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26.05.2006 - Kultur&Medien / Kultur News
Kunstgewerbe-Schmus? Bewegung!
VON ALMUTH SPIEGLER
Entdeckung. Ist der "Wiener Kinetismus" Österreichs Beitrag zur Avantgarde?

S
tricken, töpfern, dekorieren - Wei- berzeug. Von wegen Kunst. Ja? Das wäre doch gelacht. Gerade die tradi tionell frauenlastige Ornament-Klasse Franz Cizeks an der Wiener Kunstgewerbeschule um 1920 soll jetzt Österreich doch noch einen Beitrag zur Avantgarde bescheren. Das versucht zurzeit ziemlich fein das Wien Museum mit der Schau "Wiener Kinetismus" zu beweisen. Nicht zu verwechseln mit den Schrottmaschinen Jean Tinguelys und Konsorten, die in der Schweiz heute so manche Brunnen zieren - das ist Kinetik und passierte erst ein paar Jährchen später.

Beiden Begriffen gemein ist, dass sie sich aus dem Griechischen "kinesis" (Bewegung) ableiten. Die Wiener Urversion beschränkte sich aber auf die Trockenübung, die reine Darstellung von Bewegung durch Zerstückelung in Zeichnung, Malerei, Skulptur und wurde erstmals 1920 im Museum für Kunst und Industrie präsentiert. Und von heimischen Kunsthistorikern als gefühliger Kunstgewerbe-Schmus abgetan. Weit gefehlt. Aber im Nachhinein ist leicht spotten.

Heute sieht man den Kinetismus als eigenständige Wiener Version des damaligen Zeitgeists, der unter dem Begriff "Futurismus" gröbstens zusammengefasst werden könnte und in verschiedenen Ländern Europas zeitgleich auftauchte. Für Österreich, dem in dieser Periode auf künstlerischem Gebiet sonst eher zeitverzögertes Nachahmen vorgeworfen wird, eine beachtlich originäre Leistung. Im Unterschied zum 1909 ausgerufenen italienischen Futurismus, machistisch und kriegsverherrlichend, gibt sich der Wiener Kinetismus völlig unpolitisch und, wie gesagt, frauenlastig.

Mit ein Grund, warum es der Kinetismus so lange so steinig hatte in der Rezeption, die wesentlich durch den Künstler Bernhard Leitner und den Galeristen Michael Pabst gefördert wurde? Vielleicht. Noch dazu schien der Name Cizek, der für seine Kinderkunstschule über die Landesgrenzen berühmt war und ein utopistisch-reformatorisches Lebenskunstwerk anstrebte, die einzelnen Persönlichkeiten zu verdecken. Das Wien Museum, das nach einigen Wirren Cizeks Nachlass bekam, inszeniert jetzt wiederum in einem der hiermit eingeweihten vier neuen Ausstellungsräume im ersten Stock die drei, wenigstens am Kunstmarkt ganz und gar nicht mehr namenlosen "Stars" des Kinetismus - Erika Giovanna Klien, My Ullmann, Elisabeth Karlinsky.

Wobei vorhersehbar die exzentrische Klien mit dem Fries "Gang durch die Großstadt" (1923) und ihrem faszinierenden gezeichneten Tagebuch von 1926/27, das an japanische Comics (Mangas) erinnert, am meisten beeindruckt. Insgesamt aber beeindruckt die von Monika Platzer und Ursula Storch erarbeitete Ausstellung historisch: Nicht nur, dass sie die artifizielle, von Cizek zielstrebig geleitete Entstehung des Kinetismus beleuchtet - der Katalog stellt seit 1922 die erste umfassende Publikation zu dieser Richtung dar. Und das ist wohl das Wesentlichste, was dieses Jahr für Österreichs Kunstgeschichte getan werden konnte.

Bis 1. Oktober, Di.-So. 9-18 Uhr.

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