27.06.2001 23:40:00 MEZ
Quartier offen, Kultur zu? - Von Dietmar Steiner


Bei aller berechtigten Freude über ein "bedeutendes Stück zeitgenössischer Architektur": Zu befürchten ist, dass im Gedröhne von Event, Spektakel und Kommerz die kulturelle Öffnung des MQ auf der Strecke bleibt.


Das Bedürfnis der Österreicher, unentwegt die eigene Identität nachzuweisen, entspringt einem nationalen Minderwertigkeitsgefühl, das jederzeit in ein Überwertigkeitsgefühl umschlagen kann - der Größenwahn ist ja nur ein Minderwertigkeitskomplex, der einen Purzelbaum schlägt." Sigrid Löfflers polemisches Statement zur österreichischen Literatur lässt sich nahezu nahtlos auf die derzeitigen Projektionen zum Wiener Museumsquartier anwenden.

Niemand scheint das zu sehen, was da ist, alle rechnen die Vergangenheit auf, meist als Skandalchronik verpasster Chancen unbekannter einzigartiger Großartigkeit. Der postmonarchische Selbsthass verstellt den Blick und verstopft die Gehirne.

Tatsache aber ist: Erstens einmal wurde ein zentraler innerstädtischer Stadtteil Wiens revitalisiert und geöffnet. Zweitens wurden architektonisch hervorragende neue, zeitgenössische Ausstellungsbauten realisiert. Wer das nicht glaubt, möge sich bitte einmal ansehen, was im letzten Jahrzehnt von Skandinavien bis Spanien diesbezüglich gebaut wurde und fair vergleichen. Und es ist ein Glück, dass Wien nicht in die provinzielle Falle des Bilbao-Syndroms gegangen ist. Das darf in Graz angemessen und würdig zelebriert werden.

Es ist ein bedeutendes, aufregendes, neues Stück Stadt in Wien entstanden. Und das sollte man auch als solches sehen. Die Republik hat spät, aber doch ihr kulturelles Manifest verwirklicht. Das verlangt Respekt. Aber auch, wie Erhard Busek kürzlich in einer Diskussion im Architekturzentrum Wien forderte, eine politwissenschaftliche Analyse dessen, wie Entscheidungen in dieser Republik tatsächlich zustande kommen. Er nannte keine Namen, aber jeder erkannte sie, die Entscheidungsmächtigen.

Bisher nur von den Gastronomiekritikern gefordert sind nun die Inhalte und Programme. Und hier findet schon vorab die zweite Wirklichkeitsverweigerung statt. Museen werden als Mausoleen bezeichnet, bevor sie noch mit dem Programm begonnen haben. Dafür sollen nur die kleinen Institutionen für die Zukunft zuständig sein? Das riecht stark nach einem alternativen Kulturbegriff des vergangenen Jahrhunderts. Als ob es noch eine Kunst außerhalb oder jenseits kulturindustrieller Bedingungen gäbe.

Diesen Herbst eröffnet Guggenheim Las Vegas, direkt angebaut und erschlossen über die Slot-Hallen des Venetian-Hotels. Die Architekten, Rem Koolhaas' OMA, arbeiten gleichzeitig am neuen Shop-Konzept für Prada. Kunst und Wirtschaft sind längst verheiratet, auch im Widerstand.

Dementsprechend eröffnet auch das MQ mit einem nicht mehr überschaubaren Spektakel von Performances, Son-et-lumiere-Installationen, Kulturwanderungen, Events, Partys, DJ-Lines, Clubbings, Modeschauen und Hamster-Theater. Die "veranstaltete Stadt" feiert medienbegleitet sich selbst. Niemand scheint zu bemerken, dass die beiden großen neuen Museen noch geschlossen haben.

Signifikanter hätte also die Eröffnung des MQ den akuten kulturellen Zustand gar nicht thematisieren können. Es wird etwas eröffnet, was es noch gar nicht gibt, und alle glauben, alles dabei erlebt zu haben. Niemand scheint zu bemerken, dass damit nun jene Form von Kultur spektakulär beendet ist, die vor allem jene zu schützen vorgeben, die sie am plakativsten vermarkten. Die Event-Kultur hat längst die alten Werte der bürgerlichen Erbauung überrollt. Die Öffentlichkeit sehnt sich nach Personalisierung: Waldner, Leopold, Matt, bald Köb, aber auch Noever, Schröder, Seipel.

Die Direktoren verdecken als Kunstfiguren ihr tatsächliches Programm. Sie alle sind Opfer, sind instrumentalisiert von der medialen Kommerzialisierung ihrer kulturellen Arbeit. Und nicht jeder kann damit auch angemessen umgehen.

Eine ehrliche, zeitgenössisch kulturelle Öffnung des neuen Museumsquartiers müsste sich demnach auch für viele andere kreative kommerzielle Anbieter öffnen, und Lifestyle ist dabei keine Schande. In einem wirklichen städtischen Quartier bleiben dann immer noch die Orte der Ruhe und Konzentration. Geheime Orte für präzise Interessen mit inhaltlicher Tiefbohrung. Gelassener Respekt ist angesagt vor einem einzigartigen kulturellen Angebot in einem besonderen städtischen Quartier. So wäre es, wäre es nicht Wien.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 6. 2001)




Quelle: © derStandard.at