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Die Bewerbung dieser
‹europäischen Biennale› war schon im Vorfeld von jenem ‹border-sound›
gekennzeichnet, der ein wenig Problembewusstsein vermitteln sollte, ohne
sich dabei politisch, oder auch nur theoretisch, exponieren zu müssen. Die
Übertragung des psychologischen Konzepts ‹Borderline Syndrome› auf ein
‹europäisches Ego› (Francesco Bonami) musste selbst die KuratorInnen in
Verwirrung stürzen. Zwar wollte man die Manifesta durchaus als ‹Therapie›
der diagnostizierten europäischen Krankheit verstehen, doch war schon bald
nicht mehr klar, ‹wer der Patient und wer der Arzt› ist. (Bonami) Die
immer wieder rhetorisch gestellte Frage ‹Where do you draw the line?›
blieb bezüglich der Eingrenzung des Ausstellungsthemas allzu
unbeantwortet, als dass eine ansatzweise Klärung von Problemlagen möglich
gewesen wäre.
Der Austragungsort Ljubljana, als Hauptstadt einer
jungen Nation zwischen ‹Ost› und ‹West›, zwischen sozialistischer
Vergangenheit und bevorstehender EU-Mitgliedschaft – von den Board Members
der Manifesta freundlicherweise als Land ‹irgendwo zwischen Europa und dem
Balkan› bezeichnet –, sollte den Part des Konkreten übernehmen. Die Stadt,
die das Flair des emergenten Kapitalismus versprüht und zugleich markiert
ist von vielerlei Spuren eines anderen Gesellschaftsmodells, hätte
tatsächlich eine Reihe von Anknüpfungspunkten geboten, um Transformationen
ökonomischer, sozialer und urbanistischer Strukturen nachzuzeichnen und
dabei schliesslich auch die Rolle der Kultur in diesen Prozessen zu
beleuchten. Davon ist allerdings in der Ausstellung nichts zu bemerken.
‹Ljubljana› blieb leeres Zeichen für Grenz- und Übergangssituationen aller
Art. Vor allem von Seiten slowenischer KulturproduzentInnen kommt
berechtigte Kritik an der raumschiffartigen Landung eines Kunst-Events,
dessen Verantwortliche den lokalen Produktionsbedingungen mit Ignoranz
begegnen und somit Ljubljana nur als Projektionsfläche nutzen, anstatt
sich den Erfahrungen und Kapazitäten seiner Kunstszene in einem
produktiven Dialog zu öffnen. Eine weniger von aussen aufgesetzte und mehr
in Kooperationen mit vorhandenen Initiativen entwickelte Ausstellung wäre
gerade auch für ein anreisendes Publikum aufschlussreicher gewesen.
Abstrahiert man (was man freilich nicht sollte) von den
konzeptuellen und strukturellen Defiziten dieser Manifesta, so bleibt sie
eine überschaubare, angenehm unspektakuläre, weniger an Inszenierung als
an Werken orientierte Ausstellung. Positiv vermerkt man im Unterschied zur
Mehrzahl der Grossausstellungen ‹junger Kunst› den geringen Anteil von
Marktware, was zugleich heisst, weitgehend von reiner Oberflächenkunst und
zynischen Selbstgefälligkeiten verschont zu bleiben. Selbst wenn die
Einladung einiger KünstlerInnen persönlichen Neigungen der KuratorInnen
zuzuschreiben ist, so scheint die Auswahl insgesamt doch weniger vom
Interesse an ‹Persönlichkeiten› geleitet als von der Absicht, einzelne
Aspekte von Grenzerfahrungen, -konflikten und -überschreitungen in
künstlerischen Reflexionen anzusprechen. Was die Ausstellung interessant
macht, ist nicht allein der vergleichsweise hohe Prozentsatz ‹politischer›
bzw. ‹engagierter› Arbeiten zu Themen wie Migration, Identität und
Dislozierung, sondern das Nebeneinander unterschiedlicher Ansätze, mit
diesen Themen künstlerisch zu verfahren. Betrachtet man insbesondere die
zahlreichen Arbeiten, die sich einer dokumentaristischen Ästhetik
bedienen, so zeigen sich offensichtliche Differenzen in bezug darauf, was
es heisst, ein Problem ‹abzubilden›; wie weit Einzelfälle exemplarische
Funktion übernehmen können; wie sehr ‹Tatsachen› für sich selbst sprechen
können usw. Diejenigen, die meinen, es genüge, Kamera und Mikrofon vor
sprechende Situationen zu halten, erreichen meist nicht mehr als die
üblichen TV-Dokus – kurzfristige ‹Betroffenheit› ohne weiteren
Erkenntnisgewinn. So gibt Amit Goren Einblick in einen inoffiziellen
Kindergarten illegaler Einwanderer in Israel. Sanna Sarva präsentiert
die Geschichten und fotografischen Porträts von Immigranten in Finnland in
der Galerieästhetik der achtziger Jahre. Nasrin Tabatabai begleitet mit
der Videokamera einen in Rotterdam lebenden Türken bei einer Autofahrt, um
den Verwandten in der Türkei die Stadt über den Film näher zu bringen.
Woran es diesen und anderen Arbeiten mangelt, ist eine
Reflexionsebene, auf der die Probleme der anderen auch als ‹unsere›
erkennbar werden. Eine Ebene, auf der nicht nur als politisch geltende
Sachverhalte wiedergespiegelt werden, sondern etwa auch die Politik der
Repräsentation mitgedacht ist. Solches geschieht zum Beispiel in einem
Video von Phil Collins, das die Arbeit von Reportern in Mazedonien
beobachtet und so zeigen kann, wie nach ganz bestimmten Vorstellungen jene
Bilder von Flüchtlingen produziert werden, mit denen wir medial gefüttert
werden. Die wahrscheinlich ausgereifteste Arbeit, sowohl was die Frage der
Darstellung als auch das Thema der Grenze betrifft, ist Ursula Biemanns
‹Performing the Border›. Sie untersucht, wie die Auslagerung der
Produktionsstätten von US-Hochtechnologiefirmen hinter die mexikanische
Grenze dort zu Verwerfungen des ökonomischen und sozialen Gefüges führt,
wie sich eine scheinbar fast immaterielle Industrie auf von Frauen
geleistete körperliche Arbeit stützt und welche spezifischen weiblichen
Biografien daraus hervorgehen. Hier werden weniger Einzelschicksale
geschildert als Beobachtungen und Gespräche zu Fragmenten einer Theorie
über Geschlecht, Arbeit und Technologie verarbeitet.
Bis 24.9.2000
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