Reale Quälgeister und andere Gespenster
Der "steirische herbst" ermöglicht heuer in seinen Ausstellungen Ausflüge in diverse Parallelwelten. Die man nicht lange suchen muss - sie sind überall, wenn auch nicht immer sichtbar.
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Foto © herbst/hf
Medienturm
Eine Nähmaschine näht vor sich hin. Der Kameraschwenk erfasst ein Haus von schwer fassbarer Architektur, Schemen hinter Milchglas, Körper im Bett. Kopfhörer konfrontieren mit mysteriösen Stimmen. Unter Farbkaskaden ist Norman "Psycho" Bates' Haus auf dem Hügel erahnbar.
Eindrücke aus "Hauntings", der Schau mit Blicken auf "andere" "Zweite Welten". In (Beispiele oben) Arbeiten von Leif Elggren, Claudia Larcher, Konstantins Raudive und Hans Weigand. Weitere Geisterbeschwörer sind u. a. Yto Barrada, Markus Schinwald, Apichatpong Weerasethakul. Wie der "Ghost Box" entkommen? Tipp von Jakob Kolding, auf einem Poster mit Tom Courtenay in "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers"): "Aus der Mitte des Raums Richtung Wand rennen". WT
Lobbyisten, Manager, Kunstsammler, Museumspersonal, Rechte, Freimaurer, der Tod: Protagonisten der Ausstellung "abgehoben". Der gemeinsame Nenner? Den Genannten wird Macht zugesprochen. Nur Letzterer ist (noch?) unverdächtig, seine Macht frei von Eigennutz einzusetzen.
Der Verdacht omnipräsenter Netze der Macht wird mit unterschiedlichen Mitteln geäußert. G.R.A.M., Josef Schützenhöfer und die Voina Group setzen auf Ironie. Angela Dorrer auf dokumentarische Information, ebenso Libia Castro & Ólafur Ólafsson.
In Summe entsteht ein Bild, dessen Titel ein Satz aus Umberto Ecos demnächst in deutscher Übersetzung erscheinendem WeltverschwörungsRoman "Der Friedhof in Prag" sein könnte: "Jedem sein eigenes Komplott." WT
Camera Austria
"Communitas" war heuer mit dem Untertitel "Die unrepräsentierbare Gesellschaft" bereits einmal Thema bei Camera Austria. Der Komplex Gemeinschaft, Gesellschaft steht nun erneut im Zentrum und passt damit perfekt zum "herbst"-Leitmotiv. Künstlerinnen und Künstler aus der Schweiz, aus Palästina, Irak, Libanon, Deutschland, Polen, Israel, Ägypten, Syrien und den USA befragen die Wirklichkeit "Zweiter Welten", formulieren Kritik, eröffnen Perspektiven.
Das geschieht mit fotografischen Mitteln, aber auch über die Medien Film, Video und mittels Internet. Im Netz etwa haben Ursula Biemann und Shuruq Harb die Plattform www.artterritories.net eingerichtet. Als Forum für den Gedankenaustausch von Künstlern, Philosophen, Wissenschaftlern, Kuratoren etc. aus dem Nahen Osten und der arabischen Welt. Ein Forum, über dessen Akzeptanz sich Initiatorin Biemann freut: "Man merkt, dass es wirklich gebraucht wird."
Von den Mechanismen der Abbildung von Individuum und Gemeinschaft handeln Yael Bartanas Simulationen "historischer" Kibbuzbilder. Sowohl in dieser Schau wie in "Zweite Welt" ist die Israelin mit ihrem umfassenden (Film-)Projekt "The Jewish Renaissance Movement in Poland" vertreten, dem heuer in Venedig der polnische Pavillon zur Gänze gewidmet ist. WALTER TITZ
Zimmerman & Kratochwill
Wer sie findet, darf, kann, soll daran drehen. An der kleinen Spieluhr. Das Mikrofon davor signalisiert: Das Drehen bleibt nicht ungehört. Lautsprecher in einem Kellergewölbe der Grazer Galerie Zimmermann & Kratochwill und ein Lautsprecherturm im Hof übertragen die gekurbelte Melodie der "Internationalen".
"Zweite Welt" heißt die zentrale "herbst"-Ausstellung, kuratiert vom kroatischen Frauenkollektiv WHW - What, How & for Whom, heuer auch für den kroatischen Beitrag zur Biennale Venedig verantwortlich. Die Hymne der "Verdammten dieser Erde" ist Programm einer Schau, die zeigt, dass es unüberhörbare Signale gibt, dass diese aber auch des Engagements bedürfen.
"Zweite Welt" ist jedoch kein in erster Linie pädagogisches Projekt, sondern eines der Kunst. Beim guten Dutzend der in Galerieräumen und weitläufigen Kellergewölben installierten Beiträge führt deshalb nicht der erhobene Zeigefinger Regie.
Das Spektrum, in dem (grob gesprochen) die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft behandelt wird, reicht von poetischen, persönlichen Arbeiten bis zu stringent politischen. Wobei immer wieder beide Pole verschmelzen. Etwa in den Bildern und im Video der Palästinenserin Jumana Emil Abboud. Die brutale Realität der Grenzziehung im Westjordanland, die Privathäuser ebenso zerschneidet wie eine Moschee, ein Stadion, das Parlament, setzen indes Abbouds Landsleute von DAAR (Decolonizing Architecture Art Residency) gewissermaßen kontrapunktisch in ein ästhetisch "sauberes" Objekt um.
Künstler, die globale Grenzzonen erkunden, kommen weiters aus Australien, Ägypten, Korea, Kroatien, Armenien, Israel, Spanien, Deutschland, Marokko. Und senden starke Signale. WT
Features
herbst-Ausstellungen
Hauntings. Bis 17. Dezember. Kunstverein Medienturm, Graz, Josefigasse 1. www.medienturm.at
abgehoben. Bis 22. Dezember.
Communitas. Unter anderen. Bis 1. Jänner 2012. Camera Austria, Kunsthaus Graz. www.camera-austria.at
Zweite Welt. Bis 16. Oktober. Galerie Zimmermann & Kratochwill, Graz, Opernring 7. www.zimmermann-kratochwill.com
2 Kommentare
Kommentar erstellenGebt diese Herrschaften Schaufeln und Besen
Künstler, die geistigen Grenzzonen erkunden, kommen weiters aus Australien, Ägypten, Korea, Kroatien, Armenien, Israel, Spanien, Deutschland, Marokko.
... und senden starke Signale?
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Für was aber das "WT" (=Wahrscheinlichkeitstheorie?) am Schluss steht? - kapier' ich nicht: es ist die geistige Grenzzone / ist es die geistige Granzzone, welche für meinen Hausverstand unüberwindlich ist?