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"Scheiß auf Österreich!"
KUNST Das Museum moderner Kunst hat wieder geöffnet: Nach einem misslungenen Start im letzten September zeigt der neue Direktor Edelbert Köb im umgebauten Gebäude nun die Stärken der mittelmäßigen Sammlung. MATTHIAS DUSINI (Text) und Heribert Corn (Fotos)

Interview mit Edelbert Köb: "Die Sammlung ist die Kriegskasse"

Falter 26 Originaltext aus Falter 26/02 vom 26.06.2002

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Der Blick nach oben ist nun ein anderer. Wer durch den niederen Eingang das Mumok (Museum moderner Kunst) betritt und in der Eingangshalle steht, hat keine unverstellte Sicht mehr durch den furchterregend hohen Schacht nach oben zu den Oberlichten. Ungefähr auf halber Höhe hebt sich jetzt ein weißer Kubus vom dunklen Basaltgestein ab. Der Wiener Künstler Heimo Zobernig hat ihn geschaffen, um die Idee von Mumok-Direktor Edelbert Köb umzusetzen, zumindest auf einer Etage ein Raumkontinuum zu erzeugen. Bisher waren die beiden Etagenhälften nur über das Stiegenhaus verbunden. Zobernigs Raumüberbrückung auf Ebene sechs ist eine der Umbaumaßnahmen im Rahmen der Neueröffnung des Museums. Das Mumok war erst im September letzten Jahres mit einer Sammlungspräsentation durch Direktor Lóránd Hegyi eröffnet worden. Sein Nachfolger Edelbert Köb, der das Museum seit 1.1.2002 leitet, hielt sowohl die Sammlungspräsentation als auch die Architektur selbst für mangelhaft - und ließ umbauen und neu aufstellen.

"Ich möchte das Raumerlebnis vom Liftschacht in die Ausstellungsräume selbst hineinverlagern", lautet Köbs Anspruch (siehe Interview unten). Stellwände hatten die Räume in unübersichtliche Labyrinthe verwandelt; Feuerwehrkästen und Sockelleisten machten die Wände für Bildhängungen ungeeignet und wurden nach Möglichkeit beseitigt. Mangelhaft versiegelte Terrazzoböden mussten saniert werden. Im Kuppelsaal im letzten Stock wurden die gebogenen Neonlichtreihen durch ein anderes Lichtsystem ersetzt, im Keller entstand ein Kinosaal. Das alles kostete 600.000 Euro und konnte nur zum Teil die skandalöse Fehlkonzeption des Gebäudes korrigieren (siehe Kommentar auf Seite 21). Auch die neue Sammlungspräsentation kann als Versuch einer Korrektur der Fehler der letzten Jahre verstanden werden. Hegyi zeigte zur Eröffnung des Hauses einen chronologischen Querschnitt durch die Kunst der letzten hundert Jahre - und offenbarte dabei nicht nur die Schwächen seiner eigenen, zehnjährigen Sammlungstätigkeit, sondern der Mumok-Sammlung insgesamt. Erst 1962 bekam Österreich ein Museum moderner Kunst: zu spät, um noch groß Klassiker der Moderne einkaufen zu können. Wichtige Künstler und Strömungen der neueren Kunstgeschichte fehlen oder sind nicht repräsentativ vertreten. Statt die Schwächen der Sammlung mit Alterswerken oder Beispielen zweitrangiger Künstler zu kaschieren, setzt Köb nun auf die vorhandenen Stärken der mittelmäßigen Sammlung: auf jene wichtigen Werke der Pop-Art aus der Kölner Sammlung Peter und Irene Ludwig, die sukzessive seit 1977 nach Wien kamen, und auf die Sammlung Hahn, in der einige Hauptwerke neoavantgardistischer Tendenzen der Sechzigerjahre enthalten sind. Und das große Versäumnis des Mumok wurde nachgeholt: Zum ersten Mal werden die Wiener Aktionisten in der ihnen gebührenden kunsthistorischen Rahmung gewürdigt. "Die Präsentation ist ein Bekenntnis zum Wiener Aktionismus. Da es aber aufgrund der Leihgaben keine reine Sammlungspräsentation ist, stellt sie ein Desideratum dar", sagt die Kuratorin Eva Badura-Triska, die zusammen mit dem Aktionismus-Spezialisten Hubert Klocker den Raum eingerichtet hat. Aus der eigenen Sammlung sind Bilder und Fotodokumente zu sehen; ebenso stammen die gezeigten Werke von Rudolf Schwarzkogler aus dem im Besitz des Mumok befindlichen Nachlass. Viele Flugzettel, Plakate, Briefe und Filme, die den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Skandalkunst von einst schildern sollen, stammen jedoch aus externen Archiven und Sammlungen. Der Ausstellungsparcours beginnt mit einem Bild von Otto Muehl, das aus einer dicken Farben- und Dreckschicht besteht. Muehl erdete die abstrakte Malerei der späten Fünfziger, lud den Neokantianismus des abstrakten Expressionismus mit zeitgenössischer Wirklichkeit auf. Schritt für Schritt lässt sich die Radikalisierung der Experimente von Günter Brus, Otto Muehl, Rudolf Schwarzkogler und Hermann Nitsch nachverfolgen. Wie der Körper in den Mittelpunkt der Malereiaktion tritt, wie er in den gesellschaftlichen Raum vordringt, wobei die Malerei zusehends durch fotografische Medien abgelöst wird.

Endlich wird auch der überragende Beitrag der beiden Filmemacher Kurt Kren und Ernst Schmidt jr. zur Verbildlichung des Aktionismus gewürdigt. Ihre filmischen Überarbeitungen von Aktionen sind in zwei Videoboxen zu sehen. Den Abschluss des Rundgangs bildet eine Dokumentation der berüchtigten Aktion "Kunst und Revolution" in der Universität Wien 1968, die im reaktionären Klima Österreichs zu einer Kriminalisierung der Akteure führte. "lieber Brus, scheiß doch auf österreich", ist in einem Brief zu lesen, den der Dichter Gerhard Rühm aus Berlin an seinen Kollegen in Wien geschrieben hat. Im hinteren Teil des MQ ist ein großer Saal der zwanzigsten Malaktion von Hermann Nitsch gewidmet, die 1987 in der Secession stattfand. Auch in der Etage, die den beiden Kunstrichtungen Nouveau Réalisme und Fluxus gewidmet ist, wird der Eindruck vermieden, dass es sich bei der Kunst der frühen Sechziger um die Erfindungen genialer Einzeltäter gehandelt habe. "Fluxus war ein Zusammen von vielen Menschen", sagt die Kuratorin Susanne Neuburger. Nam June Paik präparierte 1963 für eine Ausstellung in Wuppertal Klaviere mit Elektrogeräten, Stacheldraht oder einer Flasche Pril. Die Besucher konnten die Tasten drücken, wobei eine Klingel schrillte oder Lampen blinkten. Einige Fotos belegen den Novemberabend in der Galerie Parnass, an dem - sehr zum Widerwillen Paiks - Josef Beuys eines der Pianos mit einem Beil zerlegte. Das im Mumok ausgestellte Klavier wurde später von Christo mit Nylon verpackt; nun ist es tot und gibt keinen Ton mehr von sich.

Die Zusammenarbeit verschiedener Künstler, vor allem aber auch Künstlerinnen wie Yoko Ono oder Alison Knowles, schlug sich in zahlreichen Editionen nieder, kleinen Boxen, in die Druckwerke verschiedener Teilnehmer oder auch Miniskulpturen gepackt wurden. Gleich neben den Boxen von Dick Higgins oder George Brecht steht die Schachtel "La Bote-en-Valise" von Marcel Duchamp, der darin en miniature Reproduktionen seiner Hauptwerke versammelt hat. Sprichwörtlich gegen den illusionistischen Geist der europäischen Tradition gerichtet waren die Werke des Nouveau Réalisme, der durch schöne Beispiele der kürzlich verstorbenen Niki de Saint-Phalle oder des für seine Skulpturen aus gequetschtem Autometall bekannten Arman vertreten ist. Die Etage für die Pop-Art verfügt mit dem 1972 für die documenta 5 gebauten Mouse Museum über eines der Hauptwerke dieser Kunstrichtung. Claes Oldenburg zeigt in diesem begehbaren Container in der Form eines Mickymouse-Kopfes seine Sammlung von Gebrauchsartikeln. Daneben hängen Vorstudien zum Projekt. Pralinen in der Form eines Mickymouse-Kopfs sind zu sehen, die Oldenburg für den Schokoladeproduzenten und großen Sammler Ludwig entworfen hat. Dass es sich bei Pop-Art nicht um eine rein amerikanische Angelegenheit handelte, unterstreichen die prominenten Platzierungen einer Folienskulptur des Bulgaren Christo oder eines Siebdrucks des italienischen Künstlers Mimmo Rotella. Den Kuppelsaal im letzten Stock hat sich Direktor Köb für einen Sammlungsquerschnitt über figurative Skulptur und abstrakte Malerei vorbehalten. Seltsamerweise tut der neue Direktor hier genau das, was schon bei seinem Vorgänger Hegyi schief ging: hundert Jahre Kunstgeschichte connaisseurhaft durchzuspielen, vom Konstruktivisten László Moholy-Nagy bis zum Crossoveristen Gerwald Rockenschaub. Dass Köb dabei ausgerechnet auf die Malerei und die Skulptur zurückgreift, also genau jene Ausdrucksformen, die von der Kunst der Sechzigerjahre zertrümmert wurden, wirkt beinahe wie ein Aufruf zur Gegenreformation.

"Fokus 01 - Rebellion & Aufbruch, Kunst der 60er Jahre", bis 26.10. im Mumok. Am 28.6. wird die Sonderausstellung "Hundert Kilo Gold" von Chris Burden eröffnet.

 
EDELBERT KÖB
"Die Sammlung ist die Kriegskasse"


Falter: Der amerikanische Künstler Chris Burden will im Mumok hundert Kilo Gold ausstellen. Lässt sich damit Ihre Sammlung aufwiegen?

Edelbert Köb: Der Wert unserer Sammlung ist sehr schwer schätzbar. Man kennt dieses Problem vom Ankauf der Sammlungen Ludwig und Leopold. Die Reaktionen reichten von "total überbezahlt" bis "Geschenk des Stifters". Wir haben uns das allerdings überlegt, als wir vor der Frage standen, ob wir die Werke versichern sollen. Die Werke sind jetzt Leihgaben des Bundes. Wir haben sie nicht versichert, weil der Bund es nicht explizit verlangt. Sollten wir unterversichern? Allein wenn wir die klassische Moderne schätzen lassen, kämen wir auf Summen, die uns handlungsunfähig machen würden. Wie lässt sich die Kunst der Sechziger mit ihrem offenen Werkbegriff einschätzen? Da kann ja auch eine Einladungskarte als Werk gelten.

Einzelne Dokumente haben Liebhaberpreise oder gar keinen. Für ein Museum aber haben sie als Basis für wissenschaftliche Recherchen einen großen Wert. In Wirklichkeit ist es so: Wenn jemand etwas haben will, hat es einen Wert. Ich war neulich in Köln und habe zufällig in einer Galerie eine Mappe liegen sehen, mache sie auf und sehe eine Fotoserie, die den Background unseres Klaviers von Nam June Paik dokumentiert. Ich habe die Fotos dieser Fluxusnacht gleich gekauft, obwohl sie einen stolzen Preis hatten.

Wie viel?

An sich hat die Mappe 300.000 Schilling gekostet. Mit Museumsrabatt 200.000 Schilling.

Was ist in Ihren Augen eine gute Sammlung?

Was auch eine gute Briefmarkensammlung charakterisiert: dass sie aus großen Blöcken und aus Erstausgaben besteht. Wir haben einen wunderschönen Donald Judd, aber er ist aus dem Jahr 92 und nicht aus den Sechzigern. Auch bei den Malern haben wir kaum Werke aus den späten Fünfzigern oder Sechzigern, sondern Exemplare aus den Siebzigern. Bei Fluxus, Pop-Art und Aktionismus schaut es besser aus ... In diesen drei Bereichen haben wir zum Teil die Inkunabeln. Wir haben die Erstausgaben, und wir haben eine Quantität, die im Fluxus vielleicht einmalig ist. Wir werden den zweiten Teil der Sammlung Hahn mit einem Kredit kaufen.

Mit welchem Kredit?

Den müssen wir aufnehmen: einen Zehnjahreskredit.

Gibt es schon konkrete Preisverhandlungen?

Es gibt schon ein Angebot, aber es ist noch nicht verhandelt. Von zentraler Wichtigkeit beim Wiener Aktionismus ist für uns die Erwerbung der Archive. Wir gehen eher davon aus, dass wir zu Dingen, die wir haben, Materialien erwerben. Wir können uns keine Pop-Art-Werke mehr leisten, aber wir können Materialien zum Mouse Museum erwerben, um den zeitgeschichtlichen Hintergrund sichtbar zu machen.

Welche Archive stehen auf Ihrer Wunschliste?

Das Foto- und Dokumentationsarchiv vom Friedrichshof und die Sammlung Conz.

Das klingt nach einer Verwissenschaftlichung der Institution?

Das Museum ist eine wissenschaftliche Anstalt und sollte die zentrale Forschungsstelle für Aktionismus sein.

Wie hoch ist Ihr Ankaufsbudget?

Es gibt kein Ankaufsbudget mehr. In der Vollrechtsfähigkeit gibt es nur das gedeckelte Gesamtbudget (hundert Millionen Schilling im Jahr 2001, Anm. d. Red.). Durch die Baumaßnahmen haben wir heuer überhaupt keinen Schilling und nächstes Jahr eigentlich auch nicht. Wir haben noch Ratenzahlungen von früher: die erste Tranche der Sammlung Hahn.

Die Sammlung macht ein Museum behäbig. Gegenüber den flotten Kunsthallen wirkt es wie der Igel im Wettlauf gegen den Hasen.

Die Sammlung ist die Kriegskasse: Je mehr sie von anderen Museen gebraucht wird, umso leichter kriegt man selber gute Sachen. Das Leihen ist eine ungeheure Belastung: organisatorisch, finanziell, vor allem bei Dingen, wie wir sie haben. Jedes Fluxusding, das auf Reisen geht, ist eine hoch heikle Sache. Die Kunsthalle braucht, um gewisse Dinge zu machen, mehr Geld, weil die Leihgeber nicht entgegenkommend sind.

Es wird also nicht so sein, dass Sie Depotstaub schlucken und die Kunsthalle Vernissagensekt.

Ich habe mit Gerald Matt (Leiter der Kunsthalle Wien, Anm. d. Red.) kein Problem in der Abstimmung der Programme. Natürlich macht das Museum auch Gegenwartskunst. Jason Rhoades (amerikanischer Künstler, der im September ausstellt, Anm. d. Red.) könnte auch in der Kunsthalle stattfinden. Das Museum hat eigentlich die undankbare Aufgabe, als Verständigungsbrücke zwischen dem Publikum und einer Kunst zu dienen, die keinen Neuigkeitswert mehr hat und noch keine Inkunabel ist. In den Sechzigern war Picasso in Österreich noch grauenhafte Kunst, die niemand sehen wollte. Jetzt bringt man damit ein paar hunderttausend Leute ins Museum.

Was wäre ein Beispiel für so eine Zwischenposition?

Wir machen Hanne Darboven, obwohl ich weiß, dass das kein Publikumshit wird. Wir haben die Gunst des Publikums verloren, und das Ansehen in der Fachwelt ist auch nicht so groß. Wenn ich mich entscheiden muss, dann dafür, als Museum im klassischen Sinn ernst genommen zu werden. Das Publikum können wir morgen oder übermorgen sukzessive zurückgewinnen.

Wie schaut es mit Schenkungen von Sammlern aus?

Hier in Österreich ist es fast schon eine typische Karriere, dass jemand als Sammler beginnt und als Kunsthändler endet. In der Schweiz gibt es eine Tradition, dass die Bürgergesellschaft die Museen als die ihren betrachtet. Diese Tradition haben wir nicht. Museen waren imperial oder der Sozialstaat hat sie zu betreiben. Wir haben ein einziges Werk aus einer privaten Schenkung. Ich habe immer noch den Traum, ein Komitee von zwanzig, dreißig Leuten aufzubauen und denen zu sagen, dass es kein Museum des 21. Jahrhunderts mehr geben wird, wenn wir so weitermachen.

Warum?

Das Haus war ursprünglich einen Stock höher und sechs Meter länger geplant und nur als Museum, mit der Kunsthalle als zusätzlichem Ausstellungsraum. Diese Erstkonzeption hatte eine Perspektive für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre. Dann hat man den Mut verloren und die Kunsthalle der Gemeinde gegeben. Jetzt sind wir genaugenommen ein Museum des 20. Jahrhunderts. Eigentlich könnte man jetzt abschließen: Das Depot ist voll, die Räume sind voll. Wir können nur kleine Teile der Sammlung ausstellen. Da muss man sich kulturpolitisch fragen, ob das Museum moderner Kunst so überhaupt noch international konkurrenzfähig sein kann.

Wäre es also sinnvoll, in Richtung Kunsthalle zu expandieren?

Sicherlich kann man das diskutieren, weil die Kunsthalle als einzige Institution im MQ sich verschlechtert hat. Das Haus hat seine Identität verloren, weil es hinten an der Winterreithalle dranpickt. Die Kunsthalle könnte auch woanders sein.

Wie realistisch ist das?

Das kann ich nicht sagen. Man muss alle Möglichkeiten ventilieren. Ich könnte mir vorstellen, dass man die klassische Moderne im weißen Gebäude (Museum Leopold, Anm. d. Red.) zeigt: Klimt zusammen mit Mondrian.

Gibt es da schon Gespräche?

Das ist meine persönliche Überlegung. Wenn man über die Zukunft nachdenkt, darf nichts tabu sein. Ich hätte am liebsten im Zwanzigerhaus ein Aktionismus- und Fluxusmuseum, mit einem Ausstellungsprogramm, das bis zu Gelatin geht. Dann wäre hier wieder mehr Platz.

Wofür?

Für die letzten dreißig Jahre. Atmosphärisch kommt die Kunst der Sechzigerjahre im Zwanzigerhaus viel besser weg. Es ist einfach cooler. Diese Kunst ist ohnehin so emotional, dass man es manchmal kaum aushält.

MATTHIAS DUSINI



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Juni 2002 © FALTER
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