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Wickies starker Finger

Aufzählung (cai) Fuckparade? Da werd’ ich ja schon vom Hinschreiben rot. Soll das eine massenhysterische Ferkelei sein? Angewandte Libido im Freien? Organisierte Erregung öffentlicher Erregung? Und werden Fußgänger unter 18 großräumig umgeleitet? Die Fotos, die Kerstin von Gabain vor 11 Jahren in Berlin gemacht hat, als Fuckparades noch ziemlich neu waren, sind tatsächlich nicht jugendfrei. Aber bloß insofern, als da lauter junge Menschen drauf sind. Ansonsten sind sie nicht grad aufregend. Die Leut’ stehen fad herum. Der nostalgische Blick auf die Frühphase dieses Großstadtphänomens ist eben weniger sinnlich als be sinnlich. In der Galerie herrscht beinah Grabesstimmung.

Ein historisches Musikinstrument (ein Kassettenrekorder) spielt eine gelöschte Kassette ab. (Hm. Ein Tonband, das man mit viel Nix überspielt hat? Jö, das ist wie eine Übermalung vom Arnulf Rainer. Nur halt für die Ohren.) Was jetzt illusionslos rauscht, war einmal ein Fuckparade-Soundtrack. Äh, Stöhnen? Nein, Techno. Ist dieses weiße Rauschen, das höchstens von der schmutzigen Phantasie des Zuhörers verdreckt wird, ein friedvolles Requiem für eine Kultur der massiven "Dezibelästigung"? (Die Fuckparade ist übrigens eine Gegenveranstaltung zur Loveparade.) Gut, das ist alles recht mager, doch immerhin schafft es Kerstin von Gabain mit ihrem Radikal-Minimalismus, eine wilde Party, wo sämtliche Glieder exaltiert zucken (was man gemeinhin, nein, nicht Sex, sondern Tanzen nennt), in so etwas wie einen Nachruf auf den Spaß zu verwandeln. Auch die Drohgebärde, mit der ein Technoviking (ein ravender Barbar) bei der Fuckparade 2000 einen Ungustl verscheucht hat, gefriert bei ihr zum Denkmal, wenn sie sie vor der Kamera imitiert und selber den Finger erhebt. Tja, Wickie und der starke Finger. (Eh nicht der schlimme mittlere.)

Gabriele Senn Galerie
Schleifmühlgasse 1, 1040 Wien
Kerstin von Gabain: "no minimum", bis 24. April
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr, Sa.: 11 – 15 Uhr

Alice hinter den Zäunen

Aufzählung (cai) Spiegelbilder sind ausnahmslos live. Weil ein Spiegel, diese Vorrichtung, mit der auch der Unbegabteste ein fotorealistisches Selbstporträt anfertigen kann (indem er einfach reinschaut), ja kein Gedächtnis hat. Außer bei Michelangelo Pistoletto. Quasi. Fast 50 Jahre nach seinen ersten "Mirror Paintings" hat er wieder welche produziert, ohne dass die jetzt wie kunsthysterische, äh: - historische Fossilien dahängen täten. Spannend ist das Spiel mit den Realitäten immer noch. Der Betrachter fügt sein eigenes Spiegelbild zu lebensgroßen, auf den Spiegel gedruckten Motiven hinzu. Zum Maschendrahtzaun mit Warnschild. Dann ist man zugleich vor und hinterm Zaun, in Sicherheit und in der Gefahrenzone. Und die Demonstranten, die einem den Rücken zukehren, wogegen protestieren die? Oh, gegen – mich ! (Um über sie drüberzusehen, hab ich mich auf die Zehenspitzen gestellt.)

Galerie Mezzanin
Getreidemarkt 14/Eschenbachgasse, 1010 Wien
Michelangelo Pistoletto, bis 30. April
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr, Sa.: 11 – 15 Uhr

Wer Sandkörner sät .. .

Aufzählung (cai)... äh, wird Wüste ernten? Essig + Öl = Salatmarinade. Sand + Öl = Wolkenkratzer. Letzteres ist das Rezept der Ölscheichs für eine Stadt. Man nehme eine Wüste und pumpe Petrodollars hinein. Genauso macht das der Hernando Osorio auch. Na ja, fast genauso. Sand in die Ölfarben mischen und harte Schatten von Hochhäusern malen (die trotzdem Tiefe, oder eigentlich Höhe , vorgaukeln). Unverschämt simpel. Die Kombination aus grafischer Schärfe und "versandeter" Farbe hat aber eine ganz eigene Sinnlichkeit.

Galerie Sur
Seilerstätte 7, 1010 Wien
Hernando Osorio: Architexturen, bis 7. Mai
Di. – Fr.: 15 – 19 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 21. April 2010
Online seit: Dienstag, 20. April 2010 16:24:00

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