Grenzgänger zwischen Sprache und Bild, Fotografie, Film und Malerei. Meister des "Dazwischen". Vater der Appropriation-Art, der Kunst der Aneignung fremder Materialien. Legendärer Lehrer von Cindy Sherman, David Salle, Matt Mullican am California Institute of the Arts. Illustrator von Laurence Sternes maßlosem Klassiker "The Life and Opinions of Tristam Shandy". Die Etiketten wollen nicht so recht haften an diesem 73-jährigen, schlohweißen Zwei-Meter-Riesen. Gerade deswegen zählt er wohl zu den einflussreichsten Künstlern der vergangenen 30 Jahre. Geboren in National City, einem tristen Vorort von San Diego, wo sich schon Tom Waits als Pizzabäcker durchschlug, wirkt er wie ein von allen Stürmen der Postmoderne gegerbter Seebär.

Verbrennung des Frühwerks

Ein Schwarm an Anekdoten rauschte Baldessaris Auftritt in Österreich voraus, wo ab dieser Woche, aufgeteilt auf Wien und Graz, die erste große Retrospektive seines Werks seit zehn Jahren stattfindet: Wie war das noch einmal mit dem "Cremation Project", als Baldessari 1970 alle noch in seinem Besitz befindlichen Malereien seiner Frühzeit verbrannte? Urne, "Todesanzeige" und Gedenktafel sind im Mumok zu sehen. Und 1971? Statt eine Ausstellung zu bestreiten, wies Baldessari Studenten an, die Galeriewände mit dem immer gleichen Satz zu füllen: "I will not make any more boring art."

Diese Ironie gefiel den Konzept-Gurus gar nicht: Ende der 60er rümpfte Joseph Kosuth die Nase über seinen Westküsten-Kollegen: "Konzeptuelle Cartoons tatsächlicher Konzeptkunst." Ziemlich Humor-resistent.

Das kann man gerade Baldessaris Werk der 60er Jahre nicht vorwerfen. Eine abstürzende Ente schaut aus wie Pop-Art, ist aber ein übermalter Plakatrest. Nebenan fällt eine Wolke aus dem Himmel. Und in "Art Lesson" werden akademische Anleitungen zur Perspektive aufs Korn genommen. Humor an sich war aber nie Baldessaris Ziel: "Es kommt, denke ich, deswegen zustande, weil mich die Dinge interessieren, die wir unter den Teppich kehren."

Den vorläufigen Endpunkt seiner eigenhändigen malerischen Produktion markiert 1967 das textlastige Ölbild: "Suppose it is true after all? What then?" Ab jetzt gilt nicht mehr persönliches Handanlegen, sondern der Autor als Ideengeber. Die Kritik des Malers Al Held an Konzeptkunst, sie zeige "einfach nur auf Dinge", wörtlich nehmend, beauftragte Baldessari 1969 etwa Sonntagsmaler, seine Fotografien von auf Alltagsgegenstände deutende Zeigefinger abzumalen. Profi-Schriftmaler erledigten die Unterzeile. Ähnliches passierte mit Schnappschüssen seiner Heimatstadt, die Baldessari auf Leinwände drucken ließ.

Welche Bilder, welche Objekte werden ausgewählt? Warum das eine, nicht das andere? Was ist richtig, was ist falsch? Baldessari interessieren nicht die Antworten, sonder der Vergleich, "Situationen voller Widersprüche". Die von Rainer Fuchs erarbeitete Ausstellung im Mumok mit über 100 Bildern, Videos, Collagen gibt einen ausgezeichneten Überblick über sein vielfältiges, anregendes, unterhaltendes Frühwerk. Die letzten Arbeiten in Wien sind aus der Mitte der 80er Jahre, wo das Filmische im Werk des Künstlers schon stark an Einfluss gewonnen hat. Neues Lieblingsmaterial: gefundene Fotografien und Filmstandbilder.

Das Wesentliche auslassen

Die direkte Überleitung zum Grazer Teil bildet die Serie "Crowds with Shape of Reason Missing", in denen Baldessari das Wesentliche der Fotografien mit weißer Farbe übermalt hat. Nam June Paiks Lob, ihm gefiele das, was Baldessari auslässt, fasst gut zusammen, was in den nächsten Jahren wichtig wird. Jedenfalls wird's weniger formal, sondern mehr von Emotion und erzählerischer Kraft gesteuert. Und vor allem, durch die mit der Zeit immer ausgefeiltere Technik, großformatiger. Auch ein Grund, warum die Ausstellung in Wien musealer wirkt, während die in Graz einer spektakuläreren Kunsthallen-Schau gerecht wird.

Neben seriellen Arbeiten, in denen es um das Spiel von Sprache und Bild, um Wahrnehmung und Irritation geht, beschäftigt sich Baldessari seit Mitte der 80er auch immer mehr mit der Psychoanalyse. Hollywood als Traummaschine deutend, glaubt er, mit der Verwendung von Filmstandbildern in Teile unseres "kollektiven Unbewussten" vordringen zu können. Einem "emotionalen Code" folgend, anonymisiert er die Gesichter auf den Schwarzweißfotos mit Scheiben in Rot, Gelb, Blau, Grün. So wird die Aufmerksamkeit auf Umraum und Gestik gelenkt, politische wie alltägliche Rituale enttarnen sich.

In neusten Arbeiten scheint Baldessari wieder mehr zu seinen formalen Kriterien von früher zurückzukommen. Er zitiert sich selbst. Früher habe ihn mehr interessiert, wohin die Kunst gehe, meint er: "Heute kümmere ich mich einfach nicht darum."

Daten: Balance and Order

Unter dem Titel "A different kind of Order" zeigt das Wiener Museum
moderner Kunst auf zwei Geschoßen bis 3.Juli Baldessaris Werk von 1962 bis 1984. Geöffnet ist Di.-So. 10-18h, Do. 10-21h.


Das Grazer Kunsthaus eröffnet am Samstag, 5.März, den zweiten Teil der Retrospektive: das Spätwerk bis heute. "Life's Balance" läuft bis 16.Mai, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr.


Die beiden Kataloge werden in einem Schuber um 58 Euro angeboten.

© diepresse.com | Wien