Vorurteile sind auch in der Kunstwelt nicht leicht
auszurotten. Gegen Künstler, Institutionen, Kritiker. So etwa hat die
Secession in Wien mit ihrem Engagement für oft sperrige Kunst in den
letzten Jahren das sinnlicher veranlagte - sagen wir einmal konservativere
- Publikum von einem längeren Blick eher abgeschreckt.
Doch einmal pro Jahr gilt eine Ausstellung der Malerei.
Sue Williams ist es heuer. Ihr Name steht für einen feministischen Zugang.
Sie rümpfen die Nase? Kämpferischer Feminismus scheint nicht mehr
zeitgemäß in einer abgebrühten Leistungsgesellschaft, "frau" will ihn sich
eben nicht mehr leisten, und die Männer sind schon von ihren Müttern auf
ein neues Frauenbild geschult. Kein leichter Stand für die weibliche
Emanzipation.
Mitte der achtziger Jahre ruhte die Malerei noch fest in
männlichen Künstlerhänden - wem fällt etwa unter den "Neuen Wilden"
spontan ein Frauenname ein? Damals begann Sue Williams (1954 in Chicago
geboren) in Amerika auszustellen. Keine Photographie, keine Videos und
keine Performances - Medien, die Künstlerinnen damals als größtenteils
unbesetzte Bereiche erobern und aufbauen konnten. Nein, Sue Williams
begann mit Malerei. Ihre Themen: Sexualität, Mißbrauch, Gewalt.
Die Secession zeigt im Hauptraum unter dem zwiespältigen
Titel "Art for the Institution and the home" die bisher größte Ausstellung
der Malerin, konzentriert auf das Werk der letzten zehn Jahre.
In einem mit pinkfarbenem Teppich und pfirsichfarbenen
Wänden, Couch und Kakteen skurril wohnlich gemachten Teil konzentriert man
sich auf kleinere Collagen, Zeichnungen, Malerei der früheren Jahre - "Art
for the Home". Noch sehr konkret sind hier Körper, Glieder, Kopulationen.
Verzerrt, skizziert mit fahrigem Strich - verharmlost durch den Stil von
Comics und Karikatur.
Im Hauptteil der Ausstellung - "Art for the Institution"
- ist das Erlebnis dann eindrücklich: Im hellen Raum beginnen die
großformatigen, meist quadratischen Leinwände zu leuchten - bunt,
fröhlich, das Orange blitzt lockend auf. Aus angemessener Entfernung ein
elegantes, abstraktes Linienspiel. Manchmal gibt der Titel die Richtung
vor, damit die kräftigen, präzisen Striche ihre Geheimnisse preisgeben,
wie etwa bei "Red gets in with the Shoes and Lingerie", 1998.
Nicht obszön will Sue Williams die pikanten Details
nennen - "explizit" ist ihr Wort dafür. Im Gewurl nimmt man
Geschlechtsteile, Intimzonen und Penetrationen aus - ein Schritt zurück
und es wird wieder zum dynamischen Muster. Eine entlarvende Strategie.
Zwischen den kleinteiligen Bildern, die neuesten
Arbeiten: Ebenso farbig, doch im Thema unentschiedener. Über die Leinwände
schlingern breite Bahnen in pastelligen Tönen, schwingen sich zu Achtern,
ziehen sich zu Kringeln zusammen wie putzige Würmer.
Eine fast klassische Künstler-Entwicklung glaubt man zu
erkennen: Vom Konkreten in die Abstraktion. Doch auch in den lustigen
Schlaufen sucht man das "Explizite", die Themen von Sue Williams,
assoziiert Körperteile, Handlungen, Übergriffe. Vorurteile wird man eben
so schnell nicht los.
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