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15.05.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Einsam im Auge der Orgie
VON ALMUTH SPIEGLER
Wiener Aktionismus. Das Museum Moderner Kunst zeigt die Sammlung Hummel.

Hier der männliche, aber blinde Kopf, da der weibliche, aber kopflose Körper - die Machtverhältnisse werden gleich zu Beginn der Präsentation der Sammlung Hummel im Keller des Museums moderner Kunst klar gemacht. Prominent ist der Eingangsbereich Hermann Nitsch gewidmet, die Triptychon-Videoprojektion all seiner "Orgien und Mysterien Theater" von 1962 bis 2003 flankieren zwei Skulpturen: ein Ödipus-Gipskopf, dem Nitsch 1989/90 die Augen mit einer in rote Acrylfarbe getränkten Mullbinde verbunden hat, sowie ein lebensgroßer, 1987 bemalter weiblicher Torso.

In weiterer Folge wird Frauen u. a. das Hinterteil "paniert", sie werden verschnürt, beschüttet oder mit Schwämmen mundtot gemacht. Wobei gesagt werden muss, dass sich auch die Künstler selbst nicht schonten - aber jetzt Schluss mit heutigem Feminismus! Der Wiener Aktionismus ist der stärkste künstlerische Ausdruck seiner Zeit, der konservativen Wiener 60er-Jahre. Und die Sammlung von Julius Hummel ist, laut Mumok-Direktor und Kurator Edelbert Köb, "qualitativ hochwertig und einzigartig".

So stürzt auch wirklich eine beeindruckend museale Fülle von Fotos, Filmen, Gemälden und Artefakten auf den Betrachter ein, im Zentrum die vier, sich heute lieber als Einzelgänger, nicht als Gruppe sehenden Aktionisten-Heros Brus, Mühl, Nitsch und Schwarzkogler. Mit der Beschriftung hätte man allerdings nicht derart spärlich umgehen müssen: Man fühlt sich, nur mit Namen und Daten versorgt, doch etwas verloren inmitten dieser exzessiv existenziellen Orgie.

Vor allem das Werk Mühls sollte heute in seinen vollen, ins kriminelle gehenden Ausmaßen erklärt werden. Schließlich trifft man, obwohl die Friedrichshof-Kommune weitgehend ausgespart ist, trotzdem auf Fotos von Theo Altenberg sowie eines von Mühls "Aschenbildern" - verdächtig ohne Jahreszahl: Einige dieser Bilder soll Mühl, Berichten zufolge, aus verbrannten Tagebücher und Kunstwerken der Kommunarden gemacht haben. So etwas darf in einem Museum nicht ohne Kommentar gezeigt werden - auch wenn das sicher weder der Sammler noch der Künstler schätzt.

Schön im Vergleich zu sehen sind Hummels internationale und zeitgenössische Aktionismus-Referenzen: Von Madame D'Oras historischen Schlachthausfotos bis zu Krystufek, Gelitin und Schlingensief, der sein Eck anscheinend selbst eingerichtet hat. Inklusive Widmung: "Für die lieben Opi-Vatis". Wen auch immer er damit gemeint hat.

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