Quer durch Galerien
Ist Ketchup jetzt endlich pink?
|
Nein, Veronika Dirnhofer erstickt und vermurt ihre Leinwände nicht.
Auch diese Dame ("Habemus mamam") hat noch genug Luft zum Atmen und
Schönsein. Galerie Frey
|
Von Claudia Aigner
Wie kann sich ein extrem Begabter seine Genialität denn noch
beweisen (außer mit dem Beitritt zum Mensa-Club für fortgeschritten
Intelligente)? Mit dem Palimpsest für G’scheite natürlich. Denn einer,
bei dem der Computertomograph das Hirn vor lauter IQ nicht mehr sieht,
der gibt sich nicht damit zufrieden, aus einem Schriftstück einfach, um
Papier zu sparen, alle alten Buchstaben rauszuschmeißen und neue
drüberzuschreiben. Der braucht die ultimative Herausforderung. Der muss
ins bibliophile Delirium.
Der nimmt also ein Buch und verwandelt es (durch gezieltes,
sensibles Wegstreichen von Buchstaben) in Literatur mit komplett neuem,
unvorhergesehenem Inhalt. Und wenn er sich zu einem wahren Meisterwerk
der virtuosen Zensur hinreißen lässt, dann befreit er aus den "120
Tagen von Sodom" des Marquis de Sade den Kleinen Katechismus von Martin
Luther.
Branko Lenart wärmt sich zumindest schon einmal mit Straßen- und
Ortsschildern auf (ohne ihm jetzt unterstellen zu wollen, er sei beim
Mensa-Club oder wolle sich später daheim aus einem Werk des Großen
Sadismus einen Kleinen Katechismus basteln). Aus der Piazza wird eine
Pizza, vom Kap Finisterre, dem letzten Punkt vom spanischen Festland,
bevor einem die Füße nass werden (wenn man Amerika entgegengeht),
bleibt nur "Finster" übrig. Gar nicht so dumm: Man schaut ja von diesem
Fleckchen des Abendlandes aus dorthin, wo die Sonne untergeht.
Fotogalerie: Kunst oder
Marsriegel für alle?
Ach, wen überkommt nicht ab und zu die Lust, sich in öffentliche
Verlautbarungen einzumischen (mit dem Abdeckstift von L’Oréal, zwecks
kosmetischer Korrektur)? Und den "Damen" auf der Klotür zum "Amen" der
Erleichterung zu verhelfen, die weltliche Notdurft in religiöse
Erbauung umzudichten?
Oder am "Betreten verboten"-Schild Ausbesserungsarbeiten
vorzunehmen: "Beten verboten. Eltern haften für ihre Kinder"? (Beten:
Man faltet die Hände, damit wählt man sich ins transzendentale
Mobiltelefonnetz ein. So gesehen sind Hände in Bethaltung auch
irgendwie ein Handy.) Branko Lenart (und die Fotogalerie, Währinger
Straße 59, überblickt bis 20. Juli die letzten 40 Jahre seines meist
schwarzweißen, strikten Fotografierens) hinterließe freilich in so
einem Fall – nicht dass er obige pubertäre Delikte begangen hätte –
seine Fingerabdrücke. Denn er nimmt für etwaige Buchstabenabdeckungen
seine Hände und lässt die gleich drauf, auf dem Tatort.
Eigentumshäuschen auf dem roten Planeten
Er greift halt gern in seine präzise berechneten Bilder rein, hält
Gegenstände hinein (seine eigene Brille zum Beispiel, in deren Gläsern
zwei Meerlackerln hängen geblieben sind, die also seinen Meerblick
enthalten). Oder legt eben einer Schrifttafel sinnentstellend die Hände
auf: "Ars pro toto." Kunst für alle. Da fehlt am Anfang das P.
Eigentlich ein Manifest. Oder eine Unterstellung. Könnte schließlich
auch " Mars pro toto" geheißen haben: Marsriegel (oder
Eigentumshäuschen auf dem roten Planeten) für alle. Eine Speisung (oder
Aussiedlung) der 6 476 034 952 (Stand: 5. Juli 2005, 13 Uhr 48 und 49
Sekunden).
Lenarts Fotoapparat ist ein Messinstrument. Als wär’ er geeicht wie
ein Lineal. Der verrutscht dem Lenart nie. Und die absolute technische
und intellektuelle Perfektion dieser Arbeiten macht auch ihre
Anziehungskraft aus. Den Horizont, der am Meer ja so besonders
waagrecht ist, liebt der Lenart. Einmal teilt er exakt Himmel und Meer
in einem geradezu mythischen Schöpfungsakt, indem er eine Stange
hochstemmt (bis auf Horizonthöhe), die auf den drei nebeneinander
liegenden Fotos zu einem durchgehenden Handlauf wird. Der Horizont ist
ein Geländer.
Die Fernbedienung für die Wiener Philharmoniker
Moment: Wenn die Hände im Bild sind, wie . . . Gut, die Philharmoniker kann man zur Not ja auch
mit den Füßen dirigieren, wenn die oberen Extremitäten gerade
anderweitig beschäftigt sind (und nicht das Dirigentenstaberl, die
Fernbedienung fürs Orchester, halten können, weil sie telefonieren oder
nasenbohren müssen). Eine Hebamme täte sich da schon schwerer, ohne
Greifwerkzeuge in medias res zu gehen. Die Geburtszange mit
Selbstauslöser gibt’s wahrscheinlich noch nicht. Eh klar:
Selbstauslöser. Auf den wird der Lenart drücken.
In der politischen Abteilung: seine einprägsam unheimliche Serie
"Kaddisch" über die in KZs ermordeten Grazer Juden. Grabsteine vom
jüdischen Friedhof in Graz, die geisterhaft zu glühen oder zu brennen
scheinen. Weil’s Negative sind.
Kontinent beschlagnahmt, Religion konfisziert
Der Flügelaltar "America latina": von subtiler Vehemenz. Links:
Columbus, der ja den Ureinwohnern von Amerika die Frohbotschaft, dass
sie endlich entdeckt sind, mit dem Schiff vorbeigebracht hat und
mitgemacht hat, einen ganzen Kontinent zu beschlagnahmen.
Besitzergreifend wie McDonald’s (sozusagen), der überall seine Burger
einschleppt. Rechts: Johannes Paul II, der "Reisepapst", der sich nicht
damit begnügt hat, von zu Hause aus die ganze Welt zu segnen
(urbi et orbi), sondern überall persönlich nach dem Rechten (und dem
rechten Glauben) gesehen hat. In der Mitte: Asche. Wie von einer
Bücherverbrennung und Kulturzerstörung.
Hätte der Lenart auf die Mitteltafel also auch drei Portionen Pommes
frites geben können (und die große im Zentrum im Ketchup ertränken, am
Ende ihrer Tomatenpassion)? Und hätte er auf dem linken Flügel eine
Apfeltasche von McDonald’s, gefüllt mit den pürierten Früchten vom
paradiesischen Baum der Erkenntnis, verewigen können und auf dem
rechten einen schwarzen Kaffee von Starbucks, heiß und dampfend wie die
Hölle? Nein, so plakativ banal ist er nicht, der gebürtige Slowene, der
1954 nach Österreich emigriert ist.
Galerie Frey: Frau Holle
verliert nicht die Kontrolle
Die Bilder von Veronika Dirnhofer (bis 25. Juli in der Galerie Frey,
Gluckgasse Nr. 3) haben es besser als die Pechmarie, die am Ende ihres
Arbeitsverhältnisses bekanntlich von ihrer Arbeitgeberin, der Frau
Holle, total vermurt worden ist. Die kriegen nämlich noch Luft, weil
die Materie nicht von der ganzen Fläche Besitz ergreift. Ja,
auch Dirnhofer kleckst da und dort herum wie andere mit der
Ketchupflasche. Aber sie verliert beim Patzen nie die Kontrolle. (Und
sie hat "Neonketchup".)
Ihre Malereien spielen vielmehr alle Stückln gleichzeitig: sind fein
und anmutig bis grob und "schiach", malerisch bis ornamental,
freihändig bis geometrisch. Das Einfügen von Menschlichkeit (von
Körpern) ist manchmal ein Fehler. Ja, Dirnhofer weiß, wie man Spannung
aufbaut. Und ihr opulent abwechslungsreiches Opus "Habemus mamam" ist
sowieso der Höhepunkt (nein, ich sag nicht: Orgasmus) der Schau. Der
kitschig dekorative Liebreiz der Dame ist einem hier nicht einmal
peinlich.
Freitag, 08. Juli 2005