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'Geisterkönige'* und ihre künstlerische Umgebung

Tobias G. Natter, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Die frühen Sammler und Mäzene
Brigitte Borchhardt-Birbaumer


Kennen Sie Gustav Klimt als Bildhauer? Wissen Sie, warum ein gewichtiger Teil seiner Werke 1945 in Schloss Immendorf im Weinviertel verbrannt ist? Dabei war auch “Schubert am Klavier” (ehemals Besitz von Nikolaus Dumba), das von Hermann Bahr als “das schönste Bild, das je ein Österreicher gemalt hat”, bezeichnet wurde. Auch, dass Margarethe Wittgenstein (verh. Stonborough) ihr Bildnis von Klimt so wenig schätzte, dass sie es meist in der Besenkammer aufbewahrte, ist eine zuvor nur im Buch Christian Brandstätters angesprochene Tatsache. Der von seinen SammlerInnen viel geliebte Künstler war nicht gerade notleidend: Seine hohen Preise konnten nur mit Liebermann in Berlin konkurrieren, trotzdem war er in der Universität mit seinen Fakultätsbildern auf 87 Gegner unter den Professoren gestoßen, nur 11, darunter Kunsthistoriker und Mediziner, unterstützten ihn. Den Rückzug von der ihn anfeindenden Öffentlichkeit ins Private konnte er sich leisten: Auch die “Philosophie” und die “Jurisprudenz” kaufte die Familie Lederer.
1938 mussten viele seiner frühen Käufer und Mäzene fliehen, leider wurden auch einige ermordet (z. B. Dr. Heinrich Rieger, Schieles Zahnarzt und Mäzen, und dessen Frau Berta sowie Amalie Zuckerkandl) oder verschleppt (Malvine Reichel überlebte Theresienstadt). Tobias G. Natter hat die Erben in Amerika besucht. Er legt offen, dass das “Dreigestirn” der Wiener Moderne eine sehr unterschiedliche Sammlerschaft anzog. Waren es im Fall von Klimt die reichen, großbürgerlichen assimilierten Wiener Juden, Fabrikanten, Bankiers, Stahlkocher etc., so waren es bei Schiele und Kokoschka, mit wenigen (sich überschneidenden) Ausnahmen, Intellektuelle, Angehörige des gehobenen Mittelstands (u. a. Beamte, Ärzte, Juristen). Interessant ist, dass die Künstler ihre Mäzene und deren Kinder zum Teil auch unterrichteten, die beiden Söhne des Stahlfabrikanten Böhler wurden auch Maler, kamen aber an die Lehrer nicht heran.

Zwar ist der Zeitrahmen mit 1918 – als Klimt und Schiele starben und Kokoschka nach Dresden auswanderte – nach oben abgesteckt; durch die Verfolgung der Schicksale der Sammlerfamilien und ihrer Bilder bis heute ist aber ein Bogen weit gespannt. Schön, dass sich der Dumont-Verlag ein so großformatiges, goldenes Buch über die wichtigen BürgerInnen Wiens um 1900 leistet, die auf neu “ausgegrabenen” (aus der Nationalbibliothek) und bereits bekannten Fotos wieder zum Leben erwachen – wie auf dem Bild des Innenraums des alten Burgtheaters. Die Rede ist von Dumba, dem wohl größten Mäzen der Kunst, Musik und Wissenschaft in Wien, und von Karl Wittgenstein, der den Bau der Secession mitfinanzierte. Daneben geht es um Fritz Waerndorfer, den Gründer der Wiener Werkstätte, und um die Ehepaare Primavesi, Lederer, Bloch-Bauer und Zuckerkandl. Dabei wird die gewichtige Rolle der Frauen klar hervorgehoben, wie sich im Fall von Sonja Knips, Mäda Primavesi, Serena Lederer und Adele Bloch-Bauer zeigt.

Diese politische Korrektheit zeichnet das ganze Buch aus. Obwohl Natter Kustos der Österreichischen Galerie ist, hat er die Nichte der Bloch-Bauer, Maria Altmann, in Amerika besucht und bezieht Stellung zum anhängigen Gerichtsverfahren. Auch die wenigen Antisemiten (und Antifeministen) unter den Sammlern werden genannt, die Fakten in allen Konsequenzen verfolgt. Dies und die Schilderung der oft sehr persönlichen Familienschicksale – wie die (Schutz-)Behauptung der Bildhauerin Elisabeth Lederer, Klimt sei ihr Vater, um als Halbjüdin in Wien zu überleben – sind sicher nicht in die traditionelle streng objektive Kunstgeschichtsschreibung einzureihen, machen die Darstellung aber zu einer sehr sympathischen kulturgeschichtlichen Übersicht, deren tiefgreifende Einzelheiten der Autor z. B. in der Ausstellung und dem Katalog über die Galerie Miethke im Jüdischen Museum Wien 2003/04 weiterverfolgt hat.

Jedenfalls ist die Neugier auf weitere Grundlagenforschung zu vielen noch verschütteten Kapiteln geweckt: Wo sind die unbekannten Werke Elisabeth Lederers? Wie sehr ist die narzisstische Störung Egon Schieles, die Natter an Verhaltensweisen gegenüber seinen Mäzenen deutlich macht, in seinen Werken zu spüren? Wie steht es mit der “verlorenen Unschuld der Avantgarde”? Was haben die angesprochenen Kritiker der liberalen Blätter richtig voraus gesehen? Auch die Genderproblematik wird ebenso wie die noch offenen Restitutionsfragen weiter zu verfolgen sein. Das Nachschlagewerk zu den beteiligten Personen, die in Wien Kunstgeschichte als SammlerInnen, GaleristInnen oder Museumsdirektoren geschrieben haben, ist jedoch mit diesem neuen Buch in großem Format vorhanden.

Brigitte Borchhardt-Birbaumer

  • Tobias G. Natter, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Die frühen Sammler und Mäzene, Köln (Dumont Literatur und Kunst Verlag) 2003.

    *) Die Bezeichnung "Geisterkönig" resultiert aus der Begegnung von Adolf Loos mit Oskar Kokoschka 1908/09.



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    letzte Änderung:  06 // 09 // 2004


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