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Stuttgart / Wien
Tracey Moffatt im Württembergischen Kunstverein und in der Kunsthalle
von Sabine B. Vogel
kehrendes Motiv ihrer Filme und Fotografien benennt: die staatlich verordnete Zwangsadoption zur Sozialisierung australischer Ureinwohner. Halb Aborigines, wuchs Moffatt als Adoptivkind in einer weissen Arbeiterfamilie auf. Stoff genug, um gängige Diskurse zu bedienen, um ethnosozialen und repräsentations-politischen Fragen nachzugehen. Solche Annäherungen allerdings gefallen Moffatt nicht, da sie übersehen lassen, ‹dass ich etwas Poetisches machen und damit etwas über das menschliche Dasein sagen möchte› (Katalog). Politisch oder poetisch, biographisch oder fiktiv – in Moffatts Arbeiten sind das keine Gegensätze.

Moffatt kann mit Matthew Barney verglichen werden, beide perfektionieren die Inszenierung, verschlingen die unterschiedlichsten Bilderquellen zu suggestiven Bildwelten, spielen mit Selbstauftritten und arbeiten mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern. Aber anders als Barney scheint sich die Künstlerin nicht hedonistisch in ihre oppulente Bildwelt zu verlieben, sondern sich selbst vor der flüchtigen Weite zu fürchten. ‹Night Cries: A Rural Tragedy›, 1989, erzählt unglaublich beeindruckend von der farbigen Tochter, die ihre sterbende Adoptivmutter in einer Mischung aus Hass und Liebe pflegt. Im surrealen Bühnenbild mit überzeichneten Farben bewirkt die Inszenierung zugleich enge Beklemmung und weit ausladende Traumtiefen. Die Szenen sind getragen vom permanenten Wechsel zwischen Erinnerung, Alptraum und politischer Gegenwart – der Künstlerin, der Filmhelden, vielleicht auch der Zuschauer. Diese Komplexität erreicht noch eine weitere Facette der Faszination in Moffatts Fotografien bzw. Fotoserien. Wie die Filme spielen auch die Fotografien unmissverständlich mit dem Moment der Inszenierung. Erinnert ‹Something More›, 1989, darin noch kurz an Cindy Sherman, ‹Scarred for Life›, 1994, oder an Jeff Wall, wird gleichzeitig absolut deutlich, dass hier die Inszenierungen einem anderen Zweck dienen: Die Momente werden nicht realitätsnah, sondern entrücken, werden verschwiegen-traumhaft fern. So erzählerisch die Bilder auch angelegt sind, über dem letzten Schritt des Verstehens liegt ein Schleier. Biographische Details, filmgeschichtliche Zitate, Erinnerungen und traumähnliche Visionen treffen aufeinander, ohne eins zu werden. Die Rollschuhfahrerinnen in ‹Guapa (Goodlooking)›, 1995, agieren im Raumlosen, scheinen aus einer ortlosen Erinnerung aufzutauchen. Die Figuren und Szenarien wechseln zwischen zwei parallelen Erinnerungen, Zeiten, Bildwelten. Die Zwei-Farben-Sprache der 25 Fotografien von ‹Up in the Sky›, 1997, suggeriert parallele Geschichten, vielleicht Erinnerung, Gegenwart oder Dokumentations- und Erzählwirklichkeit. Nonnen, ein farbiges Baby im Arm der weissen Frau, raufende Männer, Mad Max-ähnliche Arrangements, Mythenanklänge – gerade ‹Up in the Sky› legt es sehr nahe, über Tracey Moffatts Aborigines-Herkunft zu spekulieren, aber es wäre eine Verkürzung, ihre Bildwelten als australientypisch zu kategorisieren. Moffatts Bilder ziehen uns in eine anspielungsreiche, aber geographisch unspezifische, unendlich fremde Welt. Württembergischer Kunstverein Stuttgart, bis 21.6., Kunsthalle Wien bis 7.6.

Bis 7.6.1998

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Ausgabe: 06 / 1998
Institution: Kunsthalle Wien (Wien)
Autor/in: Sabine B. Vogel
Künstler/in: Tracey Moffatt