|
Wann beginnt eigentlich ein
Spätwerk? Bei Picasso ziemlich früh, bei Bacon vielleicht gar nicht. Bei
Maria Lassnig wohl zum Zeitpunkt ihrer Retrospektive vor fünfzehn Jahren.
Denn seit Mitte der achtziger Jahre greift Lassnig immer wieder auf seit
den fünfziger Jahren entwickelte Bildsprachen zurück, so dass die
‹Körpergefühle› oder ‹body-awareness›, die sie in Malerei übersetzt, nun
auch durch den Filter bereits existierender Bilder gehen. So entsteht in
Lassnigs Arbeit eine neue Dimension der Geschichtlichkeit, die das
bisherige Wechselspiel aus Innenwahrnehmung und Aussenbezügen bereichert.
Für Lassnig, deren Gesamtwerk sich als erweitertes Selbstporträt
verstehen lässt, gibt es keine essentielle Identität hinter den Rollen, in
denen das Subjekt sich verkörpert, und jenseits der Beziehungen, in die es
verstrickt ist. Ihre Selbstporträts sind solche ‹als› etwas – ‹als
Zitrone› (1949), ‹als Prophet› (1967), ‹als Astronautin› (1968/69), ‹als
Indianergirl› (1973), als ‹Ungeheuer›, als ‹Tier› usw., ‹mit Kochtopf›
(1993), ‹mit Maulkorb› (1973) oder ‹Küchenschürze› (1993). Soziale Rollen,
wie die der Frau und der Künstlerin, sind ebenso konstitutiv für Lassnigs
transformatives Subjekt, wie es die imaginierten Rollen sind, die über die
sozialen hinausweisen können, aber auch aus psychischen Tiefen schöpfen
und dabei, wie in den ‹Warlord›-Bildern (1996/97), auch die destruktivsten
Potentiale nicht auslassen.
Maria Lassnigs Malerei ist immer
insofern radikal gewesen, als Stil jeweils nur solange Gültigkeit hatte,
als er der Visualisierung neuer Erfahrungen nicht im Wege stand. Die damit
verbundenen Stilbrüche sind zu unterscheiden vom herkömmlichen Stilwandel.
Man könnte dies so sehen, dass radikale Authentizität des Ausdrucks nur um
den Preis der künstlerischen Diskontinuität zu haben ist. Wohl eher aber
entsprechen diese Brüche dem vorläufigen und Widersprüche anerkennenden
Identitätskonzept, wie es sich auf der Ebene der Bildinhalte zeigt. Wie
Lassnigs Subjekt immer in Gestalt von oder in der Rolle von etwas
auftritt, so spricht auch ihre Malerei verschiedene Sprachen, wenn es
darum geht, über unterschiedliche Themen zu sprechen.
Allein in
den neunziger Jahren finden sich zumindest drei verschiedene Stile, die
Elemente aus früheren Perioden wieder aufgreifen. Da wäre der
‹monumentale› Stil in Bildern wie ‹Mars›, ‹Sensenmann› oder der
‹Warlord›-Serie, wo grossflächige, stark konturierte
anthropomorph-technoide Figurationen von grosser Plastizität vor
monochrome Hintergründe gesetzt sind. Konträr dazu der ‹neo-akademische›
Stil der ‹Illusionen von den versäumten Heiraten› (1997/98), der – wohl
thematisch bedingt – bis auf Realismen der Frühzeit zurückgeht. Beide
Stile finden sich nebeneinander in den zwei Figuren von
‹Generationswechsel› (1997). Schliesslich die Serie der ‹Beziehungen› und
‹Malflüsse› (1992–96) oder ein Bild wie ‹Die Sinne› (1996), in denen eine
totale Fragmentierung des Körperlichen stattfindet. Hier treten kaum mehr
lesbare Verdichtungen rudimentärer Fleischlichkeit, von denen manche
gerade noch an frühe Monster-Selbstporträts erinnern können, über
Farbstriche, an denen sie scheinbar aufgehängt sind, in zweifelhafte
Beziehungen zueinander. Wovon diese Bilder auch handeln mögen,
offensichtlich ist lediglich, dass Konkretes von Abstraktem in fast
tragischer Notdürftigkeit zusammengehalten wird. Wie lineare Verbindungen
hier zu Körperteilen stehen, könnte auf Probleme der Neurophysiologie
ebenso verweisen wie auf solche der Malerei. Vielleicht hat hier Lassnigs
altes Konzept der Malerei von ‹Körperempfindungen› einen dramatischen
Höhepunkt erreicht, der deutlich macht, dass sich hinter diesem
physiologischen Malbegriff zutiefst psychologische Fragen verbergen. Noch
kurz vor diesen Bildern, in einer um 1990 entstandenen Serie, hatte
Lassnig abstrakte Pinselstriche in leuchtenden Farben mit realistischen
Händen oder Gläsern zu einem Lobgesang auf die Malerei vereint. In einem
der jüngsten Bilder, ‹Tierliebe› (1998), scheinen sich beide Linien in
einer neuerlichen Ausgewogenheit zu treffen. Hier sehen wir die
verdoppelte Malerin am Werk, wie sie ein menschlich-tierisches Paar auf
dieselbe Leinwand bringt, auf der sie selbst erscheint. Man erinnert sich
an das wunderbare ‹Selbstporträt mit Stab› von 1971, wo die skizzierte
Mutter aus dem Bild hinter der Künstlerin ihre Hände auf deren Schultern
legt. Aus dem gebrochenen Stab sind in ‹Tierliebe› die zwei Pinsel
geworden, die ‹Die innige Verbindung von Maler und Leinwand› herstellen,
wie ein Bild von 1986 heisst. Im Musée des Beaux-Arts de Nantes vom
6.7.–27.9. Katalog, 240 S., Abbildungen und Texte von Maria Lassnig,
Wolfgang Drechsler und Oswald Wiener.
Bis 27.9.1999
|