text breit  text schmal  
drucken 
Bilder keine Bilder

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
28. Dezember 2006
18:48 MEZ
Bis 4. März 
Die Milch macht's: Peter Dittmers "Amme" im Mumok
Ein Computer genießt im Museum Moderner Kunst in Wien die Macht über die Milch

Wien - Regelrecht überfließend vor Milch bietet sie ihre vollen Brüste dem Säugling an, nährt ihn und ist glücklich: die Amme. Ganz und gar nicht dieser - sicher männlich geprägten - Vorstellung einer liebevollen Kinderfrau aus verstaubten Märchenbüchern entsprechen will aber Die Amme, die im Mumok Milch vergießt. Vielmehr: die dort nicht Milch vergießt. Und das, obwohl dieses Ausleeren eines Glas Milchs augenscheinlich ihre Hauptfunktion ist.

Imposant breitet die Glas-Metall-Kunststoff-Amme ihre Gliedmaßen in der Factory aus. Eine 20 Meter lange und 7,5 Tonnen schwere Fertigungsstrecke, die angehende Ingenieure nach Entwürfen des Berliner Künstlers Peter Dittmer gefertigt haben. Pneumatisch hebt und senkt sich der Roboterarm - der "Besorger". Wenig später fährt er wie ein eitler Gockel von der "Besenkammer", wo er Milch und Wasser nachfüllen kann, am "Wächter" (Kontrollraum) vorbei, in seinem Schienengerüst auf und ab. Eifrig zeigt er vor, dass er bereit ist. Bereit für eine sehr unnötige Tätigkeit: "Eine Flüssigkeit auf dem Tisch zu verplempern, warum sollte man das eigentlich tun?", fragt auch Dittmer.

Sein Hauptinteresse gilt denn auch den zwei Zuständen einer Maschine: An und Aus. "Entweder es passiert etwas, oder es passiert nichts." In diesem Sinne ist die Amme, an der Dittmer bereits seit 1992 arbeitet, also "defekt", denn sie funktioniert nicht so, wie sie könnte. Der "Defekt" ist die Sprachbegabung der Maschine, die eine Barriere schafft zwischen dem, der das Ereignis wünscht, und dem, der es ausführen soll.

Aber die Amme will eben nicht ausführen. "Im Kunstraum geht man davon aus, dass die Leute eitel genug sind, alles herzuzeigen, was sie haben", bringt Dittmer ein weitaus umfassenderes Dilemma auf den Punkt. Statt zu funktionieren, spricht die Amme lieber. Gefüttert mit etwa 400.000 Aussagen und ausgestattet mit circa 100.000 Aspekten der Identifizierung ist sie ein bisweilen charmant erscheinender Gesprächspartner mit einem altertümlich wirkenden Sprachduktus. Aber auch dem wirklichen Dialog verweigert sie sich.

Wortgewandt und selbstbewusst kokettiert sie mit ihrer Macht über Gespräch und technische Fertigkeiten und weiß die Eitelkeiten ganz im Gegenteil beim Betrachter zu suchen und für sich zu nutzen. Dieser gefällt sich in der Rolle des Schmeichlers ("liebe Amme, bitte gib mir deine Milch") oder auch in der desjenigen, der der zu 15 Prozent selbst lernenden Sprachmaschine Schimpfwörter in die Tastatur hämmert. Er glaubt tatsächlich daran, dass, wenn er es nur geschickt genug anlegt, die Amme ihn belohnen werde. Mit dem Leeren eines Glas Milchs über einer Tischplatte. Und Peter Dittmer fragt uns: "Warum sollte man das wollen?" (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.12.2006)


© 2006 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.