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Nantes
Maria Lassnig im Musée des Beaux-Arts
von Christian Kravagna
Zum 80. Geburtstag Maria Lassnigs wird in Wien und anschliessend in Nantes – neben Verweisen auf frühere Phasen – das grossartige Spätwerk der Künstlerin gezeigt. Es weist sie endgültig als Österreichs wichtigste Malerin neben Kokoschka aus.

Wann beginnt eigentlich ein Spätwerk? Bei Picasso ziemlich früh, bei Bacon vielleicht gar nicht. Bei Maria Lassnig wohl zum Zeitpunkt ihrer Retrospektive vor fünfzehn Jahren. Denn seit Mitte der achtziger Jahre greift Lassnig immer wieder auf seit den fünfziger Jahren entwickelte Bildsprachen zurück, so dass die ‹Körpergefühle› oder ‹body-awareness›, die sie in Malerei übersetzt, nun auch durch den Filter bereits existierender Bilder gehen. So entsteht in Lassnigs Arbeit eine neue Dimension der Geschichtlichkeit, die das bisherige Wechselspiel aus Innenwahrnehmung und Aussenbezügen bereichert.

Für Lassnig, deren Gesamtwerk sich als erweitertes Selbstporträt verstehen lässt, gibt es keine essentielle Identität hinter den Rollen, in denen das Subjekt sich verkörpert, und jenseits der Beziehungen, in die es verstrickt ist. Ihre Selbstporträts sind solche ‹als› etwas – ‹als Zitrone› (1949), ‹als Prophet› (1967), ‹als Astronautin› (1968/69), ‹als Indianergirl› (1973), als ‹Ungeheuer›, als ‹Tier› usw., ‹mit Kochtopf› (1993), ‹mit Maulkorb› (1973) oder ‹Küchenschürze› (1993). Soziale Rollen, wie die der Frau und der Künstlerin, sind ebenso konstitutiv für Lassnigs transformatives Subjekt, wie es die imaginierten Rollen sind, die über die sozialen hinausweisen können, aber auch aus psychischen Tiefen schöpfen und dabei, wie in den ‹Warlord›-Bildern (1996/97), auch die destruktivsten Potentiale nicht auslassen.

Maria Lassnigs Malerei ist immer insofern radikal gewesen, als Stil jeweils nur solange Gültigkeit hatte, als er der Visualisierung neuer Erfahrungen nicht im Wege stand. Die damit verbundenen Stilbrüche sind zu unterscheiden vom herkömmlichen Stilwandel. Man könnte dies so sehen, dass radikale Authentizität des Ausdrucks nur um den Preis der künstlerischen Diskontinuität zu haben ist. Wohl eher aber entsprechen diese Brüche dem vorläufigen und Widersprüche anerkennenden Identitätskonzept, wie es sich auf der Ebene der Bildinhalte zeigt. Wie Lassnigs Subjekt immer in Gestalt von oder in der Rolle von etwas auftritt, so spricht auch ihre Malerei verschiedene Sprachen, wenn es darum geht, über unterschiedliche Themen zu sprechen.

Allein in den neunziger Jahren finden sich zumindest drei verschiedene Stile, die Elemente aus früheren Perioden wieder aufgreifen. Da wäre der ‹monumentale› Stil in Bildern wie ‹Mars›, ‹Sensenmann› oder der ‹Warlord›-Serie, wo grossflächige, stark konturierte anthropomorph-technoide Figurationen von grosser Plastizität vor monochrome Hintergründe gesetzt sind. Konträr dazu der ‹neo-akademische› Stil der ‹Illusionen von den versäumten Heiraten› (1997/98), der – wohl thematisch bedingt – bis auf Realismen der Frühzeit zurückgeht. Beide Stile finden sich nebeneinander in den zwei Figuren von ‹Generationswechsel› (1997). Schliesslich die Serie der ‹Beziehungen› und ‹Malflüsse› (1992–96) oder ein Bild wie ‹Die Sinne› (1996), in denen eine totale Fragmentierung des Körperlichen stattfindet. Hier treten kaum mehr lesbare Verdichtungen rudimentärer Fleischlichkeit, von denen manche gerade noch an frühe Monster-Selbstporträts erinnern können, über Farbstriche, an denen sie scheinbar aufgehängt sind, in zweifelhafte Beziehungen zueinander. Wovon diese Bilder auch handeln mögen, offensichtlich ist lediglich, dass Konkretes von Abstraktem in fast tragischer Notdürftigkeit zusammengehalten wird. Wie lineare Verbindungen hier zu Körperteilen stehen, könnte auf Probleme der Neurophysiologie ebenso verweisen wie auf solche der Malerei. Vielleicht hat hier Lassnigs altes Konzept der Malerei von ‹Körperempfindungen› einen dramatischen Höhepunkt erreicht, der deutlich macht, dass sich hinter diesem physiologischen Malbegriff zutiefst psychologische Fragen verbergen. Noch kurz vor diesen Bildern, in einer um 1990 entstandenen Serie, hatte Lassnig abstrakte Pinselstriche in leuchtenden Farben mit realistischen Händen oder Gläsern zu einem Lobgesang auf die Malerei vereint. In einem der jüngsten Bilder, ‹Tierliebe› (1998), scheinen sich beide Linien in einer neuerlichen Ausgewogenheit zu treffen. Hier sehen wir die verdoppelte Malerin am Werk, wie sie ein menschlich-tierisches Paar auf dieselbe Leinwand bringt, auf der sie selbst erscheint. Man erinnert sich an das wunderbare ‹Selbstporträt mit Stab› von 1971, wo die skizzierte Mutter aus dem Bild hinter der Künstlerin ihre Hände auf deren Schultern legt. Aus dem gebrochenen Stab sind in ‹Tierliebe› die zwei Pinsel geworden, die ‹Die innige Verbindung von Maler und Leinwand› herstellen, wie ein Bild von 1986 heisst. Im Musée des Beaux-Arts de Nantes vom 6.7.–27.9. Katalog, 240 S., Abbildungen und Texte von Maria Lassnig, Wolfgang Drechsler und Oswald Wiener.

Bis 27.9.1999

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Ausgabe: 07 / 1999
Ausstellung: ( - )
Institution: Musée des Beaux-Arts (Nantes)
Autor/in: Christian Kravagna
Künstler/in: Maria Lassnig