Salzburger Nachrichten am 12. September 2006 - Bereich: Kultur
Rodins Renaissance

Ohne runde Jahreszahl nach Geburt, Tod oder Entstehung eines Hauptwerkes ist im Jahr 2006 ein erstaunliches Interesse am Werk Auguste Rodins geweckt worden.

Hedwig KainbergerMünchen, London (SN). Eine der größten und schwersten Leihgaben an ein Museum wurde in der Vorwoche durch Europa transportiert: Das 6,8 Meter hohe, acht Tonnen schwere bronzene "Höllentor" Auguste Rodins (1840-1917), bisher neben der Kunsthalle Zürich, wurde in ein Metallkorsett gesteckt und rollte auf einem von der Polizei eskortierten Tieflader nach London. Dort wird es für die spektakuläre Ausstellung in der Royal Academy of Arts aufgestellt.

Zuvor war dieses Hauptwerk Rodins, an dessen Entwurf der Künstler 37 Jahre gearbeitet hatte, sechs Monate lang restauriert worden. Die 186 Figuren aus Dantes Inferno wurden von Schäden befreit, die Wind, Feuchtigkeit und Schadstoffe angerichtet hatten. Anfang 2007 wird das "Höllentor", genauer gesagt: einer von acht Güssen, die es davon weltweit gibt, wieder nach Zürich zurückkehren.

Die Londoner Schau, eine Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Zürich und dem Musée Rodin in Paris, wird am 23. September eröffnet und ist eine der größten Rodin-Retrospektiven seit Jahrzehnten. Viele Skulpturen sind erstmals außerhalb Frankreichs zu sehen, zudem sind erotische Zeichnungen und Kreideskizzen zu entdecken. Nach London werden die rund 300 Exponate samt "Höllentor" in Zürich ausgestellt (ab 7. Februar 2007).

Am gleichen Wochenende wird in der Hypo-Kunsthalle in München eine Ausstellung eröffnet, die Rodins Paaren gewidmet ist - also Skulpturen wie "Der Kuss", "Romeo und Julia", "Faun und Nymphe", "Adam und Eva", "Fliehende Liebe" oder "Christus und Magdalena". Die 38 Plastiken sowie zahlreichen Zeichnungen, Aquarelle, Fotogravüren und Fotografien werden nach München im Folkwang-Museum in Essen zu sehen sein.

Diese beiden Ausstellungen in München und Essen sind Schluss- und Höhepunkt von zehn Sonderschauen mit Werken Rodins in Deutschland - vom Städel-Museum in Frankfurt (mit "Rodin und Beuys") über das Bucerius Kunstforum in Hamburg ("100 Jahre Rodin in Deutschland") bis zum Lehmbruck-Museum in Duisburg ("Lehmbruck, Dorin und Maillo").

Warum jetzt Rodin? Anders als beim Mozart- und Rembrandtjahr liegt es nicht an einer runden Zahl von Jahren nach Geburt oder Tod: In Rodins Lebenslauf gelten als wichtige Ereignisse des Jahres 1906 die Ernennung zum Ehrendoktor der Universität Glasgow und zum Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste Berlin sowie eine Serie von Aquarellen, die kambodschanische Tänzerinnen zeigen. Ein Hauptwerk, das Denkmal für sechs Ehrenbürger der Stadt Calais, 1885 in Auftrag gegeben, war 1906 noch immer nicht dort, wo es hingehörte, also zu ebener Erde - ohne Sockel - vor dem Rathaus von Calais (dies erfolgte erst 1945). Und am "Höllentor" sollte Rodin noch bis kurz vor seinem Tod 1917 arbeiten.

Rodins jetzige Renaissance ist offenbar so wundersam wie seine Werke. Er fasst innigste Ausdrücke von Lebendigkeit - sei es Ekstase oder Nachdenken - in hartem, kalten Material wie Stein oder Metall. Und er lässt perfekte Körper - seine Vorbilder waren Donatello und Michelangelo - aus scheinbar unbearbeitetem, rohen Stein wachsen, so dass seine Skulpturen zugleich vollendet und unfertig wirken.