Maria
Lassnig stöhnt. „Ich fühle mich wie ein Plisseekleid, das zehn Stunden
in der Waschmaschine gewaschen wird“, sagt sie. Sie ist müde: „Alle
wollen etwas!“ Dabei stresst die 89-Jährige weniger, dass die Eröffnung
ihrer großen One-Woman-Show im MUMOK mit Bildern des „neunten
Jahrzehnts“ immer näherrückt. Mehr noch strengt sie die Aufarbeitung
ihrer erfolgreich zu Ende
gegangenen Wanderausstellung mit
Stationen in London und Cincinnati an. So hat sie für die
Cincinnati-Edition gerade hundert Blätter signiert.
Dass die
dichte Auswahl der Tourneebilder mit den vibrierenden Farben nun auf
rund 60 Gemälde aufgestockt wird, ängstigt sie. „Es könnte verwässern“,
sagt sie. Sie hätte lieber nur die allerneuesten Werke aus den letzten
drei Jahren gezeigt – genau und kompromisslos, wie sonst auch. Sie ist
keine, die es einem leicht macht.
Wie gefällt Ihnen der Ausstellungstitel „Das neunte Jahrzehnt“ ?
Mein
Geburtstag ist nicht wichtig. In Amerika haben mich die jungen Burschen
auch immer nach dem Alter gefragt, aber ich habe ihnen das
ausgetrieben. Eine Dame fragt man nicht nach dem Alter! Bei der Louise
Bourgeois wissen die Amerikaner, dass sie steinalt ist. Aber wie alt
genau, weiß keiner. Bei mir denken alle, mein Gott, jetzt ist sie schon
neunzig! Jetzt wird sie bald sterben.
Wie sind Sie denn zur Kunst gekommen?
Meine
Mutter hat mich schon als kleines Kind nur in eine Ecke setzen
brauchen, und ich habe gekratzelt. Mit sechs Jahren habe ich schon
meine Kindergespielinnen gezeichnet. Ich habe sie später gefunden – das
waren schon richtige Porträts. Später hab ich vergessen, dass ich
zeichnen kann. Einmal sind wir auf einer Waldwiese gesessen,
einer
aus der Wandervogelgruppe war so entzückt von meinen Zeichnungen und
hat gesagt: „Du musst unbedingt auf die Akademie!“ Ich bin aber erst da
hingegangen, wo ich hingestoßen wurde – so wie man ein Kalberl in einen
Stall hineinschubst –, und habe einen Lehrerhilfskurs gemacht. Auch ein
Wahrsager hat zu meiner Mutter gesagt: „Das Kind müssen Sie unbedingt
fördern! Das ist künstlerisch veranlagt.“ Das hab ich mir gemerkt. Aber
sie wollte, dass ich heirate. Sie hatte Angst, dass ich verhungern
werde. Aber ich bin mit dem Fahrrad über die Berge gefahren und eines
Tages vor der Akademie gestanden.
Wie erlebten Sie die Akademiezeit?
Ich
habe mich schneller als die anderen entwickelt. Mit dieser soßigen
Braun-in-Braun-Malerei war ich bald nicht mehr zufrieden. Ich habe dann
das Farbstudium begonnen, der Professor sagte, ich würde die anderen
verderben, und hat mich hinausgehaut. Ich konnte Gott sei Dank das
Studium bei einem anderen Professor abschließen. 1945 bin ich in einem
mit Soldaten und Flüchtlingen überfüllten Zug zurück nach Kärnten
gefahren.
Konnten Sie dort als freie Künstlerin leben?
Ja,
es sind auch alle nach Kärnten gekommen. Mein Professor und der
Professor Boeckl haben mich besucht. Meine Eltern hatten eine Bäckerei,
die hatte eine Anziehungskraft. Die sind, glaube ich, nicht wegen mir
gekommen. Die waren alle sehr hungrig.
Gab es damals eine Szene?
Es
gab nur alte Meister. Ich bin bei der ersten Gelegenheit nach Venedig
zur Biennale gefahren, wo ich die erste freie Kunst gesehen habe. Da
hab ich ein bisschen probiert, Surrealismus zu machen, Kubismus,
Informel. Aber Paris war der Ort, wo alles passiert ist. Da wollte ich
unbedingt hin. Am Anfang bin ich aber mehr vor den Antiquitätenläden
gestanden als vor den Kunstwerken. Meine Malerei war den Franzosen zu
heftig. Dann habe ich langsam mit den Körperbewusstseinsbildern
angefangen. Aber es war anstrengend, das Körpergefühl zu formulieren.
Was bedeutete es für Sie, sich damals, in den 1950ern und 1960ern als Frau durchzuschlagen?
In
Kärnten war ich schon bald der Star. In Wien aber musste man schon
damals wissen, wie man Karriere macht. Ich habe das nicht gewusst. Das
waren harte Jahre. Ich bin dann wieder nach Paris gegangen. Da war es
ein bisschen leichter. Da war das Fremde und das Neue. Nach sieben
Jahren bin ich sofort nach Amerika, da war es lustig. Ich habe im
ärgsten Elendsviertel von New York
gewohnt, in der Avenue B.
In den 1990er-Jahren haben Sie sich auch mit Skulpturen beschäftigt . . .
Die
sind nicht wichtig. Aber die Bildhauer haben von mir gesagt, dass meine
Zeichnungen skulptural seien, weil ich eine Form gefunden habe. Ich
glaube, Bildhauer können von mir profitieren – wenn sie wollen (lacht).
Was bedeutet die Zeichnung für Sie?
Da
kann ich schneller und leichter in den verschiedenen Körperlagen
arbeiten – im Liegen, aufgestützt –, man kann leichter verschiedene
Positionen einnehmen.
Ein zentraler Begriff bei Ihnen ist das Körper-
bewusstsein. Was ist das genau?
Das
Körperbewusstsein besteht aus zwei Teilen, Körper und Bewusstsein. Wenn
das Bewusstsein wach ist, muss es allerhand bemerken. Irgendwann
bemerkt es auch, wie man sitzt. Die verschiedenen Lagen machen immer
irgendeinen Knotenpunkt, der eine körperliche Sensation hervorruft. Wie
viel spüre ich, wenn ich sitze oder wenn ich liege? Dieses Spüren ist
es, worauf es ankommt. Das ist eine ganz reale Sache, nichts
Psychologisches. Dafür gibt es zu wenig Wörter. Beschreiben Sie einmal
einen Druckpunkt, einen Schmerz oder den Ort eines solchen Punktes, wie
er begrenzt ist. Da muss man auswählen können. So ist man halt ein
Formentdecker. Beim echten Körperbewusstein müssen die Erinnerungen
auch wegbleiben. In meinen Bildern sieht man genau, wo ich mehr gefühlt
habe und etwas erfunden habe. Wo richtig senkrecht etwas herausgekommen
ist auf dem Papier.
Üben Sie Gesellschaftskritik?
Das
weiß ich nicht. Sagen wir so: Kritik oder Bedauern ist, hoffe ich, in
den Bildern drinnen. Aber im Großen und Ganzen hat die Kunst keinen
Einfluss.
Viele Bilder sind erweiterte Selbstbildnisse. Ganz selten kommen Männerkörper vor.
Man malt, was man kriegt.
Die Männer in Ihren Bildern wirken oft bedrohlich, signalisieren Gefahr.
Naja,
das war unter anderem ein Paketbote, der manchmal etwas für mich trägt.
Aber als Insektenforscher habe ich ihn auch gemalt, da ist er doch ganz
nett.
Spielt eigenes, biografisches Erleben eine Rolle?
Nein,
um Gottes willen. Aber natürlich habe ich auch Emotionen, Trauer kommt
oft vor. Ich sehe immer noch das Bild meiner Mutter im Sarg, das ist
eine traurige Erinnerung.
Ist der Tod ein Thema?
Im Alter muss man sich damit anfreunden.
Hält Sie die Malerei jung?
Ich
bin ja nicht jung. Ich war als Junge nicht jung und jetzt auch nicht.
Meine Freunde haben immer gesagt, du schaust aus wie eine alte Dame.
Ich war immer außerhalb der Welt.
Ist das Alter auch in Ihrer Malerei ein Thema?
Sie
meinen, weil ich Bauchfalten male? Naja, so ehrlich, wie ich sonst bin,
bin ich auch in der Malerei. Das ist die Ehrlichkeit. Ein unmodernes
Wort! Aber bei mir kann man es gerne verwenden.
Ihre Bilder wirken jünger als die vieler junger Künstler.
Das haben schon viele geschrieben, aber ich weiß nicht, warum das so ist. Das fragen Sie bitte den lieben Gott.