Christian Ludwig Attersee im Atelier: „Ich bin es gewohnt, Tag und Nacht zu arbeiten.“ Bild: Atelier Archiv A
OÖN: Konfuzius schrieb: „Als ich fünfzehn war, war mein ganzer Wille aufs Lernen ausgerichtet. Mit dreißig Jahren stand ich fest. Mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr. Mit fünfzig kannte ich den Willen des Himmels. Als ich sechzig war, hatte ich ein feines Gehör, um das Gute und das Böse, das Wahre und das Falsche herauszuhören. Mit siebzig konnte ich den Wünschen meines Herzens folgen, ohne das Maß zu überschreiten.“ Was sind Ihre Wünsche des Herzens?
Attersee: Ich habe gar keine großen Wünsche, weil es mir gut geht, meine Karriere gut läuft und ich gesund bin. Ich wünsche mir nur, dass meine Sehnsucht und mein Druck nicht abreißen, immer wieder neu der Schöpfung zu begegnen, sie zu besiegen oder an ihr beteiligt zu sein. Es ist ja meine Aufgabe, dass mir die Vielfalt, in der Arbeit, von Film, Musik, Dichtkunst und Malerei, nicht entgleitet und ich daran noch einige Jahre Freude habe.
OÖN: Den Druck, den Sie spüren – darf man sich den wie einen vorstellen, der im Kochtopf hochsteigt?
Attersee: Überhaupt nicht: Ich bin ein ausgeglichener Mensch, eher leicht melancholisch. Es ist nur so, dass ich einfach gewohnt bin, Tag und Nacht zu arbeiten. Ich bin eine Kunstmaschine in dem Sinn, dass ich gar nichts anderes kann, als Kunst zu erfinden. Der Druck ist eher eine Suche nach neuen Möglichkeiten, denn es gibt nichts Wichtigeres in der Kunst, als die Möglichkeit, den Menschen neue Freiheiten zu schenken.
OÖN: Was beschäftigt Sie aktuell?
Attersee: Für die Schmittenhöhe bei Zell am See habe ich gerade ein Gipfelkreuz in Arbeit. Mit 28 Metern Höhe wird es das größte Gipfelkreuz Europas. Für den Yachtclub Attersee, der nächstes Jahr 125 Jahre feiert, soll ein Objekt zwischen Leuchtturm und Kunstwerk entstehen. Dann arbeite ich noch an einem Ballett mit der Instrumentalmusik von Eric Satie.
OÖN: Warum interessiert Sie ein Gipfelkreuz?
Attersee: Das Projekt zieht mich an, weil ich mich mit den Räumen beschäftige. Es gibt einen gestalteten, sechsseitigen Raum mit acht Metern Höhe, für dessen obere Hälfte ich mit italienischen Mosaikbauern ein hundert Quadratmeter großes Mosaik fertige, das die sechs Tage der Schöpfung darstellt. Der Innenraum ist praktisch die Meditation, die Ruhe, der siebte Tag. Darauf steht ein Gipfelkreuz, dreiseitig, wie ein Kristall. In der Nacht, wenn es ausgeleuchtet ist, schwebt es.
OÖN: In Ihrer Malerei tauchen zwei oberösterreichische Blaus auf, das des Attersees und das des Himmels. Woher haben Sie das Grün für Ihre noch nicht abgeschlossene Grün-Trilogie?
Attersee: Es ist in meinem Semmering-Atelier entstanden. Das erste Grün kommt im Morgengrauen, im Tau. Da bin ich auf die Idee gekommen, ein Triptychon aus der Welt der Pflanzen und Bäume zu malen. Zuletzt ergrünt bei mir die Frau, die Erotik und Sexualität wird in diesen Bildern nicht verhindert.
Aber zurück zu den zwei großen Blaus, die mein Leben bestimmt haben, die ich in Oberösterreich gelernt habe und die mir heute noch sehr wichtig sind. Ich bin ja mit sieben Jahren zum ersten Mal am Attersee allein gesegelt, da war schon die Nähe des Wassers und des Wetters, des Tag- und des Nachthimmels. Alles, was hier auf den jungen Knaben Christian Ludwig eingeflossen ist, ist heute noch tief in mir verankert und taucht immer wieder auf. Die Sehnsucht, ein Segelboot malen zu müssen, muss ich hie und da zurückschnallen, denn es ist für mich immer noch die schönste Tätigkeit, die es im Leben gibt. Auch das Gerät Boot ist das schönste, das die Menschen je erfunden haben. Man kann die Welt damit bereisen, es hat eine Ästhetik, es wird zum Partner und ist kein umweltschädigendes Produkt.
OÖN: Kommen Sie noch zum Segeln?
Attersee: Ja freilich. Ich habe jetzt am Attersee wieder einen Drachen namens Primavera. Heuer bin ich nicht sehr viel dazugekommen, weil mich die Kunst umarmt hat. Alle, die mich lieben und brauchen, wollten eine Ausstellung. Nicht alle haben eine bekommen, aber zwölf sind es doch geworden. Am Samstag beginnt die große in Schloss Parz, die eine Retrospektive der letzten zehn Jahre sein wird, aber auch neue Bilder enthält, die ich extra aus meinem spanischen Atelier (auf Mallorca, Anm.) geholt habe und die noch nie ausgestellt worden sind.
OÖN: Warum ist die Urlauberinsel Mallorca ein guter Humus für Ihre Kreativität?
Attersee: Für mich ist es eine reine Arbeitsinsel. Ich habe ein Atelier, das am Felsen hängt, nahe am Wasser – und Wasser hat mir mein ganzes Leben lang die Grundinspiration gegeben. Das Glitzern dort ist ein besonders schönes, dazu kommt das Licht der Luftfeuchtigkeit. Maler reisen ja dem Licht nach, daher haben sie so viele Ateliers, auch ich. Die Bilder in Mallorca werden besonders farbig, fröhlich.
OÖN: Was macht einen bedeutenden Künstler aus?
Attersee: Da kann ich keinen Idealtyp schildern. Es geht darum, ein bedeutender Mensch zu sein. Dazu gehört der Instinkt für das Aktuelle, das beantwortet werden muss, für das Finden neuer Wege, die die Menschen führen können. Es geht um die Kritik an der Gesellschaft, um eine grundlegende politische Haltung. Es geht um den Umgang mit heiklen Themen wie Rassismus und Religion, das sind wichtige Aspekte, die ein Künstler nie auslassen sollte, um seine Meinung und seine Findungen in die Öffentlichkeit zu tragen.