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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
05. Februar 2009
18:23 MEZ

www.schirn-kunsthalle.de

Bis 3. Mai

 

Manches in der Schirn Kunsthalle erscheint künstlerisch nachrangig, aber gesellschaftstheoretisch wichtig, darunter die putzigen Bilder von Steinzeitmenschen des Franzosen Léon-Maxime Faivres.

 

 


Direktor Max Hollein, Kuratorin Pamela Kort und ein Gemälde von Gabriel von Max


Darwins Theorien als Trampolin für die Kunst
Die Frankfurter Schirn Kunsthalle zeigt mit "Darwin - Kunst und die Suche nach den Ursprüngen", wie bildende Künstler die Evolutionstheorie verarbeiteten

Am Anfang ist der Pfau. Nicht in jeder Kunstausstellung begrüßt die Besucher Argusianus argus, der Argusfasan. Doch dieses prachtvolle ausgestopfte Exemplar aus dem Besitz des Zoologischen Museums in Zürich trägt, zusammen mit Affen, Walen, Skeletten, behaarten Menschen und einem Frosch mit Hasenohren, eine ganze Schau. Die Schau anlässlich des Charles Darwin'schen Doppeljubiläums - 200. Geburtstag und 150. Jahrestag der Veröffentlichung von Über die Entstehung der Arten - über seinen Einfluss auf die Kunst und, wichtiger, aber leichthin aufgegebener Teil des Untertitels, die Suche nach den Ursprüngen.

Max Hollein, der Österreicher an der Spitze der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, war Feuer und Flamme, als ihm vor zweieinhalb Jahren die Kuratorin Pamela Kort vorschlug, den Darwinismus in der Kunst zwischen 1859 und 1959 zu beleuchten. Und verpflichtete sie auf diesen Februar. Denn auch wenn tout England heuer Charles Darwin feiert, als Evolutionsforscher und Reisenden im Londoner Natural History Museum, wo auch ein Nachbau der "Beagle" zu sehen ist, privat als Ehemann, Vater von zehn Kindern und Hundebesitzer in seinem restaurierten Haus in Downe in der Grafschaft Kent oder mit einer Sonderbriefmarke, so doch nicht als Anreger für Künstler.

Obwohl natürlich diese sich der heftigen Debatten um ihn, der zahllosen Veröffentlichungen von ihm und gegen ihn, der Karikaturen und illustrierten Ausgaben und der Popularisierung seiner Theorien in Zeitschriften wie der Gartenlaube nicht entziehen konnten. Und es auch nicht wollten.

Attacke auf das traditionelle Weltbild

Die Aufregung über Charles Darwin hatte seit dem 24. November 1859 nicht aufgehört. Damals erschien Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder der Fortbestand der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein, wie der deutsche Titel vollständig lautete. Und war aus dem Stand ein Erfolg. Die erste Auflage von 1250 Exemplaren war schon am Auslieferungstag verkauft. Über Darwins Buch wurde weit über wissenschaftliche Kreise hinaus diskutiert. Denn es attackierte das vorherrschende Weltbild. Und erschütterte die Ordnung. Wobei genau dies heftige Gegenreaktionen auslöste.

Das zeigen gleich zu Beginn die religiös getränkten Gemälde von Fredric Church und George Fredric Watts. Watts' Chaos, zwischen 1875 und 1882 gemalt, ist ein Bild, in dem der Aufstieg der - weißhäutigen - Menschheit durch Kampf aus formlosem Chaos hoch zum Licht (und athletischen Körper) zu sehen ist. Und ist so auch sinnfälliger Ausdruck einer formierten, spätbürgerlichen Gesellschaftsordnung, in der alles wohl geordnet ist und die für sich gottgewollte Harmonie und soziale Hierarchie reklamiert. Nur wenige Jahre später malte Watts mit der Eve Trilogy einen aus Bibel und Eros gekreuzten Appell an die Frau, die ihr attestierte Triebhaftigkeit zu domestizieren und zur "Männin" zu werden.

Das Zeitalter Darwins war auch das Zeitalter der Maschine, Darwin schrieb auf dem Land über die düstere Vergangenheit des Menschen, während dieser die Zukunft düster in Richtung Industrialisierung und Kriege vorantrieb. Allzu oft sind solche notwendigen Hintergrunderklärungen nicht in der Schau zu finden, sondern nur im Katalog.

Wiederbelebung nationalen Stolzes

So erscheint manches künstlerisch nachrangig, doch gesellschaftstheoretisch wichtig. Etwa Léon-Maxime Faivres putzige Bilder von Steinzeitmenschen, die der Versuch einer Wiederbelebung nationalen Stolzes waren. Die prähistorischen Funde auf französischem Terrain waren Balsam für die an sich zweifelnde und 1870/71 gedemütigte Grande Nation. Anderes erscheint oberflächlich pittoresk, wie etwa die Affenbilder des Münchners Gabriel von Max (1840-1915), und ist doch als Satire noch immer treffend.

Max zeigte in seinem Leben auch die Nachtseite der Darwin'schen Evolutionstheorie auf. In seinem großbürgerlichen Haus richtete er eine "Wissenschaftliche Sammlung" mit zoologischen und anthropologischen Objekten ein (am Ende seines Lebens waren es 80.000 Stücke); und in seiner Villa am Starnberger See lebte er mit seinen Modellen, 19 Affen, zusammen, die er mehr und mehr der Gesellschaft von Menschen vorzog.

Seine Affenrollenspieler bilden die bürgerliche Brücke vom Historismus zu den fantastischen Mischwesen und psychotischen Monster Odilon Redons und Alfred Kubins. Kort: "Die Fantastik hat mehr zu tun mit dem Darwinismus, als man allgemein glaubt." Doch beide nahmen Darwin mehr über die vereinfachendere Popularisierung der Evolutionstheorie wahr - das berühmte "Überleben der Tüchtigsten" stammt eben nicht von Darwin, sondern vom Philosophen Herbert Spencer 1850. Redon und Kubin synthetisierten Evolutionäres mit Urängsten.

Dass der Rhythmus der Ausstellung im letzten Fünftel ins Holpern kommt, gesteht die Kuratorin selber ein. Hier wird Darwin zum optischen Trampolin. Etwa in den herrlich bösen, noch immer erschreckend aktuellen Fotomontagen John Heartfields über Nationalsozialisten und Dumpfheit.

Die Zeit nach 1930 aber ausschließlich durch Max Ernst vertreten zu lassen ist einerseits einsichtig. Vor allem angesichts von Europa nach dem Regen (1940-1942), der Darstellung einer apokalyptischen Landschaft mit fantastischen Figuren. Doch andererseits nahm Max Ernst Darwin stärker via Ernst Haeckel wahr, dem Zoologen aus Jena und Autor der hinreißenden Radiolarien und der bestechenden Kunstformen der Natur. Hier hätten sich inhaltlich stimmig Arbeiten eines Giorgio de Chirico oder des französisch-amerikanischen Surrealisten Yves Tanguy eingefügt. Und ist für King Kong nicht auch Darwin verantwortlich? (Alexander Kluy aus Frankfurt/Main / DER STANDARD, Printausgabe, 6.2.2009)

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