17 Museen weltweit haben sich zu einem
Web-Experiment verbunden
Virtuelle Tiefenschärfe
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So nahe wie nie: Detail aus Bruegels "Kornernte" aus dem Metropolitan
Museum in New York, zu sehen auf der virtuellen Museumsplattform. Foto:
www.googleartproject.com
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Von Peter
Nonnenmacher
Rundgänge
durch 385 Museumsräume.
Hochaufgelöste Kunstschätze aus Berlin und New York.
London.
Kein Schlangestehen mehr in den großen Museen der Welt. Kein Gedränge
vor den populärsten Gemälden. Keine nervösen Museumswärter, wenn man
sich einer Leinwand zu sehr nähert. Jetzt sollen Kunst-Enthusiasten sich
nach Belieben in die Objekte ihrer ästhetischen Begierde versenken und
inmitten der Pinselstriche und Öl-Kleckse alter Meister herumwandern
können. Selbst Experten können diese Entdeckungsreisen gänzlich neue
Einblicke verschaffen.
17 große Museen weltweit haben sich zu einem Web-Experiment
verbunden, das diese Woche in London vorgestellt wurde. Das "Art
Project" erlaubt einen virtuellen Gang durch Museumsräume und einen
detaillierten Blick auf einzelne Gemälde, wie er bisher nicht möglich
war. Von der Nationalgalerie und der Tate an der Themse über das
Rijksmuseum in Amsterdam und die Hermitage in Sankt Petersburg bis zum
Metropolitan Museum in New York bietet sich eine Cyber-Tour bedeutender
Kunstwerke, die 385 Räume umfasst. Auch Berlins Gemäldegalerie und Alte
Nationalgalerie, das Museo Reina Sofia in Madrid, die Uffizien in
Florenz und Kunstsammlungen in Prag, Moskau und Versailles sind mit von
der Partie.
Andere Museen können sich anschließen. Das Projekt versteht sich als
Einladung zum Zusammenwirken. Zustandegekommen ist es in Kooperation mit
Google, das nun also Spaziergänge nicht mehr nur entlang städtischer
Häuserfronten simuliert, sondern auch durchs Innere der musealen
Schatzkammern.
Details dank Gigapixel
In der virtuellen Version kann man den Kunstwerken ganz anders nahe
kommen als in der realen Welt. Eine Auswahl der Gemälde wird in
Ultra-High-Definition dargeboten – dank einer Gigapixel-Technologie, die
die tausendfache Schärfe einer Digitalkamera erlaubt und Einzelheiten
zutage fördert, die das menschliche Auge am realen Objekt kaum
wahrzunehmen vermag. Auf einer Wiese von Bruegels "Kornernte", im
Metropolitan Museum, taucht etwa eine Familie auf, die während der
Fasnachts-Feiern eine an einen Zaun gehängte Gans mit Prügeln bewirft.
"Von diesem grausamen Spiel habe ich bisher auch nichts gewusst",
gesteht Sir Nicholas Serota, Chef der Tate Modern. In der Vergangenheit,
erklärt der Direktor, seien Museen vor allem daran interessiert
gewesen, so viele Bilder wie möglich ins Netz zu bringen: "Nun geht es
mehr um Tiefenschärfe."
Man dürfe hoffen, meint auch Googles "Art-Project"-Betreuer Nelson
Mattos, "dass dies eine ganz andere Weise der Beschäftigung und der
Erforschung von Kunst erlauben wird".
Dass derartige Web-Präsentation Kunstfreunde vom Besuch der Museen
abhalten werde, befürchtet keiner der an der Initiative beteiligten
Experten. Ersetzen könne die virtuelle Bildergalerie die Begegnung mit
realen Gemälden nicht, sie könne aber "Geschmack auf mehr" machen, also
Besuche begünstigen. Vorsichtig will man nur sein in Bezug auf die
vielen hundert Museumsräume, die im Detail am Bildschirm zu besichtigen
sein werden. Man will ja nicht Kunstdieben das Studium von Alarmanlagen
erleichtern, bei der Planung künftiger Raubzüge am Computer.
Website Art Project
Printausgabe vom Mittwoch, 09.
Februar 2011
Online seit: Dienstag, 08. Februar 2011 17:09:00