Die Kunst der Frage


Eines vorweg: Die Malerin Judith Baum tritt nicht in die Fußstapfen der Väter der amerikanischen Sexualforschung. Sie schreibt auch keine Fallgeschichten oder Sexualprotokolle für einen Kinsey-Report der 90er. Wenn sie Männer aus der New Yorker Kunstszene zur männlichen Sexualität befragt, das Gespräch auf Video festhält und den Künstlern anschließend eine Polaroid-Kamera in die Hand drückt mit der Aufforderung, ein erotisches Bild einzufangen, handelt es sich um ein Kunst- und Kommunikationsprojekt, das von den großteils prominenten befragten Künstlern wie etwa Mike Kelley oder Paul McCarthy von Anfang an auch als solches akzepiert wurde.

Die Qual der Antwort

Nicht der Wahrheitsgehalt und die Analyse wird angepeilt, es reicht, wenn die Kommunikation über Sexualität in Gang kommt. Und es reicht auch, zu sehen wie groß die Diskrepanz ist "zwischen rückschrittlichen, sexuelle Vorurteile wiederholende Aussagen und der fortschrittlichen Bereitschaft, über sexuelle Erfahrungen Auskunft zu geben", meint der Wiener Kunsthistoriker und Philosoph Peter Gorsen. Dass Judith Baum mit der Medienwirksamkeit ihres Projektes spekuliert, eben weil es voyeuristische Instinkte in uns hervorruft, sei ihr hier als findige List unterstellt.

Konfrontation mit einer Stadt

Judith Baum / ©Bild: Günther Ringelhann
Judith Baum / ©Bild: Günther Ringelhann
Entstanden sind die Videos der 1963 in Steyr geborenen Künstlerin während eines einjährigen Aufenthaltes in New York, wo die Künstlerin ihr ureigenstes Metier, die Malerei, verlassen hat, um sich durch das Befragen einer ihr fremden Stadt anzunähern. Die Essenz der Gespräche ist eine Installation mit zehn Monitoren, auf denen gleichzeitig die Videobänder laufen. Zu sehen ab dem 26. November im Container vor der Kunsthalle Wien.

Wie ist es zu dem Projekt gekommen?

Als ich das Projekt in New York begonnen habe, suchte ich ein kommunikatives Medium, weil ich mich mit der Stadt und den Menschen konfrontieren wollte und dafür ist Video perfekt. Ursprünglich wollte ich einfach Menschen auf der Straße zum Thema Tabu interviewen. Ich habe aber viele Abweisungen - vor allem von Frauen - bekommen und außerdem behaupteten viele, sie kennen keine Tabus. Und so bin ich einen Schritt weitergegangen: Ich befragte ausschließlich Männer konkret zum Thema ihrer Sexualität.

Würden Sie das Projekt auch mit Frauen machen?

Das erscheint mir nicht logisch, weil Frauen sowieso untereinander über ihre Sexualität reden. Außerdem setzte ich mich in meiner Arbeit immer schon mit dem weiblichen Körper auseinander. Mit diesem Projekt wollte ich die Leerstelle männlicher Sexualität auffüllen, ich wollte den Blick auf die männliche Sexualität lenken, abseits einer physischen Beschreibung. Mich interessieren Fragen nach inneren Körperbildern und wie man diese sexuellen Befindlichkeiten in Sprache umsetzen kann. Die Fragen sind aber so subjektiv, dass es kein Leistungskriterium und keine "falschen" Antworten geben kann, sie sind also auch nicht wirklich peinlich.

Wie wichtig war die Analyse der Interviews?

Es geht mir überhaupt nicht um irgendeine Interpretation. Das wäre auch nicht möglich, da die Auswahl der Interviewpartner in keinster Weise für irgendeinen Bevölkerungsquerschnitt repräsentativ ist. Ich wollte die Männer einfach reden lassen und habe mich dabei als kommunikatives Kunstmedium verstanden, das Künstler zu kreativen Prozessen motiviert. Mein kreativer Beitrag ist, dass ich beim Schneiden der Videobänder jene Stellen ausgewählt habe, die mir besonders originell erschienen sind, also offensichtlich gelogen oder langweilig oder irgendwie widerspenstig.

Warum haben Sie Polaroids machen lassen, die sie in der Kunsthalle wie Reliquien präsentieren?

Ich wollte auch noch eine andere Form der Dokumentation als die Sprache wählen. Und oft war es so, dass die sehr eloquenten Männer mit der Kamera ein Problem hatten. Für mich als Künstlerin war es ein besonderer Spaß zu sehen, dass viele Kunstkritiker oder Kuratoren richtigen Stress hatten, weil sie ein künstlerisch wertvolles Foto machen wollten.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Es hat mich sehr gewundert, dass niemand das Interview abgebrochen hat oder versucht hat, die Interviewsituation umzukehren. Die Männer haben sich richtig einteilen lassen und haben eigentlich sehr brav "funktioniert". Die größten Hemmungen gab es eindeutig bei der Frage nach den sexuellen Fantasien, wo viele verweigert haben.

Gibt es Unterschiede im Verhalten vor der Kamera und im Sprechen über Sexualität, was zum Beispiel die sexuelle Orientierung der Männer betrifft?

Im Nachhinein fällt schon auf, dass sich homosexuelle Männer und Transgender-People mit ihrer Sexualität mehr auseinandersetzen müssen, auch auf einer verbalen Ebene. Interessant ist aber auch, dass es eigentlich unmöglich war, Künstler asiatischen Ursprungs zu einem Interview zu bewegen und wenn schon, dann waren sie nicht sehr aussagekräftig.

Wie haben Sie die Fragen entwickelt?

Die Fragen sind in Gesprächen mit drei europäischen Frauen und einem Mann entstanden. Rein zufällig habe ich auch viele jüdische Männer interviewt und die haben sehr oft auf Freud und Wien verwiesen. Überhaupt habe ich festgestellt, dass jüdische Männer bei den Interviews einen differenzierteren und humorvolleren Zugang zu ihrem Körper haben, ohne das jetzt irgendwie werten zu wollen.

Tipps:

Judith Baum: This other being in der Kunsthalle Wien, project space in der U-Bahn Station U2/U3 Volkstheater.

Radio …sterreich 1