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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
04. April 2006
12:51 MESZ
Von Bert Rebhandl aus Berlin


"4. berlin biennale für zeitgenössische kunst"
Bis 28. Mai  
Foto: Berlin Biennale
Flammender Beitrag von Reynold Reynolds und Patrick Jolley zum Berlin-Biennale-Thema "Von Mäusen und Menschen / Of Mice and Men".

Geschlossene Veranstaltung
Die "4. berlin biennale" ist beispielhaft für den Umstand, dass die Kunst gegenwärtig vorwiegend sich selbst beäugt und kommentiert

Die 4. berlin biennale für zeitgenössische kunst (bb4) betritt man am besten von der Oranienburger Straße aus. Zur linken Seite findet sich in der St.-Johannes-Evangelist-Kirche eine Arbeit von Kris Martin, die wie ein Menetekel wirkt. Eine Anzeigentafel, die gewöhnlich für Orientierung sorgt, rattert leise im kalten Kirchenschiff. Aber wo die Buchstaben und Ziffern sein sollten, bleiben die Felder schwarz. Der Künstler lässt an Mobilität im Leerlauf denken, an ein dunkles Zentrum der globalen Betriebsamkeit.

Die Kuratoren kündigen mit dieser Arbeit ihr Leitmotiv an: Die Enttäuschung transzendenter und utopistischer Hoffnungen bricht sich in einem Wust nekromantischer Arbeiten Bahn. Das permanente Ankommen und Abfliegen im Kunstbetrieb sorgt für eine Ausstellung, die den Jetlag schon eingebaut hat.

Die bb4 stellt in erster Linie die Berliner Kunstmeile Auguststraße aus. Maurizio Cattelan, Massimiliano Gioni und Ali Subotnick hatten schon seit Monaten ironisch den Vergleich mit dem New Yorker Galerienviertel in Chelsea beschworen, indem sie einen illegitimen Ableger der Gagosian Gallery aufmachten.

Am Eröffnungswochenende der bb4 zeigte dann aber tatsächlich das ganze vielsprachige Milieu aus Sammlern, Künstlern und Adabeis, dass Berlin den Vergleich mit New York wieder ernst meint. Nach der sehr didaktischen letzten Biennale steht dieses Mal das imaginative Vermögen der Kunst im Mittelpunkt, und damit die Formen, die leichter verkäuflich sind. Eigens fabrizierte und schon längst vom Markt weggesammelte Werke hängen dicht nebeneinander. Der morbide Untergrund des Zivilisatorischen bricht überall durch.

"Location Scouting" gehört heute zum Anforderungsprofil für Kuratoren. Cattelan & Co. haben in der Auguststraße eine ehemalige Jüdische Mädchenschule entdeckt, die den größten zusammenhängenden Teil der bb4 beherbergt – von Paul McCarthys Bang-Bang Room bis zu Markus Schinwalds Marionette Otto wird hier alles zum Automaten, was früher einmal Behausung war. Räume und Körper gehen an das Mechanische verloren, und wenn die Kuratoren ihrem Unternehmen den Titel eines Romans von John Steinbeck gegeben haben: Von Mäusen und Menschen, so geht auch diese Ironie nicht auf.

Denn die Menschen sind in der Gegenwart ja viel stärker noch Versuchstiere einer anonymen Fantasie. Cattelan, Gioni und Subotnick wollen das aber nicht analysieren, sie illustrieren nur den Schauder, der einen bei solch Gedanken beschleichen kann. Wenn es ein Zentrum dieser verzweigten Schau gibt, dann ist es in den Kunstwerken zu finden.

Die "große Aufgreife"

Im Hauptraum wachen hier The Three Capacities von Thomas Schütte über die vielen Kunstwerke, die entlang der Auguststraße zum Teil sehr versteckt auf das flanierende Publikum warten. Es ist kaum möglich, diese drei grauen Kardinäle anders denn als Abbilder einer Kunstreligion zu deuten, die sich gänzlich auf sich selbst gerichtet hat.

Während viele Großausstellungen der letzten Jahre sich am Realen, am Globalen, am "Glokalen" und am Marginalen abgearbeitet haben, schafft es die bb4 mühelos, die ganze zusammenhanglose Produktivität der Kunst zugleich in einen kritischen wie kommerziellen Zusammenhang zu stellen, diese Produktivität institutionenkritisch zu wenden, und dabei von nichts Anderem mehr zu erzählen als von der Kunst als "große Aufgreife". Wenn Robert Kusmirowski in die Mädchenschule einen Wagon in Originalgröße stellt, der direkt auf die Shoah verweist, so schließt sich hier der Zirkel aus perfekt gecastetem Werk und perfekt gecastetem Ort zu einer Tautologie, die wie eine leere Anzeigetafel wirkt.

Die bb4 ist eine mustergültige Ausstellung, und wenn sie insgesamt ein wenig unheimlich wirkt, dann liegt das nicht daran, dass viele Arbeiten von Monstern und Monstrositäten handeln, sondern dass die Kunst insgesamt wie eine geschlossene Anstalt erscheint. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.3.2006)


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