Schatten der Vergangenheit

Rachel Whitereads bildhauerisches Werk zählt zu den herausragenden künstlerischen Positionen des 20. Jahhunderts.




Rachel Whiteread eine Bildhauerin zu nennen trifft ihre Arbeit nicht hundertprozentig, besteht ihr zentraler Ansatz doch darin, Negativ-Abgüsse ihrer Umwelt herzustellen: Vom einzelnen Buch über die Bibliothek, wie jetzt am Wiener Judenplatz, bis zum dreistöckigen Haus, einer Arbeit, die ihr im Jahr 1993 den renommierten Turner-Preis eingetragen hat - als erster Frau übrigens.

"House", 1993/94

Dialog mit dem Betrachter

Rachel Whitereads inverse Ästhetik ist weniger eine Weise, die Welt zum Verschwinden zu bringen, sondern eine Strategie, dem Betrachter, der Betrachterin Raum für eigene Interpretationen zu lassen. Und: Whitereads Methode ist eine des Konservierens, ohne die Flüchtigkeit der Zeit außer Acht zu lassen. Ihre Abgüsse zeigen das Objekt nicht mehr, sie erinnern nur mehr daran. Bei der Bibliothek am Judenplatz etwa ist klar erkennbar, dass es um Bücher geht; welche (längst verbrannten?) es sein können, liegt in der Imaginationsfähigkeit der Betrachtenden.

Rachel Whiteread / ©Bild: APA
Rachel Whiteread / ©Bild: APA

Sensationelle Kunst

Die Künstlerin, 1963 in London geboren, wo sie auch nach wie vor lebt und arbeitet, absolvierte 1987 die Slade School of Fine Art und erlebte in den darauf folgenden Jahren einen kometenhaften Aufstieg. Sie war nicht nur die erste GewinnerIN des Turner-Preises, sie war auch die erste KünstlerIN, die Großbritannien auf der Biennale in Venedig vertrat (1997). Und im Rahmen der vieldiskutierten "Sensation"-Ausstellung, die im vergangenen Jahr durch Großbritannien, Deutschland und die USA tourte, war ihre Arbeit ein kontemplativer Höhepunkt, neben den für Emotionen sorgenden Beiträgen von Chris Ofili oder Damien Hirst.

Kunst gemäß der öffentlichen Meinung?

Holocaust-Mahnmal / ©Bild: APA
Holocaust-Mahnmal / ©Bild: APA

"Ich möchte in Wien nichts machen, das die Menschen dann hassen", erklärte die britische Bildhauerin Rachel Whiteread 1996, nachdem ihr Entwurf für das geplante und umstrittene Holocaust-Mahnmal am Wiener Judenplatz ausgewählt worden war. Man könne aber keine Skulptur gemäß der öffentlichen Meinung gestalten. "Wenn man es tut, muss man damit rechnen, dass schlechte Kunst dabei herauskommt", erklärte die Bildhauerin damals im Zusammenhang mit der Diskussion um das Mahnmal.

Enthüllung

Die Diskussionen haben Rachel Whiteread mitgenommen, "aber ich bin sehr stolz, dass das Mahnmal nun der Öffentlichkeit übergeben wird." Die Fertigstellung und die Monate seither hat die Künstlerin bangen Herzens verfolgt, gibt sie zu: "Ich habe mit der Möglichkeit gerechnet, dass es zu Behinderungen oder gar Anschlägen kommen könnte." Umso erleichterter ist sie, dass nun alles ruhig ist.

Judenplatz

Der Ort ihrer Skulpturen ist für Rachel Whiteread stets von besonderer Bedeutung. "Für mich ist immer nur der Standort Judenplatz in Frage gekommen", sagt die Künstlerin mit großer Bestimmtheit, "die Dimension des Mahnmals nimmt Bezug auf die Wohnungen der umgebenden Häuser. Und der Bezug des Mahnmals zu den Ausgrabungen und zum Misrachi-Haus war mir immer wesentlich." Dort, im Misrachi-Haus, wird in einem Ausstellungsraum das Projekt und Whitereads Arbeitsweise vorgestellt.

London und New York

Großausstellungen der prominenten Künstlerin werden für das kommende Jahr in New York und London vorbereitet. Und am Trafalgar Square in London harrt die nächste öffentliche Skulptur Whitereads ihrer Fertigstellung. "Vielleicht", sagt sie, "ist das dort in gewisser Weise eine Weiterentwicklung meiner Wiener Arbeit."

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