Gotthard Bonell Pressetexte - Publikationen, 2001 Gotthard Bonell erhebt Leder, Felldecken, Hülsenfrüchte, das menschliche Gesicht, den menschlichen Körper oder die Landschaft in den verschiedensten Kombinationen zu seinem Thema: überraschenderweise scheinen genau die Objekte dieses Malers, der die Gattung Stillleben in ihrem traditionellstem Sinn bearbeitet, am wenigsten regungslos zu sein. Gegenstände wie die überaus kunstvoll arrangierten. Zu eigenwilligen Formen verknoteten Lederhandschuhen oder der üppige Faltenwurf einer über die Bettkante hängenden Felldecke flimmern in ihrem sehr persönlichen, düsteren Pinselstrich und ihrem oftmals fragilen Gleichgewicht unruhig, beinahe in Metamorphose begriffen: das Gegenteil einer "natura morta". Lederobjekte oder Fellteile präsentieren sich in Bonells Malereien häufig in einer Krümmung, die schon fast unglaubwürdig erscheint; sie erinnern dabei an gesuchte Posen bzw. Körperverrenkungen, die wir aus der aktuellen Modefotographie kennen. Aber gerade aus dieser Inszenierung entsteht die eigenwillige Lebendigkeit des toten Leders oder Fells: von Bonells Bildwelt geht Spannung aus, da die mit dem Leder sich verknüpfenden erotischen Assoziationen nie vordergründig werden. Eine besondere Spielart zum Thema Stillleben stellen die Bildkompositionen dar, in denen ein Objekt vor einen Landschaftshintergrung gesetzt wird. Marion Piffer- Damiani - Andreas Hapkemeyer Quelle: Motive der Stille NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst 1998 Dass Malerei eine sinnliche Übung ist, eine Übertragung sinnlicher Erfahrung über die Hand zum Bild, wird bei Künstlern wie Gotthard Bonell, Xenia Hausner oder Yan Pei-Ming deutlich. Ein Künstler wie Bonell hat über Freud die Freiheit erzielt, Modelle anders zu sehen als bislang. Auch für ihn ist in seinem Konzept der Figuration die Trennung des Körpers als Gegenstand der Malerei und Malerei selbst als Gegenstand radikal, unabdingbar und existenziell relevant begriffen worden. Bei Hausner wie bei Bonell handelt es sich nicht um eine Malerei, die die Welt breits als Bild zum Vorbild hat, sondern um eine Arbeit nach dem Modell. Bei Xenia Hausners Auseinandersetzung geht es um einen langdauernden, zermürbenden Arbeitsprozess. Für Bonell sind es die ungewöhnlichen Blickwinkel und Enthüllungen, die ihm wesentlich sind. Das Verhältnis zum Modell bzw. zum Vorbild der in dieser Ausstellung enthaltenen Bilder ist vielfältig. Es reicht von dem traditionellen Verhältnis Maler und Modell, welches Josef Kern umkehrt, indem er selbst als Maler zum Aktmodell wird, bis zur Möglichkeit des werinnerten fotographischen Bildes als "Modell". Handelt es sich bei den Arbeiten im einen Fall um Bilder über Bilder, die mit der Unschärfe des Videostills oder grob gerasterter Bilder aus der Sensationspresse zu tun haben, so sind sie im anderen Falle expressive Umsetzungen realer Modelle mit tagelanger Sitzungen. Die Kategorien Portrait und Akt waren über langer Zeit von der Fotographie abgedeckt worden. Die Austellung dokumentiert das Wiedererwachen dieses Thema in der Malerei. Peter Weiermeier Quelle: Katalog Figuration- Edition Oehrli 1999/2000 by Ursula Blickle Zürich Der Maler, Zeichner und Radierer Gotthard Bonell wie auch der Sänger, Bariton Gotthard Bonell, haben anlässlich eines Schubert- Gedenkjahres diese hier vorliegende Folge von Radierungen geschaffen. Warum teile ich diese eine Person in zwei Produzenten? Nun, das Einmalige an dieser Edition ist nicht nur, dass man neben der visuellen Erfahrung der Blätter auch die Interpretation des Sängers rezipieren kann, sondern dass diese Graphiken, keinesweg Illustrationen, ihre Anregung zum einen der großmöglichsten Nähe des Sängers zu den Liedern verdankt, wie auch einem dieser Welt verwandten Gefühlsrepertoire, dem seit einiger Zeit inhaltlich und formal eigenwillige und faszinierende Werke zu verdanken sind. Bonell illustriert die Lieder nicht; das Verbindende ist eine Wahlverwandschaft des Gefühls, die Erfahrung von Entfremdung und zu überwindender Erstarrung, eine erotische Sehnsucht, die der Künstler, einer anderen Zeit angehörend, mit seinem eigenen Vokabular zum Ausdruck bringt. Die "Winterreise" ist stärker als es andere frühere Lieder waren, Ausdruck der persönlichen seelische Situation eines von Leben und Liebe enttäuschten Komponisten. Schubert war mit der Fähigkeit begabt, die von ihm herangezogenen fremden Texte spontan in ihrer psychologischen Konzeption zu erfassen. "Der ganze Zyklus gleicht einer Folge von Psychogrammen, die von ferne bereits an den musikalischen Expressionismus des frühen zwanzigsten Jahrhunderts erinnern." Das Thema von Fremdheit und Entfremdung durchzieht diese Lieder, denn auch die positiven Visionen "sind in einer tieferen Schicht umso bedrückender, als sie den Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach Befreiung von der deprimierenden Seelenzuständen und der wirklichen Verfassung des imaginären Helden bewusst machen. So muss auch ein Lied wie "Täuschung" verstanden werden. Dessen tänzerischer Rhytmus im Sechsachteltakt keineswegs die trost- und auswegslose Stimmung des unentrinnbaren Ausgeliefertseins durchbricht, sondern im Gegenteil sich in seiner scheinbaren Fröhlichkeit als ein selbst eingeredetes Trugbild entlarvt." (H. E. Bach) Schubert sagte zu seinen Freunden. Dass ihn diese Lieder sehr angegriffen hätten. Eine derart psychologisierende, fast an krankhafte Sensibilität grenzende musikalische Durchdringung des Wortes gab es bislang nicht. Schuberts Lieder sprechen mit erotischer Süße von Täuschung über das wahre Wesen des Geschehens. Hier findet sich auch die Brücke von Bonells Intentionen. Auch bei ihm gibt es nur selten eine handgreifliche Symbolik für Todesahnung oder -sehnsucht. Begriffe wie Starre, Erstarrung, Täuschung, Ruhe werden von ihm zwar aufgenommen und manchmal tauchen auch fast erzählerische, eindeutige Szenen auf. So wird in einem Blatt eine aufgebahrte (schlafende) Frau mit alten (sterbenden/toten) Bäumen konfrontiert. Zum anderen führ Bonell jedoch seine alte Bildersprache der erotisch und sexuell ambivalenten Lederobjekte sowie der von ihm auf Spaziergängen gesammelten Objekte aus der Natur in den Radierungen weiter. Diese erinnern an Ausschnitte der Natur, bei denen manchmal Fern- und Nahsicht miteinander verschnitten wird und für die assoziative Viel- und Mehrdeutigkeit des Inventars wichtig ist. Es ist die Mehrdeutigkeit, die wir als tagträumende Spaziergänger im Winterlicht erleben, wenn eine Wurzel zu einer fatamorganahaften Figur wird, und unser Wunschdenken trockenes Laub in wollüstige Organe umwandelt... Die vertrockneten Blätter, dehydrierten Früchte, Samen oder Blüten, aus Leder gefertigten Objekte, Steine und Skelettteile haben für Bonell immer schon eine Rolle gespielt. In der Radierung wird die halluzinative Möglichkeit nun voll ausgespielt. Dabei sticht die schmerzhafte Stärke einer alleinlaufenden konturirienden Linie (wie aus einer Romantikerzeichnung entlehnte Wanderer am Horizont) gegen die warme Schwärze dichter Strichlagen ab. Abstrakte Linien formen ein reales Ding und verändern sich und das bereits wahrgenommene Ding unter einem zweiten Blick. Im Licht von Brueghels "Heimkehrenden Jägern", diesem kalten Winterlicht, spielt Bonell sein Werk von der Verwandlung der Gegenstände. In seiner "Winterreise" kämpft ein Künstler am Ende des XX. Jahrhunderts gegen die Entfremdung an, er unterlegt seine Radierungen mit der Gefühlslage des Gesangs, dem er den Ton unsrer Zeit leiht. Peter Weiermair Quelle: Irrlichter: Variationen zu Müllers und Schuberts "Winterreise" Innsbruck Haymon-Verlag 1997 Die Bezeichnung "Irrlicht" ist eine Metapher für das Verlockende, aber auch das Bedrohliche, das Ins-Verderben-Stürzende, das Geheimnisvolle und nirgendwo Beheimatete. Wo es Licht gibt, da gibt es auch Schatten, Lichter nimmt man dann wahr, wenn es dunkel ist. Licht steht für Hoffnung, das Irrlicht aber ist eine trügerische Hoffnung, ein Lebensirrtum, der ins Dunkel, ins Schattenreich, zu Untergang führt. Der Wanderer der Romantik, so wie er auch in Schubert’s "Winterreise" geschildert wird, geht seinen Weg einsam und auf sich gestellt. "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus. Der Mai war mir gewogen, mit manchem Blumenstrauß. Das Mädchen sprach von Liebe- die Mutter gar von Eh‘- Nun ist die Welt so trübe, der Weg gehüllt in Schnee." Bedroht von Kälte, Nacht und den trügerischen Irrlichtern ist der Wanderer einer Welteinsamkeit anheimgegeben, er leidet an deiner Vergangenheit, seine Zukunft ist ungewiß. Das Fragende, das Ungewisse, das Bedrohliche sind Elemente eines immer wieder aufgegriffenen Motives der Romantik. Das Interesse am Dunklen, Unbekannten und Unheimlichen läßt sich in der Literatur bei Novalis und E.T.A. Hoffman nachweisen, ebenso in der Musik, man denke an die unheilschwandere Atmosphäre einiger Balladen von Schubert und Loewe. Indem die Grenzen zwischen dem Bewußten und Unterbewußten verwischt werden, dringt man in traumhaft-visionäre Bereiche vor. Überwältigt von den geheimen Kräften der Natur sieht sich der Mensch dem Verfremdeten und Dämonischen gegenübergestellt. Diese Grundbestimmung der Einsamkeit und des Ausgeliefertseins an eine Welt, die keinen Schutz bietet, die abweisend ist und kalt, wird auch in den Bildern Gotthard Bonells spürbar. Es war niemals sein Anliegen, die "Winterreise" durch Bilder zu illustrieren. Er nährt sich Schubert auf der Ebene der psychischen Befindlichkeit. Seine Zugangsweise ist ein Offenlegen von Beührungspunkten, ein Hineinhorchen und sich im Gegenüber wiedererkennen. Vordergründig lassen sich durchaus auch Motivbezüge herstellen. Das immer wiederkehrende Motiv des geschnürten Bündels: Der Betrachter fühlt sich an Aufbruch erinnert. Abgelegtes, Nicht-Mehr- Gebrauchtes, kraftvoll Verschnürtes oder gealtsam Verdrängtes, diese Bündel sind geschnürt, verschlossen und dennoch offen für Projektionen des Betrachters. Die Vielschichtigkeit im Bildaufbau der Grafiken, die Variationen der Ebenen und Perspektiven spiegeln wieder, wie die Realität erlebt wird. Sie entzieht sich demjenigen, der nach Erkenntnis sucht. Die Sicht ist verhüllt, die Wahrnehmungsauschnitte sind fragmentarisch. Niergendwo ist Sicherheit, die Bedrohung ist allgegenwärtig. Viele der sich überlagernden Wirklichkeitsauschnitte der Bilder geben einen Blick frei auf ein "Natura- morta-Motiv": Der Tod als Endstation der Reise. Irrlichter gaukeln Wirklichkeiten vor, derjenige der sie "wahr-nimmt", ist vom Untergang bedroht. Die Erkenntnis über die Unabänderlichkeit im Lebenszyklus führt aber bei Schubert nicht zur Verzweiflung und Auflehnung, seine Musik läßt Aussöhnung mit dem Schicksal anklingen. "... Bin gewohnt das Irregehen, s’führt ja jeder Weg zum Ziel: Unsere Freuden, unsere Leiden, Alles eines Irrlichts Spiel..." Das Annehmen des Todes als Teil des Lebens, dieser Aspekt des Ruhe-Findens angesichts des Unabänderlichen ist auch in den Bildern spürbar. Im Spannungsfeld der beiden Gegenpole lassen sich die Bildaussagen einordnen: Auflehnung und Anklage einerseits, Aussöhnung und Loslassen andererseits. So wie Irrlichter oszillieren und schwer zu orten sind, so wird, je nach Stimmung des Betrachters, der eine oder andere Aspekt sich in den Vordergrund schieben und für den Moment scheinbar die Aussage bestimmen... Quelle: Vera Bonell- Quelle: Irrlichter: Variationen zu Müllers und Schuberts "Winterreise" Innsbruck Haymon-Verlag 1997 Umschnürt und gemalt Das Studio von Gotthard Bonell im Dachgeschoß des Amonn- Hofes blickt vom Guntschnaberg aus über den gesamten Bozner Talkessel. Hier arbeitet der Künstler in einem langgezogenen Atelierraum mit einer lichtdurchfluteten Panorama- Fensterfront, hier lagern die gemalten oder gezeichneten Stillleben seiner verknoteten und umschnürten Lederbündel in den vielfachen Variationen. Das ist sein Mikrokosmos und Logenplatz, im wahrsten Sinne des Wortes der erhöhte Standpunkt eines Malers, der seinen skulpturalen Manipulationen eine spannungsreiche Kontur abtrotzt und diese Erfahrung materieller Intimität detailgetreu in Bilder überträgt. Einige (wenige) Arbeiten des Künstlers spiegeln sein Aktionsfeld unmittelbar wider, vereinigen Nah- und Fernsicht in einer einzigen Komposition und setzen die typischen Lederobjekte großformatig vor den atmosphärischen Hintergrund eines weitläufigen Geländes. Trotzdem aber dominiert selbst in diesen Zusammenführungen immer noch das Objekt vor der Landschaft und spielt in den meisten Werken der Hintergrund überhaupt nur eine Nebenrolle, indem er sich beiläufig in einer vereinheitlichen Färbung verliert. Die Konzentration ist viel mehr ganz auf die Modelle gerichtet, die den gesamten Bildraum beanspruchen und den Maler auf den Plan rufen, der sich in der Akribie der augentäuschenden Manier an die Umsetzung der unterschiedlichen haptischen Qualitäten ihrer Texturen heranmacht. Diesem malerischen Akt aber geht die Gestaltung der plastischen Modelle voraus. Die Werkbank des Künstlers steht in Fensternähe und ein Blick darauf streift einige Restbestände der Requisiten: ein Stück Spagat, das bockige Leder eines deformierten Baseballhandschuhs, ein Flecken weißes Tierfell, eine leere Mohnkapsel, kleinformatig und harmlos nehmen sich diese Gegenstände aus ihm Vergleich zur überdimensionalen Inszenierung, zum dramatischen Blow- up auf der Leinwand, nüchtern wie ein Theaterkostüm, auf das am Morgen nach der Aufführung das Sonnenlicht fällt: Erst in der Künstlichkeit der Bühnen- bzw. Bildatmosphäre setzt die dramatische Mutation ein. Werkbank, Anrichte oder Seziertisch- Künstler, Präparator, Koch oder Chirurg, die Grenzen verwischen. Ein Lederhandschuh wird ausgestopft und verformt, gefüllt fest- und zusammengehalten, ein Stück Fell als Farce benutzt, das Ganze geschnürt und umwickelt, geknetet wie ein Teig, bardiert oder dressiert wie ein Geflügel, dem man die Keulen eng an den Körper bindet. Die Operation generiert Leibräume, (Ein.)Verleibungen, Fruchtblasen, Metamorphosen, raumfüllend in die Bildmitte gerückt, bisweilen auch an einem dünnen Seil pendelnd. Bilder werden wach, Assoziationen an Hans Bellmers Puppenkonstruktionen oder die Fotografien Arakis mit seiner Inszenierung gefesselter Frauenkörper: Szenarien, die sich vorwiegend aus dem "Stoff" der "Weiblichen" konstituieren. Man erinnert sich andrerseits an die Begegnungen mit Louise Bourgeois’ nüchternen Skulpturen des Erotischen oder den expliziteren Plastikmannequins in Cindy Shermans Serie der "Sex Pictures". Im Vergleich dazu spielt sich Gotthard Bonells "Verkörperungen" oder "Verleibungen" alles an der Oberfläche ab, dreht sich alles um die Ahut, verbildlicht sich ein elementares emotionales Verfahren der Selbstwahrnehmung an der Grenze zwischen Selbst und Welt, zwischen dem Eigenen und dem Fremden über die Ajut als Synonym dieser Grenze. "Es gibt kein Leben ohne eine Hülle" kommentiert Giuseppe Penone seine eigenen Installationen zum Thema "kein Leben ohne konstruirende, umschließende Haut, dei dem Individuum die Wahrnehmung seiner Form ermöglicht. Baumrinde, Schlangenhaut, Insektenmembrane, menschliche Epidermis verlieren sich im Raum us sind ihm überlassen, leblos: formen sich zu Erinnerungen, während sich neue Hüllen bilden, um gelebte Zeiten zu markieren." Vor allem Leder und Fell bieten Gotthard Bonell als Hülle und Schutzschicht das fetischtische Rohmaterial zur Verbildlichung einer frustrienden Sehnsucht, einer Selbst(re)konstruktion, die eben sprichwörtlich unter die Haut geht. Der Künstler formt Miniaturen, die zunächst einer Emotion Körper geben, um diese in einem zweiten Schritt festzuhalten, auf- und nachzuzeichnen. Die Wiederholung und Variation dieser künstlerischen Operation gründet nicht etwa auf eine Intention des Seriellen, sondern ist vielmehr von der Obsession eines Gefühlszustandes motiviert, während die Bilder ihrerseits weniger das Ergebnis einer lebhaften Fantasie sind als eines physischen Zwangs. Die Anatomie der konstruierten Modelle beschreibt den paradoxen Zustand eines metamorphen Innehaltens: Hybride Kreaturen setzen sich ins Bild, die in der Zwangsjacke ihrer Einschnürungen genötigt sind, eine stilllebenhafte Pose einzunehmen, erstarrend, eingefroren und dann wieder stark anschwellend, am Rand des Aufplatzens, im Begriff der Verwandlung. "Man kann", schreibt Peter Sloterdijk, "von den intimen Sphären nicht reden, ohne zur Sprache zu bringen, auf welche Weise ihre Zersprengung und erweiterte Neubildung geschieht. Alle Fruchtblasen, organischen Modelle autogener Gefäße, leben auf ihr Zerplatzen zu; mit der Geburtsbrandung wird jedes Leben an der Küste härterer Tatsachen gespült. Wer die erreicht hat, kann von ihnen her erklären, was die intimen, allzu intimen Blasen zum Scheitern bringt und ihre Bewohner in Verwandlungen drängt". Eine Verwandlungsgeschichte, die laut Sloterdijks Sphären-Theorie damit zu tun hat, daß der einzelne, von seinem Fötusstadion bis in die Kindheit, nie allein ist, sondern in einer starken Verschränkung immer auch den anderen in sich einbezieht und sich selbst auf ihn ausrichtet. Von der philosophischen Spekulation bis zum Naturstadium hat das Schauspiel der Verwandlung Konjunktur - insbesondere das der Insektenverwandlung steht als symbolgeladene Metapher in einer langen Tradition künsterischer Beobachtung: "Pan oder Proteus hieß das Mysterienspiel der Metamorphose" ,schreibt Anita Albus, "deren Geheimnis noch sehr lange verborgen blieb. Erst heute wissen wir, welchen hormongesteuerten Prozesssen sich die Entwicklung zur vollständigen Imago des Falters aus dem formlosen Brei der aufgelösten Larve im Inneren der Puppe verdankt, und finden also bestätigt, was das 17. Jahrhundert darin sah: das Wunder der Auferstehung aus der Verwesung. Wollte an aus dem reichen Schatz der barocken Emblematik ein Sinnbild auswählen, das mehr als jedes andere die Phantasie der Forscher und Dichter beflügelt hat, es wäre das Emblem der Entfaltung, die aus der Chrysalide schlüpfende Imago." Gotthard Bonells Malereien sind Bilder der Dämmerung, des Halbdunkels. Mit leidenschaftlicher Vorliebe drapiert er das künstliche Schwarz glatter Lederkleidung, deren schwarze Fläche den Blick in die Tiefe zieht und im Nebeneinander der Komposition menschliche oder tierische Haut zum leuchten bringt: Haut und Fell, Menshliches und Tierisches, vereint durch den selben Hautkäfig als gemeinsames Schicksal. Aus dem schattigen Faltenwurf entstehen opake Wölbungen, Öffnungen quillt das glänzende Innenfutter lippenartig über das schwarzglatte Äußere, oder ragt das Detail eines (männlichen) Aktes hervor, die Schenkelpartie etwa oder ein abgewinkeltes Knie. In der (Ver-)Krümmung seiner Modelle (der künstlichen wie der menschlichen) verdichtet sich in Bonells Inszenierungen das Leitmotiv einer kontrollierten Emotion. Was die beobachtende Eroberung der Haut anbelangt, so scheint seit jeher die Malerei ein besonders geeignetes Medium zu sein - von Rembrandts geschlachtetem Ochsen zu Francis Bacon Neuinterpretationen desselben Themas unter anderen Vorzeichen: Immer wieder findet die materielle Qualität des Hautigen und Fleischlichen in der materiellen Qualität des Pigments eine geeignete mediale Entsprechung. "Die Affinität zwischen dem Pigment und dem menschlichen Fleisch", schreibt Franco Speroni," verweist in einer Fülle gegenseitiger Anspielungen auf das Beziehungsgeflecht zwischen der Wirklichkeit des Fleisches und der Wirklichkeit der Malerei, mit dem `Körper`der Malerei exponiert sich zugleich das Selbst des Künstlers ..." Ein selbstreferentieller künstlerischer Akt, der sich in Gotthard Bonells Malerei in einer gekonnten altmeisterlichen Schichtentechnik ind Liebe zum Detail manifestiert. Ocker, Weiß und immer wieder Schwarz in all seinen Abstufungen geben den Ton an. "Schwarz ist grenzenlos", schreibt Derek Jarman, "die Phantasie rast im Dunklen. Lebhafte Träume, durch die Nacht jagend. Goyas Fledermäuse mit den Koboldgesichtern kichern in der Finsternis." Quelle; Marion Piffer-Damiani - Katalog: Inszenierung und Verwandlung / Immagini della penombra Folio Wien Bozen 2000 Die Schwarzen Bilder des Gotthard Bonell (Andreas Hapkemeyer) Die Entwicklung der letzten Jahre erweist, daß sich heute trotz neuester und ständig sich fortentwickelnder Technologien, wieder zahlreiche, vor allem jüngere Künstler einer neu konzipierten figurativen Malerei zuwenden. Man kann von einem internationalen Phänomen reden, daß bei Ausstellungen und Messen deutlich zutage tritt. Man hat hier meist mit einer Malerei nach der Fotografie zu tun, und zwar in einem doppelten Sinn: diese Malerei entsteht in zeitlicher Hinsicht, nachdem die Malerei ihren Siegeszug innerhalb der neueren Kunst angetreten hat; sie entsteht aber auch nach der Vorlage von massenmedialen Fotos, Videos, Filmen, Journalen . Als seit über 20 Jahren figurativ arbeitender Maler ordnet sich Bonell - nach Durchgängen durch verschiedene Phasen - diesem Phänomen ein. Jedoch im Gegensatz zu seinen Kollegen, die prinzipiell von Bildern aus zweiter Hand ausgehen und damit in Zweifel ziehen, daß wir heute überhaupt noch einen unverstellten Blick auf die Realität haben können, hält Bonell an dem seit der Renaissance tradierten Seh- und Erkenntnismodus fest. Das malen nach der Natur mischt sich erst in den letzen Jahren mit den Arbeiten nach fotografischen vorlagen, die von ihm selbst angefertigt werden. Ein implizites Statement seiner Bilder ist also, daß der direkte Kontakt zwischen Maler und Motiv noch möglich ist. Dies erscheint mir besonders dort wichtig zu sein, wo Bonell Menschen darstellt, da er damit auch den direkten Zugang zur existenziellen Dimension für möglich hält. An der Farbpalette Bonells wird offensichtlich, welche Grenzen der Rolle der Fotografie in seinem Werk gesteckt sind. Seine Malerei ist - egal bei welchem Thema sie sich aufhält - brauntonig. Wir haben es hier nicht mit der grellen Farbskala zu tun, wie sie etwa seit den Impressionisten immer wieder als Bezugnahme auf fotografisch vermittelte Realität verstanden wurde; der Ausgangspunkt scheint hier vielmehr die Geschichte der Malerei selbst zu sein. Bonells Körper heben sich - in der Nachfolge einer Tradition, die von Rembrandt heraufführt - mit einem goldbraunen Grundton, von meist dunklen, tief verschatteten Hintergründen ab. Der Umstand daß die Gegenstände und Körper oft aus einer unbestimmten Dunkelheit aufzutauchen scheinen, verleiht Bonells Bildern - auch bei warmen Grundton - etwas Tragisches, ein Zug übrigens, der durch die Haltungen der Modelle oder die verschnürten Lederobjekte verstärkt wird. Bei der Inszenierung seiner Modelle ist der Maler einerseits auf der Suche nach noch nicht vom Genre des Aktes abgebrauchten Stellungen, andererseits nach dem Ausdruck für menschliche Befindlichkeiten. Bonells Modelle kauern oft zusammengerollt, sind vom Bildrand angeschnitten oder von Stoffen und Objekten teilweise verdeckt, sodaß die anatomischen Zusammenhänge nicht immer leicht nachvollziehbar sind. Dadurch werden sie einerseits expressiv gesteigert, andererseits tritt durch diese Form der Verfremdung eine Verschiebung zur Abstraktion ein, also eine Distanznahme, von der Darstellung der Gegenstandswelt. Obwohl Bonell zweifellos in erster Linie Zeichner und Maler ist, gibt es in seinem Werk einen skulpturalen Ansatz. Dies läßt sich z.B. von den Lederobjekten sagen, die er verschnürt, um sie dann als Vorlagen für seine Bilder zu verwenden. Dem malerischen Prozeß geht ein plastischer voraus. Beim malen selbst modelliert Bonell mit breitem Pinselstrich die Körper im Raum: dadurch schafft er zum einen die malerische Fiktion der Dreidimensionalität, zum anderen haftet dem Farbauftrag selbst ein materischer Zug an. Bonell betont immer wieder, daß es ihm substanziell um zwei Aspekte geht, die in der Tradition der Moderne einander eigentlich ausschließen. Ihm liegt daran, Malerei zu betreiben, also die Farben, den Farbauftrag und die Linienführung zu ihrem Recht kommen zu lassen, ohne deshalb auf ein Sujet verzichten zu müssen. Er selbst verwendet in diesem Zusammenhang gerne das Beispiel der Oper, bei der die Musik durch den Text eine präzise Aussage beigestellt bekommt. In Analogie dazu sieht er die Rolle der Gegenstände und Körper darin, daß sie der Malerei einen Inhalt ermöglichen. Die im Laufe der letzten zehn Jahre entstandenen "schwarzen Bilder", in denen die vielfältigen Kombinationen und die Gegenüberstellung von Akt und Lederobjekten eine zentrale Rolle spielen, stellen wohl Bonells wichtigsten und umfangreichsten Zyklus dar: gerade sie eignen sich ausgesprochen dazu, dieser doppelten Intention im Werk Bonells nachzugehen. Durch die ausgefallenen zum Teil nur schwer nachvollziehbaren Positionen seiner Modelle und durch die Wiedergabe verschnürter, nicht identifizierbarer Lederobjekte entsteht - wie gesagt - eine Oszillation zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, die beiden Impulsen in Bonells Kunst Rechnung tragen soll. Bonell berührt mit seiner Malerei, die natürlich ihren Schwerpunkt im Bereich der Gegenständlichkeit hat, immer wieder einen der zentralen Schnittpunkte der Kunst unseres Jahrhunderts. Nicht nur in der schon genannten Farbgebung führt er eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Malerei, sondern auch indem er auf die drei herkömmlichen Genres der Malerei, das Stilleben, das Menschenbild und die Landschaftsmalerei Bezug nimmt: sie stehen bei Bonell im Prinzip gleichberechtigt nebeneinander, und es kommt zu vielen Mischformen ( eine nicht unwichtige Rolle dabei spielen die Körper- Landschaften). Letztlich läßt sich jedoch sagen, daß Stilleben und Menschenbild in ihrer gegenseitigen Bezogenheit und Durchdringung im Mittelpunkt seines Werkes stehen. Sie ermöglichen es Bonell am ehesten, Hinweise auf die conditio humana seiner Figuren zu geben. Bonell zeigt den Menschen meist ohne eine Hülle. Wenn man will, kann man das als einen Versuch sehen, den Menschen unverstellt und bloß, also entkleidet aller sozialen und sonstigen Attribute zu betrachten. Die Kombinationen, die Bonell den menschlichen Körper eingehen läßt - vorwiegend handelt es sich um männliche Modelle -, sind als Versuche einzustufen, am Wege des Bildes aussagen über den Menschen zu treffen. Der Körper wird in zahllosen Variationen mit anderen Häuten kontrastiert: sei es mit dem schwarzen Leder eines Bekleidungsstückes, sei es mit dem Fell eines Tieres oder dem blassen Fleisch eines toten Huhns. Auch hier sind wir natürlich wieder fern jeder Eindeutigkeit. Bonell geht es zu Einen um die aus der abendländischen Tradition vertraute malerische Virtuosität in der Wiedergabe der verschiedenen materialen Konsistenzen; zum anderen um ein visuelles Spiel mit haptischen Qualitäten: er aktiviert - gleichsam ein malender Bildhauer - den Tastsinn über das Auge. Besonders das Leder, auf dessen stoffliche Wiedergabe Bonell viel malerische Mühe verwendet, um Dunkelheit und Glanz herauszuarbeiten, stellt einen Bezug zur heutigen Zeit her. Das Lederobjekt enthält einen zeitgeistigen Verweis: schwarzes Leder ist seit den späten 50er Jahren fixer Bestandteil der Kleidung eines Teils der Jugendkultur. Ohne es auf diese Bedeutung einengen zu wollen, transportiert es auch den Verweis auf die Sado-Maso-Kultur, die besonders in den Metropolen eine wichtige Rolle spielt und bei der es um eine aus den herkömmlichen Bahnen heraustretende Sexualität und Freisetzung oft verborgener Impulse geht. In den geknoteten Lederobjekten, die leblose Pendants zu den menschlichen Körpern darstellen, drückt sich etwas Gequältes, Eingesperrtes, Beengtes aus, das sich an den Körpern - den eigentlichen Inhaltsträgern - oft gar nicht so leicht ablesen ließe. Über den Umweg der Lederobjekte erfolgen Aussagen über die Menschen. Bonells Bilder sprechen durch ihre Figuren und Gegenstände von einem Lebensgefühl, einer existenziellen Lage. Das Besondere an Bonells "schwarzen Bildern" ist zweifellos, daß sie mehr als andere Zyklen den Versuch einer mehrfachen Synthese sichtbar machen. Einmal das Bemühen um eine Durchdringung von Akt, Stilleben und Landschaft innerhalb der figurativen Malerei. Dann die aus der gegenständlichen Malerei hinausführende Tendenz zur Abstraktion. Und schließlich die Fusion einer an der klassischen Ästhetik sich orientierenden Schönheit mit dem existenziellen Bereich. Dennoch sind Bonells "schwarze Bilder" bisher auch von vielen seiner Wertschätzer noch nicht richtig angenommen worden: Sie ragen offensichtlich zu weit aus dem Bereich des Formalen in den des Existentiellen hinein, sie enthalten offensichtlich zu viel Bedrohliches und Verdrängtes, zu viel verborgene Gewalt und erotische Verführungskraft. Aus: Inszenierung und Verwandlung / Immagini della penombra Folio Wien, Bozen 2000 Inszenierte und verwandelte Wirklichkeit (Peter Weiermeir) Der in Bozen lebende Künstler Gotthard Bonell hat viele Gesichter und ist in vielen Medien beheimatet. Zum einen existiert der Sänger der den Bogen schlägt von den Liedern Schuberts zu Folgen von Zeichnungen und Radierungen, zum anderen der Portraitist, der sich engagiert und kommunikativ mit seiner Umgebung auseinandersetzt, und dann vor allem der Maler jener Bilder, die in diesem Buch in einer von den drei Textautoren vorgenommenen Auswahl präsentiert werden. Hier zeigt sich der Maler Bonell von seiner intimsten und obsessivsten Seite, was die Sujets betrifft: diese stecken das Feld von Eros und Tod ab. Hier dokumentiert der Künstler auch seine größte malerische Intensität, die vor allem durch die Reduzierung auf eine knappe Palette zum Ausdruck kommt. Hatte Bonell in seinen Zeichnungen und Graphiken bereits Fundstücke des alltäglichen Lebens, vertrocknete Früchte, umgestülpte Handschuhe nicht identifizierbares Lederzeug in Räumen und auf Tischen angeordnet, d.h. in alter Stillebentradition inszeniert und damit Metaphern der Vergänglichkeit geschaffen, zeitgenössische Vanitasmotive realisiert, so ging es ihm bei diesen Inszenierungen wie bei den späteren räumlichen Körper-Leder- Konstruktionen nicht um die Eindeutigkeit des Sujets, sondern um dessen Vermögen, mehrdeutige Assoziationen zu erlauben, die in den sublimierten Bereich von Eros und Sexualität führen. Bonell hat von dem deutschen, im Banne des französischen Surrealismus arbeitenden Objektkünstler Kalinowski die Faszination für das Medium des Leders , der gegerbten und verwandelten Haut von Tieren, übernommen. Bei dem englischen Maler Lucian Freud hat er eine andere denn die akademische Körperlichkeit entdeckt, nämlich eine bestürzende, massive, erdschwere sinnliche Präsenz des Körpers. Beide Kunsterfahrungen, die der geheimnisvollen, verrätselten Objekte Kalinowskis wie die der ungewöhnlichen Perspektiven und einblicke in den Körper von Lucian Freud, haben die hier im Buch vereinten Bilder beeinflußt. Sie spiegeln wahrscheinlich am intensivsten den psychischen Zustand und das malerisch- formale Anliegen dieses Künstlers wider. Das Interesse für das Material Leder reflektiert sowohl eine intensive und raffinierte Sinnlichkeit wie auch allen Werken zugrundeliegende barocke Vergänglichkeitsvorstellung. Bonell spielt immer mit den unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Materialien wie auch mit den Assoziationen, die sich beim Betrachter angesichts der Formen und Figuren einstellen, die das Leder wirft, annimmt oder in welche es geworfen wird. In der späteren Folge erweiterte Bonell sein Stillebenkonzept, indem er häufig, irritierende, weil anatomisch nicht leicht zuordenbare Körperausschnitte mit Lederlandschaften konfrontiert. Bonell schafft keine Aktportraits, sondern ist ihm seit Courbet gängige Vorstellung von Körperfragment wichtig, daß besonders im Surrealismus Ausdruck des erotisch-sadistischen Blicks wurde. Inszenierung und Verwandlung / Immagini della penombra Folio Wien, Bozen 2000 Figuration. Katalog der gleichnamigen Ausstellung in der Stiftung Ursula Blickle (Kraichtal) im rupertinum von Salzburg und im Museum Moderner Kunst Bozen, Kuratoren Peter Weiermair und Andreas Hapkemeyer, Zürich , Öhrli 1999