Kultur/Medien | 12.09.01 | www.DiePresse.at
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Der Einzug der Dämonen in das Paradies

Alfred Kubins immer wieder verstörende Geisterwesen treiben seit Dienstag - in Kooperation mit der "Presse" - ihr Unwesen im Wiener Dom- und Diözesanmuseum.

In priesterlichem Ornat predigt wild gestikulierend der Tod von der Kanzel. Eine Phalanx starrer Gesichter lauscht ihm schuldbewußt. Bedenklich scheint die gotische Madonnenstatue, ihr Kind schützend im Arm, diese in ihren Augen wohl blasphemische Szene zu beäugen. Seltsame Konstellationen ergeben sich seit Dienstag im Wiener Dom- und Diözesanmuseum. 180 Zeichnungen, Grafiken und Drucke Alfred Kubins aus der Sammlung von Monsignore Otto Mauer, Priester und weitsichtiger Kunstmäzen, hängen zwischen Heiligenstatuen und Andachtsbildern.
Durch vierzehn Städte in Deutschland und Polen reiste die Ausstellung "Herr der Dämonen", jetzt ist sie erstmals in Wien zu sehen.

Klappernde Gebisse

Kunst als Verarbeitung einer von Schrecken erfüllten Gedankenwelt, die Kubin (1877 bis 1959) ertragen mußte und ohne die er andererseits auch nicht schaffen konnte: Bedrohliche Gestalten schreiten über kahle Felder, der ausgemergelte Tod schwingt seine Sense, verzweifelte Blicke heischen aus verschatteten Augenhöhlen nach Trost, fast vermeint man das Geklapper blanker Gebisse in den rohen Totenschädeln zu hören. In seinem Frühwerk dem Surrealismus und Symbolismus nahe, zeichnete Kubin penibel genau, schattierte präzise, zeigte Umrisse erschreckend klar. In seinen späteren Jahren wurde er zunehmend expressiv und dekorativer. Eine gewisse Sanftheit des Alters stellte sich ein.
Drei Mappenwerke sind im Diözesanmuseum ausgestellt: Die handsignierte Vorzugsausgabe der "Hans von Weber Mappe", mit der Kubin 1903 seinen ersten durchschlagenden Erfolg hatte, ist wohl die bedeutendste. "Die Blätter mit dem Tod" von 1918 zeigen den Sensenmann in verschiedensten Konstellationen. Überraschend sind "Zwanzig Bilder zur Bibel" (1924), die Mauer anfangs als "Karikaturen" ablehnte: Kubin kommentiert die Szenen fast kindlich naiv - wie Illustrationen eines Märchenbuchs.
Die übrigen ausgestellten Zeichnungen und Druckgraphiken sind von unterschiedlicher Qualität: die meisten fragmentarische Entwürfe aus den zwanziger bis vierziger Jahren, andere fertig ausgearbeitet und koloriert. Diese Mischung kam durch ein ungewöhnliches Privileg Mauers zustande: Durfte er bei seinen Besuchen bei Kubin doch den Papierkorb sichten, aus dem er manche Skizze vor einem unverdienten Schicksal retten konnte. So erklärt sich auch der mit 600 Stück verhältnismäßig große Anteil der Kubin-Blätter in Mauers Sammlung, die insgesamt 3000 Werke vor allem expressionistischer und abstrakter Kunst aus dem deutschsprachigen Raum umfaßt.

"Angst ist mein Kapital"

Die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Mauer (1907 bis 1973) und dem fast doppelt so alten Kubin wurde durch Maler Hans Fronius angeregt. Mitten im Zweiten Weltkrieg, 1941, besuchte der kunstsinnige Monsignore Kubin dann erstmals auf dessen kleinem Schloß in Zwickledt (OÖ).
Die Diskussionen der beiden dürften oft heftige Ausmaße angenommen haben: Mauer fühlte sich durch den Künstler priesterlich herausgefordert, sah in seiner Arbeit den "Einfluß des Antichristen". Kubin stand der katholischen Kirche mißtrauisch gegenüber: "Sie wollen mir meine Ängste nehmen - aber die Angst ist mein Kapital", meinte er in einem Gespräch zu Mauer, schätzte ihn aber auch als "einzigen Kritiker, den ich fürchte".
Wie Paradies und Fegefeuer treffen katholische und Kubinsche Bilderwelt im Diözesanmuseum aufeinander. Zusammengeführt durch einen mutigen Priester und vereint durch die künstlerische Qualität.
Bis 24. Nov., Di - Sa 10 - 17 Uhr.

© Die Presse | Wien
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