Der Blick nach oben ist nun ein anderer. Wer durch den niederen
Eingang das Mumok (Museum moderner Kunst) betritt und in der Eingangshalle
steht, hat keine unverstellte Sicht mehr durch den furchterregend hohen
Schacht nach oben zu den Oberlichten. Ungefähr auf halber Höhe hebt sich
jetzt ein weißer Kubus vom dunklen Basaltgestein ab. Der Wiener Künstler
Heimo Zobernig hat ihn geschaffen, um die Idee von Mumok-Direktor Edelbert
Köb umzusetzen, zumindest auf einer Etage ein Raumkontinuum zu erzeugen.
Bisher waren die beiden Etagenhälften nur über das Stiegenhaus verbunden.
Zobernigs Raumüberbrückung auf Ebene sechs ist eine der Umbaumaßnahmen im
Rahmen der Neueröffnung des Museums. Das Mumok war erst im September
letzten Jahres mit einer Sammlungspräsentation durch Direktor Lóránd Hegyi
eröffnet worden. Sein Nachfolger Edelbert Köb, der das Museum seit
1.1.2002 leitet, hielt sowohl die Sammlungspräsentation als auch die
Architektur selbst für mangelhaft - und ließ umbauen und neu
aufstellen.
"Ich möchte das Raumerlebnis vom Liftschacht in die
Ausstellungsräume selbst hineinverlagern", lautet Köbs Anspruch (siehe
Interview unten). Stellwände hatten die Räume in unübersichtliche
Labyrinthe verwandelt; Feuerwehrkästen und Sockelleisten machten die Wände
für Bildhängungen ungeeignet und wurden nach Möglichkeit beseitigt.
Mangelhaft versiegelte Terrazzoböden mussten saniert werden. Im Kuppelsaal
im letzten Stock wurden die gebogenen Neonlichtreihen durch ein anderes
Lichtsystem ersetzt, im Keller entstand ein Kinosaal. Das alles kostete
600.000 Euro und konnte nur zum Teil die skandalöse Fehlkonzeption des
Gebäudes korrigieren (siehe Kommentar auf Seite 21). Auch die neue
Sammlungspräsentation kann als Versuch einer Korrektur der Fehler der
letzten Jahre verstanden werden. Hegyi zeigte zur Eröffnung des Hauses
einen chronologischen Querschnitt durch die Kunst der letzten hundert
Jahre - und offenbarte dabei nicht nur die Schwächen seiner eigenen,
zehnjährigen Sammlungstätigkeit, sondern der Mumok-Sammlung insgesamt.
Erst 1962 bekam Österreich ein Museum moderner Kunst: zu spät, um noch
groß Klassiker der Moderne einkaufen zu können. Wichtige Künstler und
Strömungen der neueren Kunstgeschichte fehlen oder sind nicht
repräsentativ vertreten. Statt die Schwächen der Sammlung mit Alterswerken
oder Beispielen zweitrangiger Künstler zu kaschieren, setzt Köb nun auf
die vorhandenen Stärken der mittelmäßigen Sammlung: auf jene wichtigen
Werke der Pop-Art aus der Kölner Sammlung Peter und Irene Ludwig, die
sukzessive seit 1977 nach Wien kamen, und auf die Sammlung Hahn, in der
einige Hauptwerke neoavantgardistischer Tendenzen der Sechzigerjahre
enthalten sind. Und das große Versäumnis des Mumok wurde nachgeholt: Zum
ersten Mal werden die Wiener Aktionisten in der ihnen gebührenden
kunsthistorischen Rahmung gewürdigt. "Die Präsentation ist ein Bekenntnis
zum Wiener Aktionismus. Da es aber aufgrund der Leihgaben keine reine
Sammlungspräsentation ist, stellt sie ein Desideratum dar", sagt die
Kuratorin Eva Badura-Triska, die zusammen mit dem Aktionismus-Spezialisten
Hubert Klocker den Raum eingerichtet hat. Aus der eigenen Sammlung sind
Bilder und Fotodokumente zu sehen; ebenso stammen die gezeigten Werke von
Rudolf Schwarzkogler aus dem im Besitz des Mumok befindlichen Nachlass.
Viele Flugzettel, Plakate, Briefe und Filme, die den zeitgeschichtlichen
Hintergrund der Skandalkunst von einst schildern sollen, stammen jedoch
aus externen Archiven und Sammlungen. Der Ausstellungsparcours beginnt mit
einem Bild von Otto Muehl, das aus einer dicken Farben- und Dreckschicht
besteht. Muehl erdete die abstrakte Malerei der späten Fünfziger, lud den
Neokantianismus des abstrakten Expressionismus mit zeitgenössischer
Wirklichkeit auf. Schritt für Schritt lässt sich die Radikalisierung der
Experimente von Günter Brus, Otto Muehl, Rudolf Schwarzkogler und Hermann
Nitsch nachverfolgen. Wie der Körper in den Mittelpunkt der Malereiaktion
tritt, wie er in den gesellschaftlichen Raum vordringt, wobei die Malerei
zusehends durch fotografische Medien abgelöst wird.
Endlich wird
auch der überragende Beitrag der beiden Filmemacher Kurt Kren und Ernst
Schmidt jr. zur Verbildlichung des Aktionismus gewürdigt. Ihre filmischen
Überarbeitungen von Aktionen sind in zwei Videoboxen zu sehen. Den
Abschluss des Rundgangs bildet eine Dokumentation der berüchtigten Aktion
"Kunst und Revolution" in der Universität Wien 1968, die im reaktionären
Klima Österreichs zu einer Kriminalisierung der Akteure führte. "lieber
Brus, scheiß doch auf österreich", ist in einem Brief zu lesen, den der
Dichter Gerhard Rühm aus Berlin an seinen Kollegen in Wien geschrieben
hat. Im hinteren Teil des MQ ist ein großer Saal der zwanzigsten Malaktion
von Hermann Nitsch gewidmet, die 1987 in der Secession stattfand. Auch in
der Etage, die den beiden Kunstrichtungen Nouveau Réalisme und Fluxus
gewidmet ist, wird der Eindruck vermieden, dass es sich bei der Kunst der
frühen Sechziger um die Erfindungen genialer Einzeltäter gehandelt habe.
"Fluxus war ein Zusammen von vielen Menschen", sagt die Kuratorin Susanne
Neuburger. Nam June Paik präparierte 1963 für eine Ausstellung in
Wuppertal Klaviere mit Elektrogeräten, Stacheldraht oder einer Flasche
Pril. Die Besucher konnten die Tasten drücken, wobei eine Klingel
schrillte oder Lampen blinkten. Einige Fotos belegen den Novemberabend in
der Galerie Parnass, an dem - sehr zum Widerwillen Paiks - Josef Beuys
eines der Pianos mit einem Beil zerlegte. Das im Mumok ausgestellte
Klavier wurde später von Christo mit Nylon verpackt; nun ist es tot und
gibt keinen Ton mehr von sich.
Die Zusammenarbeit verschiedener
Künstler, vor allem aber auch Künstlerinnen wie Yoko Ono oder Alison
Knowles, schlug sich in zahlreichen Editionen nieder, kleinen Boxen, in
die Druckwerke verschiedener Teilnehmer oder auch Miniskulpturen gepackt
wurden. Gleich neben den Boxen von Dick Higgins oder George Brecht steht
die Schachtel "La Bote-en-Valise" von Marcel Duchamp, der darin en
miniature Reproduktionen seiner Hauptwerke versammelt hat. Sprichwörtlich
gegen den illusionistischen Geist der europäischen Tradition gerichtet
waren die Werke des Nouveau Réalisme, der durch schöne Beispiele der
kürzlich verstorbenen Niki de Saint-Phalle oder des für seine Skulpturen
aus gequetschtem Autometall bekannten Arman vertreten ist. Die Etage für
die Pop-Art verfügt mit dem 1972 für die documenta 5 gebauten Mouse Museum
über eines der Hauptwerke dieser Kunstrichtung. Claes Oldenburg zeigt in
diesem begehbaren Container in der Form eines Mickymouse-Kopfes seine
Sammlung von Gebrauchsartikeln. Daneben hängen Vorstudien zum Projekt.
Pralinen in der Form eines Mickymouse-Kopfs sind zu sehen, die Oldenburg
für den Schokoladeproduzenten und großen Sammler Ludwig entworfen hat.
Dass es sich bei Pop-Art nicht um eine rein amerikanische Angelegenheit
handelte, unterstreichen die prominenten Platzierungen einer
Folienskulptur des Bulgaren Christo oder eines Siebdrucks des
italienischen Künstlers Mimmo Rotella. Den Kuppelsaal im letzten Stock hat
sich Direktor Köb für einen Sammlungsquerschnitt über figurative Skulptur
und abstrakte Malerei vorbehalten. Seltsamerweise tut der neue Direktor
hier genau das, was schon bei seinem Vorgänger Hegyi schief ging: hundert
Jahre Kunstgeschichte connaisseurhaft durchzuspielen, vom Konstruktivisten
László Moholy-Nagy bis zum Crossoveristen Gerwald Rockenschaub. Dass Köb
dabei ausgerechnet auf die Malerei und die Skulptur zurückgreift, also
genau jene Ausdrucksformen, die von der Kunst der Sechzigerjahre
zertrümmert wurden, wirkt beinahe wie ein Aufruf zur Gegenreformation.
"Fokus 01 - Rebellion & Aufbruch, Kunst der 60er Jahre", bis
26.10. im Mumok. Am 28.6. wird die Sonderausstellung "Hundert Kilo Gold"
von Chris Burden eröffnet.
EDELBERT KÖB "Die Sammlung ist die
Kriegskasse"
Falter: Der amerikanische
Künstler Chris Burden will im Mumok hundert Kilo Gold ausstellen. Lässt
sich damit Ihre Sammlung aufwiegen?
Edelbert Köb: Der Wert
unserer Sammlung ist sehr schwer schätzbar. Man kennt dieses Problem vom
Ankauf der Sammlungen Ludwig und Leopold. Die Reaktionen reichten von
"total überbezahlt" bis "Geschenk des Stifters". Wir haben uns das
allerdings überlegt, als wir vor der Frage standen, ob wir die Werke
versichern sollen. Die Werke sind jetzt Leihgaben des Bundes. Wir haben
sie nicht versichert, weil der Bund es nicht explizit verlangt. Sollten
wir unterversichern? Allein wenn wir die klassische Moderne schätzen
lassen, kämen wir auf Summen, die uns handlungsunfähig machen würden. Wie
lässt sich die Kunst der Sechziger mit ihrem offenen Werkbegriff
einschätzen? Da kann ja auch eine Einladungskarte als Werk
gelten.
Einzelne Dokumente haben Liebhaberpreise oder gar keinen.
Für ein Museum aber haben sie als Basis für wissenschaftliche Recherchen
einen großen Wert. In Wirklichkeit ist es so: Wenn jemand etwas haben
will, hat es einen Wert. Ich war neulich in Köln und habe zufällig in
einer Galerie eine Mappe liegen sehen, mache sie auf und sehe eine
Fotoserie, die den Background unseres Klaviers von Nam June Paik
dokumentiert. Ich habe die Fotos dieser Fluxusnacht gleich gekauft, obwohl
sie einen stolzen Preis hatten.
Wie
viel?
An sich hat die Mappe 300.000 Schilling gekostet. Mit
Museumsrabatt 200.000 Schilling.
Was ist in
Ihren Augen eine gute Sammlung?
Was auch eine gute
Briefmarkensammlung charakterisiert: dass sie aus großen Blöcken und aus
Erstausgaben besteht. Wir haben einen wunderschönen Donald Judd, aber er
ist aus dem Jahr 92 und nicht aus den Sechzigern. Auch bei den Malern
haben wir kaum Werke aus den späten Fünfzigern oder Sechzigern, sondern
Exemplare aus den Siebzigern. Bei Fluxus, Pop-Art und Aktionismus schaut
es besser aus ... In diesen drei Bereichen haben wir zum Teil die
Inkunabeln. Wir haben die Erstausgaben, und wir haben eine Quantität, die
im Fluxus vielleicht einmalig ist. Wir werden den zweiten Teil der
Sammlung Hahn mit einem Kredit kaufen.
Mit
welchem Kredit?
Den müssen wir aufnehmen: einen
Zehnjahreskredit.
Gibt es schon konkrete
Preisverhandlungen?
Es gibt schon ein Angebot, aber es ist
noch nicht verhandelt. Von zentraler Wichtigkeit beim Wiener Aktionismus
ist für uns die Erwerbung der Archive. Wir gehen eher davon aus, dass wir
zu Dingen, die wir haben, Materialien erwerben. Wir können uns keine
Pop-Art-Werke mehr leisten, aber wir können Materialien zum Mouse Museum
erwerben, um den zeitgeschichtlichen Hintergrund sichtbar zu
machen.
Welche Archive stehen auf Ihrer
Wunschliste?
Das Foto- und Dokumentationsarchiv vom
Friedrichshof und die Sammlung Conz.
Das klingt
nach einer Verwissenschaftlichung der Institution?
Das
Museum ist eine wissenschaftliche Anstalt und sollte die zentrale
Forschungsstelle für Aktionismus sein.
Wie hoch
ist Ihr Ankaufsbudget?
Es gibt kein Ankaufsbudget mehr. In
der Vollrechtsfähigkeit gibt es nur das gedeckelte Gesamtbudget (hundert
Millionen Schilling im Jahr 2001, Anm. d. Red.). Durch die Baumaßnahmen
haben wir heuer überhaupt keinen Schilling und nächstes Jahr eigentlich
auch nicht. Wir haben noch Ratenzahlungen von früher: die erste Tranche
der Sammlung Hahn.
Die Sammlung macht ein
Museum behäbig. Gegenüber den flotten Kunsthallen wirkt es wie der Igel im
Wettlauf gegen den Hasen.
Die Sammlung ist die Kriegskasse:
Je mehr sie von anderen Museen gebraucht wird, umso leichter kriegt man
selber gute Sachen. Das Leihen ist eine ungeheure Belastung:
organisatorisch, finanziell, vor allem bei Dingen, wie wir sie haben.
Jedes Fluxusding, das auf Reisen geht, ist eine hoch heikle Sache. Die
Kunsthalle braucht, um gewisse Dinge zu machen, mehr Geld, weil die
Leihgeber nicht entgegenkommend sind.
Es wird
also nicht so sein, dass Sie Depotstaub schlucken und die Kunsthalle
Vernissagensekt.
Ich habe mit Gerald Matt (Leiter der
Kunsthalle Wien, Anm. d. Red.) kein Problem in der Abstimmung der
Programme. Natürlich macht das Museum auch Gegenwartskunst. Jason Rhoades
(amerikanischer Künstler, der im September ausstellt, Anm. d. Red.) könnte
auch in der Kunsthalle stattfinden. Das Museum hat eigentlich die
undankbare Aufgabe, als Verständigungsbrücke zwischen dem Publikum und
einer Kunst zu dienen, die keinen Neuigkeitswert mehr hat und noch keine
Inkunabel ist. In den Sechzigern war Picasso in Österreich noch
grauenhafte Kunst, die niemand sehen wollte. Jetzt bringt man damit ein
paar hunderttausend Leute ins Museum.
Was wäre
ein Beispiel für so eine Zwischenposition?
Wir machen Hanne
Darboven, obwohl ich weiß, dass das kein Publikumshit wird. Wir haben die
Gunst des Publikums verloren, und das Ansehen in der Fachwelt ist auch
nicht so groß. Wenn ich mich entscheiden muss, dann dafür, als Museum im
klassischen Sinn ernst genommen zu werden. Das Publikum können wir morgen
oder übermorgen sukzessive zurückgewinnen.
Wie
schaut es mit Schenkungen von Sammlern aus?
Hier in
Österreich ist es fast schon eine typische Karriere, dass jemand als
Sammler beginnt und als Kunsthändler endet. In der Schweiz gibt es eine
Tradition, dass die Bürgergesellschaft die Museen als die ihren
betrachtet. Diese Tradition haben wir nicht. Museen waren imperial oder
der Sozialstaat hat sie zu betreiben. Wir haben ein einziges Werk aus
einer privaten Schenkung. Ich habe immer noch den Traum, ein Komitee von
zwanzig, dreißig Leuten aufzubauen und denen zu sagen, dass es kein Museum
des 21. Jahrhunderts mehr geben wird, wenn wir so
weitermachen.
Warum?
Das Haus war
ursprünglich einen Stock höher und sechs Meter länger geplant und nur als
Museum, mit der Kunsthalle als zusätzlichem Ausstellungsraum. Diese
Erstkonzeption hatte eine Perspektive für die nächsten zwanzig, dreißig
Jahre. Dann hat man den Mut verloren und die Kunsthalle der Gemeinde
gegeben. Jetzt sind wir genaugenommen ein Museum des 20. Jahrhunderts.
Eigentlich könnte man jetzt abschließen: Das Depot ist voll, die Räume
sind voll. Wir können nur kleine Teile der Sammlung ausstellen. Da muss
man sich kulturpolitisch fragen, ob das Museum moderner Kunst so überhaupt
noch international konkurrenzfähig sein kann.
Wäre es also sinnvoll, in Richtung Kunsthalle zu
expandieren?
Sicherlich kann man das diskutieren, weil die
Kunsthalle als einzige Institution im MQ sich verschlechtert hat. Das Haus
hat seine Identität verloren, weil es hinten an der Winterreithalle
dranpickt. Die Kunsthalle könnte auch woanders sein.
Wie realistisch ist das?
Das kann ich nicht
sagen. Man muss alle Möglichkeiten ventilieren. Ich könnte mir vorstellen,
dass man die klassische Moderne im weißen Gebäude (Museum Leopold, Anm. d.
Red.) zeigt: Klimt zusammen mit Mondrian.
Gibt
es da schon Gespräche?
Das ist meine persönliche Überlegung.
Wenn man über die Zukunft nachdenkt, darf nichts tabu sein. Ich hätte am
liebsten im Zwanzigerhaus ein Aktionismus- und Fluxusmuseum, mit einem
Ausstellungsprogramm, das bis zu Gelatin geht. Dann wäre hier wieder mehr
Platz.
Wofür?
Für die letzten
dreißig Jahre. Atmosphärisch kommt die Kunst der Sechzigerjahre im
Zwanzigerhaus viel besser weg. Es ist einfach cooler. Diese Kunst ist
ohnehin so emotional, dass man es manchmal kaum aushält.
MATTHIAS
DUSINI
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