Salzburger Nachrichten am 9. September 2006 - Bereich:
Österreich
Neuer Mut durch Rückbau Eisenerz blickt in die
Zukunft: Projektreihe "Aufbruch/Umbruch" gestartet
MARTIN BEHR EISENERZ (SN). Der Wassermann hat gelogen. An die Sagenfigur, die
"Eisen auf immerdar" versprochen hatte, glaubt niemand mehr in Eisenerz.
Der Abbau am Erzberg, dem "steirischen Brotlaib", neigt sich dem Ende zu,
in der Industriestadt am Fuße des Präbichl blühen Verunsicherung und
Zukunftsängste. Was zu Abwanderung führt. Lebten vor 30 Jahren hier rund
12.000 Menschen, so ist diese Zahl mittlerweile auf rund 5700 geschrumpft.
Tendenz sinkend. Eisenerz, ein trauriges Musterbeispiel für die
Ausweglosigkeit einer "sterbenden Stadt"? "Nein", antworten die Architekten Inge und Werner Nussmüller, die in
Kooperation mit dem Land Steiermark die Ausstellung "Umbruch/Aufbruch"
gestaltet und das gleichnamige Symposion konzipiert haben. Es sei der
Tatkraft der Eisenerzer, die einen Berg abgebaut haben, zuzutrauen, ein
neues Umfeld zu schaffen. Die Ausgangssituation lässt sich freilich unter
"Tiefpunkt" zusammenfassen: Viele leer stehende Geschäftslokale und
Wohnungen, Verödung ganzer Ortsteile. Dazu kommt das Problem der Überalterung. Eisenerz sei die älteste
Gemeinde in ganz Österreich, 40 Prozent der Bewohner seien über 60 Jahre
alt, sagte Bürgermeister Gerhard Freiinger (SPÖ) am Freitag. Rund 600 leer
stehende Wohnungen verstärken das Frustgefühl in Eisenerz, wo einst 4500
Menschen mit dem Erzabbau beschäftigt waren. Heute bietet der "Brotlaib"
gerade noch knapp 200 Bediensteten Arbeit. Die Konsequenz? Der Abbruch leerer Gebäude ist nicht nur eine
wirtschaftliche, sondern auch eine psychologische Notwendigkeit. Die
Ausstellungsgestalter fordern eine öffentliche Diskussion darüber, wie mit
Schrumpfung umzugehen sei. Denn die ehrgeizigen Projekte, die
Bergarbeitergemeinde in eine Tourismushochburg zu verwandeln, haben nur
teilweise Erfolge verzeichnet. Bürgermeister Freiinger: "Nur mit Tourismus
können wir es nicht schaffen." Die Schau "Umbruch/Aufbruch" soll ein Nachdenken über "Stagnieren,
Entwickeln und Wachsen" anregen und der Bevölkerung Mut machen, die
Krisensituation zu bewältigen. Auf rund 500 Quadratmetern
Ausstellungsfläche im Kammerhof-Museum werden die Besucher über den
globale Strukturwandel informiert, wobei eine Welle im Eingangsbereich das
Auf und Ab in der geschichtlichen Entwicklung von Kommunen symbolisiert.
Am Ende der vom deutschen Projekt "Schrumpfende Städte" beeinflussten
Ausstellung geht es um das Thema "Re-design Eisenerz". 2021 werden
vermutlich 45 Prozent der Wohnungen in Eisenerz leer stehen.
Internationale Experten machen sich in einem Wettbewerb über den Rückbau
beziehungsweise die Nachnutzung Gedanken, die Ergebnisse werden als
"Zukunftsvisionen" im November präsentiert. Fix ist schon jetzt: Rund 500
Wohnungen sollen eliminiert, weitere 700 umfunktioniert werden. "Es gilt,
die Krise als Chance zu sehen, einen modellhaften Umbruch zu wagen", sagt
Werner Nussmüller. |